Gewalt, Arbeit und ein EU-Plan

Die European Trade Union Confederation fordert mehr Schutz für Frauen bei der Arbeit und die EU-Kommission stellt einen neuen Gender Action Plan vor. Verheißt das Gutes?

Gestern war der internationale Tag gegen Gewalt an Frauen und Mädchen und der Auftakt der diesbezüglichen Aktionswochen „Orange Week“ (25. November – 10 Dezember 2020). Vor dem Hintergrund forderte die Europe Trade Union Confederation (ETUC) einen stärkeren Schutz von Frauen, die von zuhause aus arbeiten, und die EU Kommission stellte ihren dritten Gender Action Plan vor.

Frauen, die an der vordersten Covid Front arbeiten, vor allem Pflegearbeiterinnen, Transportarbeiterinnen, Shop-Assistentinnen und Reinigungskräfte, wurden während der Krise von Angesicht zu Angesicht belästigt“, schreibt der europäische Gewerkschaftsbund in einer Pressemitteilung. „Doch viele Belästigungen, die Frauen am Arbeitsplatz erleben, haben sich aufs Internet verlagert. Sie wurden durch aufgedrängte Beobachtungsprogramme, die viele Unternehmen benutzen, vereinfacht.“ Eine Studie der Europäischen Agentur für Grundrechte (FRA) aus dem Jahr 2012 offenbart: 11 Prozent der befragten EU-Bürger*innen wurden bei der Arbeit Opfer sexualisierter und/oder physischer Gewalt. Das Statistikportal Statista liefert in dem Zusammenhang aktuelle Zahlen aus ausgewählten EU-Mitgliedsstaaten. Spanien führt das traurige Ranking an: 31 Prozten der 1.0021 befragten Frauen erlebten dort 2019 Gewalt am Arbeitsplatz. In Deutschland waren es 23 Prozent, in Italien 21 Prozent der knapp 1.000 Befragten.

Die ETUC verweist in ihrem Schreiben auf die Konvention 190 der International Labour Organization (ILO). Es ist die erste Konvention, die Standards zur Bekämpfung von Gewalt und Belästigungen in der Arbeitswelt aufstellt. Die Konvention schließt Gewaltformen mit ein, die sich allgemein im beruflichen Kontext ereignen: bei der Heimarbeit, auf beruflichen Reisen, auf dem Arbeitsweg oder bei der für den Job getätigten Kommunikation. Sie tritt im Juli 2021 in Kraft. Bis dato haben Fiji und Uruguay sie ratifiziert. Die ETUC und die ILO rufen die Regierungen weltweit dazu auf, der Konvention gerade jetzt Aufmerksamkeit zu schenken. Esther Lynch, ETUC Deputy General Secretary, sagt in der Mitteilung der ETUC: „Es gibt heute nicht genügend Mechanismen, um Cyber-Belästigungen anzugehen, und aufdringlicher Beobachtung spezifisch vorzubeugen. (…) Der Trend zur Heimarbeit wird nach der Covid-Pandemie weitergehen und deswegen ist die ILO Konvention zeitgemäß und braucht dringend Aufmerksamkeit.“

Die Tatsache, dass die EU Kommission gestern ihren neuen Gender Action Plan vorstellte, lässt hoffen, dass die Konvention zumindest von einigen Mitgliedsstaaten angenommen wird. Der Aktionsplan sieht immerhin den strategischen Austausch und die enge Kooperation zwischen den Mitgliedsstaaten, Frauenrechtsaktivist*innen, Organisationen aus der Zivilgesellschaft und jungen Menschen vor. Es sollen Regelungen eingeführt werden, um die Gender-Diversität in allen Wirtschaftszweigen zu beobachten und sie zu fördern. Die EU führt in dem Zusammenhang an, dass 2020 weniger als die Hälfte aller Frauen und 76 Prozent der Männer einen bezahlten Job ausübten.

Grob zusammengefasst, stellt sich die EU zwischen 2021 und 2025 in Sachen Gender Equality sechs Herausforderungen. Darunter fallen die Förderung von Frauen in Fürhungspositionen in der Politik und im öffentlichen Leben sowie der universelle Zugang zur Versorgung rund um die sexuelle Gesundheit und diesbezügliche Rechte. Die EU will darüber hinaus die „Women, Peace and Security Agenda“ der UN umsetzen, die unter anderem dazu aufruft, Frauen verstärkt in die Friedensarbeit und in politische Prozesse einzubinden. Nach Angaben der EU Kommission sind momentan weltweit 25 Prozent der Parlamentarier*innen Frauen, was einen Anstieg von 11,3 Prozent im Vergleich zu den Vorjahren bedeutet.

Ein großes Ziel der EU Kommission ist es auch, geschlechterspezifische Gewalt gegen Frauen, Mädchen, Jungen und Männer zu beenden. Die UN gibt in einer Infographik zur Studie „The Shadow Pandemic:Violence Against Womenand Girls and COVID-19“ an, dass weltweit 243 Millionen Frauen und Mädchen zwischen 15 und 49 Jahren in den letzten zwölf Monaten sexualisierte oder physiche Gewalt durch Intimpartner*innen erfahren haben. Die Situation von Männern und Jungen dokumentiert sie in der Graphik nicht. Während eine Studie des Cepol National Units, zusammen mit dem European Institute for Gender Equality (Eige), Mitgliedern des Forschungsprojekts zu häuslicher Gewalt Improdova und der FRA zu belegen scheint, dass die häusliche Gewalt während der Pandemie allgemein nicht angestiegen ist, sagt die UN das Gegenteil.

Das mag daran liegen, dass Cepol und die Partnerorganisationen für ihre Studie auf Zahlen der Polizei, Staatsanwaltschaften und Innenministerien zurückgreifen: Es handelt sich dabei also um bei den Autoritäten gemeldeten Fälle. Das Dokument der UN beruht auf Aussagen und dem Wissen von anderen Expert*innen, die sich intensiv mit Gewalt gegen Frauen und Mädchen beschäftigen. Es enthält außerdem eine wichtige Information: Weniger als 40 Prozent der Opfer melden die Vorfälle der Polizei oder wenden sich an Hilfsorganisationen. Was die Mitgliedsstaaten tun können, um die Opfer und die Zeug*innen zur Hilfesuche zu ermutigen, hat das Eige kürzlich in zwei Berichten untersucht. Die woxx berichtete.


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