Atomkraft stellt 70 Prozent der elektrischen Energie in Frankreich. Damit das so bleibt, hat die Aufsichtsbehörde längere Laufzeiten für die 900-Megawatt-Reaktoren genehmigt.
Die Sicherheit der Anlagen wurde verbessert, deshalb dürfen sie statt 40 nun 50 Jahre lang betrieben werden. Wo ist das Problem? Das Problem ist, es handelt sich um Atomreaktoren, die Überprüfung der Sicherheit wurde von Franzos*innen für Franzos*innen durchgeführt und eigentlich sollte man die AKWs ja stilllegen, statt ihre Laufzeit zu verlängern. An die Dringlichkeit eines Ausstieg erinnert der Jahrestag der Reaktorkatastrophe vom 11. März 2011 in Fukushima (online-woxx: Vergiss Fukushima!).
Stattdessen gab die Aufsichtsbehörde „Autorité de sûreté nucléaire“ (ASN) Anfang des Jahres grünes Licht für eine Verlängerung des Betriebs der 32 französischen 900-Megawatt-Reaktoren um zehn Jahre. Cattenom als 1.300-Megawatt-Anlage ist davon nicht direkt betroffen, soll aber in einem späteren Verfahren eine Verlängerung von bis zu 20 Jahren beantragen – also bis nach 2050 (Betriebsaufnahme von 1986 bis 1991).
Französische AKWs: Späte und trügerische Sicherheit
Das Verfahren für die 900-Megawatt-Reaktoren habe nur eine Alibifunktion, hatte Greenpeace bereits im vergangenen Dezember erklärt. Erstens fand die öffentliche Anhörung, bei der man Einspruch erheben kann, vom 3. Dezember bis zum 15 Januar statt, also in der Zeit der Winterferien. Außerdem umfasste das Dokument der ASN zur Sicherheitsnachrüstung mehrere 100 Seiten – die die Bürger*innen binnen ein paar Wochen analysieren sollten …
Greenpeace merkte auch an, dass bei 13 Reaktoren die 40-Jahres-Frist schon überschritten ist, sie aber trotzdem am Netz geblieben sind. Die von der ASN vorgeschriebenen Nachrüstungen werden sich sich über Jahre hinwegziehen, so dass verschiedene Reaktoren erst nach 45 Jahren Laufzeit das vorgeschriebene Sicherheitsniveau erreichen – und in der Zwischenzeit keineswegs außer Betrieb genommen werden. Grundsätzlich geht Greenpeace davon aus, dass trotz aller Nachbesserungen von solchen Anlagen – aufgrund der veralteten Konzeption und der Abnutzung – immer eine Gefahr ausgehen wird.
Verlängerung auch ohne Umweltverträglichkeitsprüfung
Außerdem hat die ASN im Rahmen der Laufzeitverlängerung keine Umweltverträglichkeitsprüfung nach EU-Recht durchgeführt, dies obwohl die alten Anlagen möglicherweise neue – und grenzüberschreitende –Auswirkungen auf die Umwelt haben. Greenpeace hat dagegen geklagt und hofft, spätestens vor der EU-Justiz recht zu bekommen. Mit gutem Grund, hatte doch eine ähnliche Klage gegen die Laufzeitverlängerung der belgischen Reaktoren Doel 1 und 2 Erfolg gehabt. Allerdings ein sehr relativer Erfolg: 2016 wurde die Verlängerung beschlossen, 2019 bekamen die Kläger*innen recht, Anfang 2021 sind die Anlagen immer noch in Betrieb. Die Umweltverträglichkeitsprüfung soll nun „nachgeliefert“ werden, hat ein belgisches Gericht entschieden – wie üblich fasst die Justiz Konzerne mit Samthandschuhen an.
Zehn Jahre nach Fukushima ist die Bilanz für Atomkraftgegner*innen durchwachsen. 2011 ist die Diskussion gewiss in Bewegung geraten, ein paar Länder beschlossen den Atomausstieg, in vielen wurde darüber „nachgedacht“, sogar in Frankreich. Doch mittlerweile sind die Dinge bei unserem südlichen Nachbarn fast wieder beim Alten, statt eines Ausstiegs ist eine Verlängerung des Rückgriffs auf Atomenergie bis 2050 geplant. Die einzige, bittere Hoffnung, die bleibt: Die nächste Atomkatastrophe kommt bestimmt, und dann rückt der Ausstieg wieder auf die Tagesordnung.
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