LGBTIQA+: „Aufruf zum Handeln“

In den vergangenen fünf Jahren gab es in Luxemburg kaum Fortschritte in puncto LGBTIQA+-Rechte. An Gesetzentwürfen und Ankündigungen mangelt es indes nicht.

In der Ilga-Rangliste landet Luxemburg diesmal zusammen mit Norwegen und Schweden auf Platz sieben. (Quelle: Ilga, CC BY 2.0 by Robert Couse-Baker)

„Heute lässt sich eine enttäuschende Bilanz für die Regierung in Bezug auf LGBTIQA+-Rechte ziehen“, verkündete Rosa Lëtzebuerg vergangene Woche in einer Pressemitteilung. „Die Ergebnisse des Rainbow Europe Index 2023 sind ein Aufruf zum Handeln“, heißt es weiter. Besagter Index wird jährlich von der International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association Europe (Ilga) herausgegeben. Anhand einer Rangliste werden einerseits 54 europäische und zen-
tralasiatische Länder miteinander verglichen. Andererseits liefert der Index Informationen über die jeweiligen nationalen Gesetzeslagen.

Ilga präsentierte seine Ergebnisse kurz vor dem Internationalen Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie am 17. Mai. Am unteren Ende der Skala befinden sich auch diesmal wieder Staaten wie Belarus, Russland, Armenien, die Türkei oder Aserbaidschan.

Für Luxemburg war die Veröffentlichung in den vergangenen Jahren stets sowohl eine gute als auch eine schlechte Nachricht. Ersteres weil sich das Großherzogtum schon seit 2019 in den Top Ten befindet. Letzteres weil es immer wieder von anderen Ländern überholt wird. Malta, Belgien, Dänemark, Spanien, Island und Finnland positionieren sich mittlerweile vor Luxemburg.

Abstammungsrecht

Wie Rosa Lëtzebuerg in seiner Mitteilung erklärt, liegt das nicht etwa an Rückschritten. Vielmehr haben besagte Länder mehr Tatendrang gezeigt als Luxemburg. „In den vergangenen 24 Monaten gab es keine nennenswerten Fortschritte in der Gesetzgebung, es wurden keine neuen Gesetzesprojekte ins Parlament eingebracht, die die Rechte von LGBTIQ+-Menschen in Luxemburg gestärkt hätten.“

Damit spielt die Organisation auf Gesetzentwürfe an, die seit Jahren vorliegen. Bekanntestes Beispiel dafür ist die Reform des Abstammungsrechts, die bereits 2013 vom damaligen Justizminister François Biltgen (CSV) auf den Instanzenweg gebracht wurde. Bekommt ein lesbisches Paar ein Kind mittels einer künstlichen Befruchtung, wird aktuell einzig die gebärende Person automatisch als Elternteil anerkannt. Die nicht-gebärende Mutter muss ihr Kind also adoptieren. Die Adoption ist jedoch nicht unmittelbar nach der Geburt, sondern erst drei Monate danach möglich, was die Absicherung des Kindes gefährdet. Stirbt die biologische Mutter nämlich in diesem Zeitraum, hat das Kind kein sorgeberechtigtes Elternteil mehr. Bei einem heterosexuellen Paar, das mittels einer Samenspende eine In-vitro-Befruchtung durchführt, ist das anders: Auch wenn er nicht der leibliche Vater ist, kann sich der Partner der Mutter dennoch nach der Geburt des Kindes beim Standesamt als Vater eintragen lassen. Dass in der aktuellen Gesetzgebung der Fokus auf einer konservativen Vorstellung von Familie liegt, die biologische Verbindung zwischen Kind und Eltern dagegen untergeordnet ist, wird auch am Beispiel von trans Eltern deutlich: Eine trans Frau, die zusammen mit ihrer cis Partnerin ein Kind gezeugt hat, darf sich nicht als zweite Mutter eintragen. Diese Anerkennung von trans Elternschaft ist eine weitere Voraussetzung, damit Luxemburg im Ilga-Index Punkte hinzugewinnt.

Die Verabschiedung des Gesetzentwurfs 6568A würde eine automatische Anerkennung der Elternschaft unabhängig von der geschlechtlichen Identität oder sexuellen Orientierung der Eltern einführen. Doch obwohl im aktuellen Koalitionsabkommen festgehalten wurde, die Modernisierung des Familienrechts „zu Ende führen“ und die Reformierung des Kindschaftsrechts „fortführen“ zu wollen, steht weniger als fünf Monate vor den Parlamentswahlen fest: Das dürfte knapp werden.

Etwas besser stehen die Chancen beim Gesetzentwurf zum „Accès à ses origines“. Dieses garantiert mit Bezug auf die internationale Kinderrechtskonvention das Recht, im Falle einer künstlichen Befruchtung mit Drittspende die eigene genetische Herkunft in Erfahrung bringen zu können. Der Gesetzentwurf 7674 sieht demgemäß vor, dass betroffene Kinder ab ihrem 18. Lebensjahr Informationen über Samen- oder Eizellenspender*in beantragen können. Seit der Staatsrat im Juli 2021 ein Gutachten zu dem Entwurf veröffentlichte, war es um das Vorhaben still geworden. Diese Woche veröffentlichte die Regierung nun aber eine überarbeitete Version des Textes. Dass dieser dem Parlament noch in dieser Legislaturperiode zur Abstimmung vorgelegt wird, scheint nicht unmöglich.

Foto: CC BY-NC 2.0 by Jaime Pérez

Freuen tun sich darüber nicht alle LGBTIQA+-Organisationen. So äußerte Rosa Lëtzebuerg in der Vergangenheit starke Kritik an dem Vorhaben. Es zwänge Regenbogenfamilien in heteronormative Kategorien und ignoriere „den Wunsch vieler Spender“, hatte die asbl vor zwei Jahren in einer Pressemitteilung bemängelt. Mit der Implikation, dass es die meisten Samenspender*innen vorzögen, anonym zu bleiben, warnte die Organisation damals vor einer „nicht unwesentlichen Reduzierung an Spendenangeboten“. Die Forderung deshalb: „Rosa Lëtzebuerg asbl spricht sich hier für den Mittelweg der Freiwilligkeit aus“. Keine gesetzliche Verpflichtung also, persönliche Daten zu hinterlassen: Die entsprechende Entscheidung solle vielmehr den Spender*innen selbst überlassen werden.

Cigale und dessen Unterorganisation L-Mums wiederum befürworten das Gesetzesvorhaben. „L’accès aux origines des enfants issus de PMA est un droit fondamental pour ces enfants. Il faut comprendre que la question ne se pose pas du point de vue des adultes ayant conçus l’enfant, mais bien de celui des enfants eux-mêmes dont les droits individuels doivent être défendus“, teilt uns Cigale auf Nachfrage hin mit. Die Organisation bezieht sich dabei spezifisch auf Kinder, die mithilfe einer Samen- oder Eizellenspende gezeugt wurden. Im Falle einer anonymen Geburt würden sich andere Fragen und Probleme stellen, heißt es noch in der Stellungnahme von Cigale.

Congé de naissance

Ein weiterer Gesetzentwurf, das Projet de loi 8017, wurde im Juni 2022 auf den Instanzenweg gebracht. Er sichert auch homosexuellen Eltern das Recht auf einen zehntägigen „Congé de naissance“ zu. Mit dem Gesetz kommt die Regierung einer im Juli 2019 in Kraft getretenen europäischen Richtlinie nach, die neben dem Elternurlaub, dem Urlaub für pflegende Angehörige und der Arbeitsfreistellung aufgrund höherer Gewalt auch Maßnahmen bezüglich des sogenannten „Vaterschaftsurlaubs“ vorschreibt. So mussten die Mitgliedstaaten bis August 2022 sicherstellen, dass „Väter oder – soweit nach nationalem Recht anerkannt – gleichgestellte zweite Elternteile, Anspruch auf zehn Arbeitstage Vaterschaftsurlaub haben, der anlässlich der Geburt des Kindes des Arbeitnehmers genommen werden muss“.

Was zunächst gut klingt, hat einen Haken: Denn erst mit der Anerkennung des zweiten Elternteils, also der Verabschiedung des oben erwähnten Abstammungsrechts, werden Betroffene vom Gesetz 8017 Gebrauch machen können. Erst dann gibt es nach Luxemburger Recht einen gleichgestellten zweiten Elternteil. Konkret bedeutet das, dass homosexuelle Paare auch dann keinen Anspruch auf einen „Congé de naissance“ haben werden, wenn das entsprechende Gesetz in Kraft tritt. Zumindest nicht Paare luxemburgischer Nationalität: In Belgien ist die automatische Co-Elternschaft nämlich schon rechtskräftig. In Luxemburg arbeitende Grenzgänger*innen werden besagte Karenz also ab dem Moment beanspruchen können, wo das Arbeitsrecht entsprechend geändert wurde.

Foto: CC BY 2.0 by Robert Couse-Baker

Manche, bereits seit vielen Jahren von Interessengruppen wie Ilga und Rosa Lëtzebuerg geforderte und im Koalitionsabkommen angekündigte Gesetzentwürfe, lassen indes immer noch auf sich warten. Dazu zählt etwa das Verbot von Operationen bei Kindern mit Variationen der Geschlechtsmerkmale ohne deren informiertes Einverständnis. Nicht zuletzt am 25. April hatte Ilga erneut dazu aufgerufen, Genitalverstümmlungen an intersex Personen europaweit zu kriminalisieren. Der Verbund appellierte dabei an das Europaparlament und den Europarat, die Eingriffe in die geplante EU-Richtlinie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt einzuarbeiten. Ilga betonte in seinem Aufruf, dass Genitalverstümmlungen, die meist an minderjährigen, urteilsunfähigen intersex Personen vollzogen werden, gegen Menschenrechte und den Anspruch auf Selbstbestimmung verstoßen. Nach Informationen der woxx verfasst in Luxemburg derzeit eine interministerielle Arbeitsgruppe einen entsprechenden Gesetzentwurf.

Ähnlich verhält es sich auch mit der Rechtslage bezüglich nicht-binärer Menschen. Im November 2022 hatte Justizministerin Sam Tanson angekündigt, im ersten Trimester dieses Jahres einen Gesetzesvorschlag für eine dritte Option des Geschlechtseintrages vorzulegen. Bisher ist das aber noch nicht passiert.

Blutspende und Konversionstherapie

Ilga weist in ihrem Jahresbericht aber noch weitere Baustellen auf. So soll die Regierung die Bestimmungen zur Blutspende unabhängig von den Sexualkontakten der Spender*innen vereinheitlichen. Auch das Verbot von Konversionstherapien zählt zu den langjährigen Forderungen. „Die verhältnismäßig einfache Umsetzung eines Verbotes von Konversionstherapien wurde noch nicht einmal als Notwendigkeit thematisiert“, kommentiert Rosa Lëtzebuerg dieses Versäumnis in seiner Pressemitteilung.

Schlussendlich warten LGBTIQA+-Menschen nach wie vor auf Schutz durch die Verfassung. „Wie schnell Gesetze gekippt oder ausgehöhlt werden können und gesetzliche Diskriminierungen wieder entstehen können, ist in Polen oder Ungarn zu beobachten”, warnt Rosa Lëtzebuerg. „Eine Verankerung in der Verfassung wäre ein längst überfälliger Schritt gewesen.“

Weniger als fünf Monate vor den Parlamentswahlen ist es mehr als fraglich, dass die Luxemburger Regierung ihre Versprechen in puncto LGBTIQA+-Rechte einhalten wird. Dass Luxemburg auf der Ilga-Skala noch weiter abrutschen wird, ist nicht auszuschließen. In seiner Pressemitteilung kündigt Rosa Lëtzebuerg abschließend an, den Parteien in den nächsten Monaten einen Forderungskatalog zukommen zu lassen, „der die Prioritäten der queeren Community in Luxemburg beschreibt“.


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