Abstammungsrecht: Viele offene Fragen

Die Reform des Abstammungsrechts befindet sich seit 2013 auf dem Instanzenweg. Die zahlreichen „oppositions formelles“, die der Staatsrat letzte Woche einlegte, deuten darauf hin, dass es noch eine ganze Weile dauern könnte, bis die Gesetze der Chamber zur Abstimmung vorliegen.

Das Abstammungsrecht soll die Rechte von Kindern stärken, die aus einer künstlichen Befruchtung, anonymen Geburt oder Leihmutterschaft hervorgegangen sind. Bis zur Abstimmung in der Chamber wird es aber noch dauern. (photostockeditor.com)

Nach vier Jahren Stillstand kam Ende letzter Woche endlich wieder Bewegung in die Reform des Abstammungsrechts. Gleich zwei Gutachten legte der Staatsrat vor: einmal zum „Projet de loi portant réforme du droit de la filiation“ und einmal zum „Projet de loi portant organisation de l’accès à la connaissance de ses origines dans le cadre d’une adoption ou d’une procréation médicalement assistée avec tiers donneurs“.

In beiden Texten geht es um Problematiken wie künstliche Befruchtung, Leihmutterschaft, anonyme Geburt oder das Recht auf Informationen zur eigenen genetischen Herkunft. Die Gesetzentwürfe sind Teil eines Ganzen: War zunächst geplant den „Accès à ses origines“ in der Reform des Abstammungsrechts, also dem Gesetzentwurf 6568A, zu regeln, so sind die entsprechenden Artikel seit letztem Herbst in dem eigens dafür vorgesehenen Gesetzentwurf 7674 zusammengefasst.

Beim Abstammungsrecht hatte die Justizkommission zuletzt im Jahr 2017 Änderungsanträge vorgelegt. Im März äußerte sich die Menschenrechtskommission zu beiden Gesetzentwürfen und nun auch der Staatsrat. Auch diesmal gab es wieder zahlreiche formale Einwände.

Der Gesetzentwurf 6568A erlaubt die postmortale Befruchtung mittels Spermienzellen – vorausgesetzt die verstorbene Person hat ihre explizite Erlaubnis dazu gegeben. Die Befruchtung muss innerhalb der ersten zwölf Monate nach dem Tod der betreffenden Person erfolgen. Andernfalls kann kein Abstammungsverhältnis zwischen dieser und dem Kind hergestellt werden. Was laut Gesetzentwurf jedoch nicht erlaubt ist, ist die Verwendung der Eizellen einer verstorbenen Person, was mit dem Verbot von Leihmutterschaft gerechtfertigt wird.

Legale illegale Leihmutterschaft?

Wie der Staatsrat feststellt, führt dies zu Rechtsunsicherheiten. Wird die Eizelle einer verstorbenen Person einer Leihmutter im Ausland implantiert oder wird ein eingefrorener Embryo eines Paares dem einen Elternteil implantiert, nachdem der andere verstorben ist, stellt sich die Frage: Wie ist die juristische Situation des daraus hervorgegangenen Kindes? Der Staatsrat fragt sich darüber hinaus, wie sich die Verweigerung des Abstammungsverhältnisses mit Blick auf die laut Gesetzentwurf intendierte Gleichbehandlung aller Kinder begründen lässt. Das sind nur einige der begrifflichen und prozeduralen Ungenauigkeiten, die der Staatsrat feststellt.

Laut aktuellem Text wird Leihmutterschaft zwar verboten, Kinder, die aus einer solchen hervorgegangen sind, sollen allerdings anerkannt werden. Damit will man verhindern, dass betroffene Kinder für die Entscheidungen ihrer Eltern bestraft werden. Der Staatsrat stellt sich diesem Vorschlag zwar nicht entgegen, wirft jedoch die Frage auf, ob es nicht kohärenter wäre, Leihmutterschaft zu legalisieren und klar zu regeln.

Eingriff in die Privatsphäre

Ein zentraler Kritikpunkt des Staatsrats bezieht sich auf den im Gesetzestext neu eingeführten „acte de parentalité“. Entscheidet sich ein Mensch beziehungsweise Paar dazu, mittels künstlicher Befruchtung oder Leihmutterschaft ein Kind zu bekommen, kann dieses „elterliche Projekt“ von einem oder zwei der Wunscheltern beim Standesamt gemeldet werden. Dies entweder vor oder nach Geburt des Kindes. Dazu müssen sie die medizinische Konvention, die sie mit einem nationalen oder ausländischen Befruchtungszentrum abgeschlossen haben, vorlegen können. Auf der Geburtsakte des Kindes wird infolgedessen auf die Existenz eines „acte de parentalité“ verwiesen. Der „acte de parentalité“ soll zur Stabilität des Abstammungsverhältnisses beitragen: „Il correspond à l’intérêt supérieur de l’enfant à faire bénéficier ce dernier de la stabilité du lien de filiation à l’égard de ses parents d’intention, même si cette filiation est fondée sur la réalité sociologique et non pas sur la réalité biologique“, kommentiert die Justizkommission diesen Vorschlag im Gesetzentwurf.

In den Augen des Staatsrats wiederum entbehrt dieser Akt jeglicher Existenzberechtigung, da er keinen Mehrwert gegenüber der Geburtsakte habe. Die Möglichkeit, von nur einem der Wunscheltern angefragt zu werden, sowie die, den Akt bereits vor der Geburt zu erhalten, berge in den Augen des Staatsrats unnötige juristische Unsicherheiten. Der Staatsrat fragt sich auch hier wieder nach dem Sinn, einen legalen Rahmen für die Leihmutterschaft zu schaffen, während diese doch de jure verboten werden soll. Er stört sich außerdem daran, dass die Existenz eines „acte de parentalité“ auf der Geburtsakte vermerkt werde, einem Dokument, das regelmäßig vorgelegt werden müsse. Dabei sei die Information, ob man aus einer künstlichen Befruchtung oder Leihmutterschaft hervorgegangen sei „strictement privée et les circonstances de sa conception ne concernent absolument pas les tiers“.

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Bei der künstlichen Befruchtung gibt es die größte Überschneidung zwischen den beiden Gesetzentwürfen. Gleichzeitig bezieht sich auch der größte Kritikpunkt des Staatsrats darauf, mit dem Resultat, dass im Text zum „Accès à ses origines“ dem gesamten Artikel, der davon handelt, eine formale Opposition gewidmet ist. Der Grund: Zu viele juristische Unsicherheiten, die sich durch den Mangel an Begriffsdefinitionen sowie an Details bezüglich der notwendigen Prozeduren ergeben. Unter anderem, so der Staatsrat, sei es wichtig, Konzepte wie „auteur du projet parental“, „parents d’intention“, „centre de fécondation“, „gamètes“, „cryoconservation de gamètes“, „embryons surnuméraires“ oder auch „procréation médicalement assistée“ sowie die jeweiligen Techniken, um diese durchzuführen, zu definieren. Der Staatsrat schlägt vor, die künstliche Befruchtung in einem spezifisch dafür vorgesehenen Gesetz zu regeln, statt, wie zurzeit vorgesehen, diesbezüglich nur Änderungen im Code Civil vorzunehmen. In Letzterem sollte laut Staatsrat einzig das Abstammungsrecht geregelt werden. In diesem Zusammenhang wird auf die Empfehlung der Menschenrechtskommission verwiesen, bioethischen Fragen ein spezifisches Gesetz zu widmen. In einem solchen, so der Staatsrat, könnte auch die künstliche Befruchtung reguliert werden.

Bezüglich des Gesetzentwurfs zum „Accès à ses origines“ äußert der Staatsrat in seinem Gutachten aber noch weitere „oppositions formelles“. So sei eine präzisere Umformulierung von „professionnel ayant encadré la naissance“ nötig, da aus diesem nicht hervorgehe, dass es sich dabei um Gesundheitspersonal handeln müsse.

Andere Kapitel ernten zwar kein Veto, dafür eine Fülle an offenen Fragen. So sei das Kapitel zur anonymen Geburt zu vage formuliert. Konkret ist hiermit gemeint, mittels welcher Formalitäten ein Krankenhaus den*die zuständige*n Minister*in darüber informieren soll, dass eine gebärende Person, sich für eine anonyme Geburt entschlossen habe. Es geht dem Staatsrat aber auch um die Informationen, die das Krankenhaus der gebärenden Person in einem solchen Fall geben muss. Wem kommt die Aufgabe zu, diese Informationen zu vermitteln? Wie kann nachgewiesen werden, dass diese Kommunikation stattgefunden hat? Auf welche Weise wird der gebärenden Person vermittelt, wie wichtig es ist, die eigene genetische Herkunft und Geschichte zu kennen, wie es der Gesetzentwurf aktuell vorsieht? Wie sicherstellen, dass die kommunizierten Informationen neutral, objektiv und verständlich sind, und in einer Sprache vermittelt werden, die der gebärenden Person bekannt ist? Das sind nur einige der Fragen, die der Staatsrat aufwirft.

Nun bleibt abzuwarten wie die Justizkommission auf die zahlreichen formalen Einwände reagieren wird.


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