Negativ-Wahlrecht: Ankreuzen, wen man nicht mag

Eine Chamber-Petition ruft dazu auf, auch Nein-Stimmen bei den Wahlen zuzulassen, um so Extreme zu verhindern. Auch wenn der erhoffte Effekt fragwürdig ist, eine Diskussion dazu könnte sich lohnen.

Illustration: Pixabay

Unterschiedliche Wahlsysteme gibt es fast so viele wie es (echte) Demokratien gibt: Vom angelsächsischen „the winner takes it all“ bis hin zur fast perfekten proportionalen Verteilung der Wähler*innenstimmen wie etwa in Deutschland entsprechend der (absurderweise so genannten) „Zweitstimme“. Welches System sich in welchem Land durchsetzen konnte, hat auch oft mit nationalen oder regionalen Erfahrungen zu tun. Alle Spielarten die von einer perfekten proportionalen Verteilung der Sitze in einem Parlament abweichen, werden dabei mehr oder weniger pragmatisch begründet, wie etwa mit dem Ziel stabile Mehrheiten zustande zu bringen.

Das heißt aber nicht, dass Wahlsysteme nicht auch „maßgeschneidert“ werden können, um einer bestimmten politischen Option den Weg zu bereiten, wie etwa das französische Präsidialsystem, das Ende der 1950er-Jahre die Rückkehr von Charles de Gaulle an die Macht ermöglichte. Kombiniert mit einem Wahlsystem, das lange Zeit erlaubte, im Anschluss an jede Präsidentschaftswahl, stabile und konforme Mehrheiten im Parlament hervorzubringen.

Eine zusätzliche Dimension in der Debatte über Wahlsysteme ist die Idee eines Negativwahlrechts, das aktuell in Form einer öffentlichen Petition an das hiesige Parlament eingereicht wurde.

Das Originelle an dem Vorschlag: Wähler*innen, die sich nicht für ein Wahlangebot entscheiden können und so schlimmstenfalls drohen, ins Lager der Nicht-Wähler*innen überzuwechseln, erhalten die Möglichkeit auszudrücken, welchen Kandidat*innen sie ihre Zustimmung am wenigsten gönnen. Im Falle einer Präsidialwahl etwa, bei der zwei Kandidat*innen sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen liefern und am Ende nur wenige Stimmen den Ausschlag geben, könnten zugelassene Negativstimmen durchaus das Gesamtbild und damit das Resultat verschieben. Man zieht einfach die Negativstimmen der Kandidat*innen von ihren positiven Zustimmungswerten ab und das Saldo ergibt dann, wer tatsächlich die Nase vorn hat.

Ein klassisches, aber gar nicht mal so altes Beispiel ist das Duell zwischen Hillary Clinton und Donald Trump im Jahr 2016. In einigen Umfragen hatte sich ergeben, dass Hillary Clinton für große Teile des demokratischen Lagers als nicht wählbar galt. Das Resultat ist bekannt: In einigen entscheidenden Regionen gingen vor allem viele Afroamerikaner*innen nicht zur Wahl und wichtige Swing-States fielen so an Trump. Die gleichen Umfragen zeigten aber auch, dass diese Nicht-Wähler*innen zu großen Teilen noch weniger etwas mit der Kandidatur von Trump anfangen konnten. Hätten sie am Wahltag „gegen ihn“ statt „für sie“ entscheiden können und deshalb den Weg zur Urne vielleicht doch auf sich genommen, wäre die Wahl womöglich anders ausgegangen.

Allein die Fragen, die das Negativwahlrecht aufwirft, verdienen es diskutiert zu werden.

Natürlich passt das Beispiel nur bedingt, denn Hillary Clinton hatte zumindest den „popular vote“ für sich entschieden. Dumm nur, dass das Präsidialamt durch ein Wahl-„männer“-Gremium entschieden wird, das entsprechend dem „winner takes it all“-System durch die einzelnen Staaten beschickt wird. Das steht schon lange in der Kritik, wird aber nicht ohne die Stimmen der Republikaner*innen veränderbar sein. Und einem Negativ-Stimmrecht werden diese wohl auch eine Absage erteilen.

Die Luxemburger Petition zum Negativ-Stimmrecht verfolgt also als Ziel mehr Menschen zum Wählen zu bringen und ihrer Meinung so besser Rechnung zu tragen.

Als weiteres Argument geben die Petitionär*innen an, durch ein Negativ-Votum Extreme verhindern zu wollen und somit die Gesellschaft harmonischer werden zu lassen.

Ob dem wirklich so wäre? Ein Negativ-Stimmrecht brächte unausweichlich auch Negativ-Wahlkampagnen mit sich. „Extreme“ Kandidat*innen sind da ja in ihrem Element, weil sie vorgeben gegen das Establishment anzutreten und deshalb mit Vorliebe beschreiben, weshalb ihre Gegner*innen so schlimm sind. Umgekehrt gefallen sie sich in der Opferrolle und verstehen es perfekt, über die sozialen Netzwerke Angriffe gegen sie in ihr genaues Gegenteil zu verdrehen.

Die von Vertreter*innen des Negativ-Stimmrechtes angeführten Beispiele lassen sich auch leichter auf Zweikämpfe oder auf Wahlsituationen anwenden, bei denen es etwa um einen Posten in einem Wahlkreis geht. Bei Listenwahlen, die zu einer bestimmten Zahl an Gewählten führen, käme es wohl zu einem Abflachen der Stimmenunterschiede, weil bekannte (oder gar berüchtigte) Kandidat*innen eben auch viele Negativstimmen auf sich ziehen. Inwieweit das aber die Zusammensetzung der zu besetzenden Gremien „demokratischer“ macht, ist nicht klar ersichtlich. Und ein viel diskutiertes Problem des Luxemburger Wahlrechts, das Panaschieren quer durch den parteipolitischen Gemüsegarten mit einer gewissen politischen Beliebigkeit als Folge, ist mit einem Negativ-Panaschieren nicht unbedingt gelöst oder könnte sogar verstärkt werden.

Doch auch wenn man nicht von vornherein mit dem Prinzip des Negativ-Stimmrechts sympathisiert: Allein die Fragen, die es aufwirft, verdienen es diskutiert zu werden – und könnten es erlauben auch andere Probleme des einen oder anderen Wahlsystems wieder auf die Tagesordnung zu setzen.


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