Besonders ist an der Serie „Special“ nicht, dass der Hauptcharakter eine Behinderung hat. Ins Auge stechen vor allem die Diversität der Charaktere, Sex und Hass auf Eltern.
Wer macht sich schon freiwillig selbst zum Antihelden? Ryan O’Connell. Der amerikanische Regisseur hat nicht nur das Drehbuch zur teilweise autobiografischen Serie „Special“ geschrieben. Er spielt darin auch den Hauptcharakter mit dem er sich einen Vornamen teilt. Ryan ist Ryan: Ein schwuler Mann Ende zwanzig mit einer milden Zerebralparese und starken Gefühlen. In der Serie geht es um Liebe, Hass und Sex.
Zu Beginn der ersten Staffel ist Ryan noch Jungfrau und lebt bei seiner Mutter Karen. Die beiden haben ein inniges Verhältnis. In der Serie fällt des Öfteren der Begriff „co-dependent“: Mutter und Sohn sind voneinander abhängig. Karen schiebt das auf Ryans Zerebralparese – stark vereinfacht erklärt, handelt es sich dabei um eine Bewegungsstörung. Ihr Ursprung liegt in einer frühkindlichen Hirnschädigung. Karen traut Ryan nicht zu, den Alltag ohne sie zu meistern und will ihn möglichst immer um sich haben. Ryan hingegen fühlt sich schuldig für die Einsamkeit seiner Mutter und verantwortlich für ihr Glück.
Aus dieser Verbundenheit entwachsen emotionale und verletzende Konflikte. Karen hält Ryan im Streit vor, wie sehr seine Bewegungsstörung ihr Leben umgeworfen hat. Ryan hingegen geht hart mit seiner Mutter ins Gericht als er herausfindet, dass sie ihm Neuigkeiten aus ihrem Liebesleben vorenthalten hat. So heftig, dass Karen sich von ihrem Partner distanziert, um ihren Sohn zurückzugewinnen. Generell sind die Beziehungen zwischen Eltern und ihren erwachsenen Kindern in „Special“ extrem. Weder Menschen mit Behinderung noch alleinerziehende Mütter oder eine an Demenz erkrankte Seniorin bleiben verschont – das hat stellenweise etwas skandalöses, gebe es da nicht zwischendurch O’Connells komödiantisches Augenzwinkern. Die dargestellten Konflikte reichen vom Fatshaming der Tochter bis hin zum offenen Hass auf der Trauerfeier der eigenen Mutter.
Die besagte Tochter heißt übrigens Kim, hat indische Wurzeln und ist Ryans Arbeitskollegin. Von ihren Leser*innen wird Kim für ihren selbstbewussten Umgang mit ihrem Körper gefeiert, von ihrer Mutter am Esstisch diskriminiert. Kim kämpft nicht nur mit ihrer Mutter – sie hat außerdem einen riesigen Schuldenberg und fühlt sich weder der amerikanischen noch der indischen Gesellschaft zugehörig. Das sorgt für komplexe Erzählstränge, die der Haupthandlung fast die Show stehlen. Allgemein sind O’Connells Nebencharaktere starke Persönlichkeiten mit spannenden Geschichten.
So auch Henry, ein Freund und Verehrer von Ryan. Henry ordnet sich dem autistischen Spektrum zu, trägt gern Krönchen und Ballkleider. Der Charakter kommt in der Serie leider etwas zu kurz, doch was man von ihm sieht, überzeugt. Henry hat zusammen mit anderen Menschen die Gruppe „The Crips“ gegründet: ein Treffpunkt für Menschen mit Behinderung. Die Mitglieder der Gruppe sind in jeder Hinsicht verschieden – und umso interessanter sind ihre Gespräche. Viele von ihnen erfahren Mehrfachdiskriminierung, wie etwa eine Schwarze Rollstuhlfahrerin, die in einer Szene nebenbei Kritik an der Polizeigewalt gegen Black, Indigenous and People of Color (BIPOC) übt.
Ähnlich divers wie „The Crips“ sind O’Connells Darbietungen von Sex: Weder das Alter noch der Körper der Charaktere spielen dabei in dem Sinne eine Rolle, dass sie für ein erfülltes Sexleben ausschlaggebend sind. Die Serie vermittelt lobenswerterweise den Eindruck, dass jeder Mensch ein Recht auf Sexualität hat und diese so wild oder offen ausleben darf, wie es ihm und seinen Sexpartner*innen gefällt. Neben dieser Offenheit wird aber auch das Sexleben eines Menschen mit Behinderung thematisiert. Ryan hat im Verlauf der zwei Staffeln wechselnde Sexpartner. Seine Zerebralparese ist immer ein Thema. Mal weil Ryan sich aufgrund seiner Bewegungsstörung vor Sexualkontakten scheut, mal weil er von einem Typen zum Fetisch degradiert wird. Ryan hat vor allem romantische und sexuelle Beziehungen mit Menschen ohne Behinderung, was in manchen Szenen zu hitzigen Diskussionen und beidseitigem Unverständnis führt.
Ist „Special“ wegen der Ernsthaftigkeit dieser Themen trocken? Nein, absolut nicht. Zwar ist O’Connells Humor gewöhnungsbedürftig, doch ist er ein guter Ausgleich zu den teilweise harten Szenen. Das Besondere an „Special“ ist, dass die Serie zwei Lesarten zulässt: Sie geht als leichte Kost durch, kann einen aber auch intensiv beschäftigen. Wer sich näher mit den aufgeworfenen Fragen auseinandersetzt merkt schnell, dass sich hinter O’Connells Komödie wichtige Themen verstecken: die Wahrnehmung und Wertung von Körpern oder auch die Vorstellungen von Liebe, Beziehungen und Familie. Trotzdem ist nach er zweiten Staffel, die vor wenigen Wochen auf Netflix veröffentlicht wurde, Schluss. Warum genau, ist unbekannt.