EU-Gipfel versagt beim Klimaschutz

Eigentlich sollte es Anfang letzter Woche vorangehen bei der Umsetzung des europäischen 55-Prozent-Ziels. Doch die Ansichten darüber, wie eine gerechte Lastenverteilung aussieht, klaffen zu weit auseinander.

Kohlekraftwerk Bełchatów. Ist Polen an allem schuld?
(Wikimedia; Phil MacDonald CC BY-SA 4.0)

Es war ein erfolgreicher Gipfel, der Anfang vergangener Woche in Brüssel stattfand. Zum einen einigten sich die Staats- und Regierungschef*innen auf die Einführung eines EU-weit gültigen „Grünen Zertifikats“, also einer Art Covid-Impfpass. Auch wenn dabei noch viele Details ausstehen oder den Mitgliedstaaten überlassen bleiben, so dürfte diese Grundsatzentscheidung doch eine unaufhaltsame Eigendynamik entwickeln. Zum anderen war man sich ausnahmsweise einmal bei einer außenpolitischen Frage einig: Die Sanktionen gegen das belarussische Regime wurden verschärft – wenig erstaunlich angesichts der politischen Isolation, in die sich Alexander Lukaschenko manövriert hat.

Beide „Erfolge“ helfen zu übertünchen, dass EU-Kommission und Mitgliedstaaten in der wirklich wichtigen Frage, die auf der Tagesordnung stand, ein Totalversagen vorzuweisen haben: die Umsetzung des neuen 55-Prozent-Klimaziels. Zur Erinnerung: Am 21. April hatten sich Parlament und Ministerrat auf dieses von der Kommission vorgeschlagene Ziel geeinigt. Bis dahin galt das 2015 im Vorfeld der Pariser Klimakonferenz beschlossene Ziel einer Senkung des CO2-Ausstoßes von 40 Prozent gegenüber 1990. Von der Umweltbewegung wurde dieses Ziel von Anfang an als unzureichend kritisiert, doch beim jetzigen Wissensstand erscheinen auch 55 Prozent als nicht ausreichend, um die Erwärmung unter 1,5 Grad zu halten.

Wie das neue Ziel umgesetzt werden soll, insbesondere wie die zusätzlichen CO2-Einsparungen zwischen den Ländern verteilt werden sollen, sollte am 24. und 25. Mai erstmals diskutiert werden. Weil man sich aber auf gar nichts einigen konnte, beschränkt sich das Abschlussdokument des Gipfels in dieser Frage auf Belanglosigkeiten.

Polen gegen ETS

Wie die Online-Zeitung Euractiv berichtet, sind Passagen aus dem Vorentwurf für das Abschlussdokument weggelassen worden. Als möglichen Grund nennt Euractiv den Wille der ost- und zentraleuropäischen Staaten, am derzeitigen Rechenmodus für die Verteilung der Einsparungen festzuhalten. Dabei wird vor allem das Pro-Kopf-BIP berücksichtigt – eine Vorgehensweise, die den reicheren Ländern ein Dorn im Auge ist.

Laut dem Online-Magazin Politico ist die Pattsituation auf Polens abwehrende Haltung zurückzuführen. Die Gipfelteilnehmer*innen hätten sich nicht auf eine Diskussion über Forderungen nach mehr EU-Hilfen für die Umstellung und nach einer stärkeren Belastung der reichen Länder einlassen wollen. Als Stein des Anstoßes führt Politico den Vorschlag der Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen an, den CO2-Marktmechanismus (European Union Emissions Trading System, ETS) auf den Transport- und den Gebäudesektor auszudehnen. Premierminister Mateusz Morawiecki habe argumentiert, die jetzigen Mechanismen zur CO2-Bepreisung seien unfair gegenüber von Ost- und Südeuropa.

Wer ist „Fit for 55“?

Die Erklärung, wieder einmal seien Polen und andere osteuropäische Staaten „schuld“, mag für Teile der westeuropäischen Öffentlichkeit ausreichen – die Realität ist sicher komplizierter. Das ökologisch-strukturelle West-Ost-Gefälle geht einher mit dem langjährigen Stillstand bei der ökonomischen und sozialen Konvergenz innerhalb der EU. Ein Problem, das dem Mangel an politischem Willen bei den EU-Eliten geschuldet ist – und das bestimmt nicht mit Marktmechanismen zu lösen ist.

Die Diskussion erinnert an die Konflikten zwischen globalem Süden und Norden bei den internationalen Klimaverhandlungen. Dort geht es gewiss zum Teil darum, falsche Orientierungen durch Entwicklungsdefizite im Süden zu überwinden, aber auch um die Frage der sozialen Gerechtigkeit, wenn durch die Klimapolitik den Menschen in ärmeren Ländern drastische Einschränkungen und Einkommensverluste aufgebürdet würden. Insofern ist der Hinweis auf die soziale Ungerechtigkeit viel mehr als nur ein Trick, den polnischen Kohleausstieg zu verzögern.

Durch den Verzicht auf einen Gipfelbeschluss in der Klimafrage hat jetzt die Kommission freie Hand beim „Fit for 55“-Klimaschutzprogramm, das sie den Mitgliedstaaten und dem Parlament Mitte Juli vorlegen soll. Spätestens dann wird die EU die Diskussion über Klimagerechtigkeit und Sinn von Marktmechanismen wieder aufnehmen müssen.


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