Spanien: Tiefer Blick in die Vergangenheit

Spaniens Umgang mit seiner faschistischen Vergangenheit ist bis heute problematisch. Die Exhumierung des ehemaligen Diktators Francisco Franco am vergangenen Donnerstag aber lässt auf eine bessere Zukunft hoffen.

Foto: Tessy Troes

Das Kreuz sieht man schon von der Autobahn aus – 150 Meter hoch ragt es über dem „Valle de los Caídos“, dem Tal der Gefallenen, etwa 60 Kilometer von der Hauptstadt Madrid entfernt. Hat man sein Eintrittsgeld für den Park bezahlt, lässt der Bus einen am Fuße dieses Kreuzes aussteigen, nur einen Katzensprung entfernt vom Eingang des spartanischen, aus Granit gebauten Monumentes. 260 Meter tief kann man in den Berg eindringen, bis man vor dem Altar der unterirdisch angelegten Basilika steht. Auf der einen Seite sieht man das Grab von José Antonio Primo de Rivera, Gründer der Falange Española, auf der anderen Seite das von Francisco Franco, General und Diktator bis zu seinem Tod 1975, letzteres geschmückt mit frischen Blumen.

Es sind die einzigen beiden Namen, die man in der Basilika findet – mehr als 30.000 weitere Menschen, die während des spanischen Bürgerkrieges zwischen 1936 und 1939 starben, liegen hier  en masse und namenlos begraben. Anstatt einer Hommage wurde das Monument vielmehr zu einem Schrein der Nationalist*innen, die sich Jahr für Jahr an Francos Todestag hier versammelten; geächtet und verdrängt von vielen Spanier*innen, die lieber nicht mehr so tief auf die Geschichte hinschauen. Eine Infotafel darüber, wie und warum dieses pompöse Massengrab gebaut wurde, sucht man in der Basilika und der Umgebung vergebens. Francos Adler schaut immer noch von der Basilika über das Tal hinaus.

In den Massengräber ist Franco nicht vergessen

Spanien tut sich schwer mit seiner Vergangenheit – gefestigt durch den „pacto del olvido“, den Pakt des Vergessens, auf den man sich politisch nach Francos Tode einigte. Eine Generalamnestie für alle, die sich an den Gräueltaten des spanischen Bürgerkrieges beteiligten. 2007 kam dann das Gesetz des historischen Gedenkens, welches die Opfer und Nachfahr*innen der Opfer von Bürgerkrieg und Diktatur anerkennt, und durch das überhaupt erst damit begonnen wurde, Massengräber zu öffnen. Vier Jahre später versuchten die Sozialdemokrat*innen um Zapatero im Rahmen dieses Gesetzes, das Tal der Gefallenen zu einem Ort des Gedenkens zu machen und Franco zu exhumieren. Diese Pläne wurden aber in den sieben darauffolgenden Jahren von konservativen Regierungen verworfen.

Für den Sozialdemokraten Pedro Sánchez, der durch ein Misstrauensvotum 2018 auf den Posten des spanischen Ministerpräsidenten rutschte, wurde Francos Exhumierung zu einem der wichtigsten Unterfangen seiner bisherigen Amtszeit. 16 Monate lang widersetzte sich Francos Familie mit allen möglichen legalen Mitteln der Exhumierung oder schlug vor, die Grabstätte des ehemaligen Diktators in die Krypta der Almudena-Kathedrale im Zentrum von Madrid zu verlegen. Schlussendlich, nachdem alle juristischen Instanzen grünes Licht gegeben haben, werden die sterblichen Überreste auf dem Friedhof El Pardo-Mingorrubio, neben jenen seiner Frau Carmen Polo ruhen.

Symbolik der Exhumierung, für Pedro Sánchez und für die Ultrarechten

In dieser medienwirksamen Vergangenheitsbewältigung war der Ablauf genauestens geplant, um Herr der Narrative zu bleiben: Nur der öffentlich-rechtlichen TVE war es erlaubt, Kameras aufzustellen. Als ein Polizist die Personalien eines Angehörigen aufnehmen wollte, weil dieser filmte, rief die Familie, es sei ja hier wie in einer Diktatur. Francos Familie regte sich auch darüber auf, dass die Hämmer, die man benutzte, um Franco auszugraben, zu laut seien. Den Transport des Sarges begleiteten die Enkel*innen mit „Viva España“ und „Viva Franco“-Rufen.

Ein letztes Detail konnte die spanische Regierung an diesem historischen Tag nicht kontrollieren: Francos Familie hatte als Priester für die Messe im Familienmausoleum ausgerechnet Ramón Tejero ausgesucht. Er ist der Sohn von Antonio Tejero, dem Oberstleutnant, der 1981 mit seinen Leuten das spanische Parlament besetzte und einen Militärcoup gegen die noch junge Demokratie versuchte.

Etwa 63.000 Euro ließ die spanische Regierung sich die Exhumierung und Verlegung von Francisco Francos sterblichen Überresten kosten. Gerne hätte man dies zum wichtigsten politischen Event wenn nicht des Jahres, dann doch zumindest des Monates gemacht. Sánchez sagte am Donnerstagnachmittag: „Diese Entscheidung markiert das Ende einer moralischen Beleidigung (…) Wir machen einen weiteren Schritt zur Versöhnung, welche nur in der Demokratie und Freiheit, die wir alle teilen, existieren kann.“

Die Bilder, die diesen Monat national wie auch international dominierten, kamen jedoch nicht aus dem Norden, sondern aus dem Westen von Madrid: Francos Exhumierungsdatum fiel genau in die heftigste Protestwelle der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung. Die etwa 500 nationalistischen Anhänger*innen, die ihren Caudillo auf seiner letzten Reise nach Mingorrubio begleiteten, gaben ihre Meinung dazu singend bekannt: „Unser Problem ist nicht Franco, unser Problem ist Katalonien.“


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