Queere Identitäten und Geschichten sind in Videospielen viel präsenter als man vermuten könnte. Das Medium eignet sich wie kein anderes für queere Repräsentation.
Von Dezember 2018 bis Mitte Mai 2019 war im Schwulen Museum in Berlin mit „Rainbow Arcade“ die weltweit erste Ausstellung über queere Inhalte in Videospielen zu sehen. Den Besucher*innen wurden mehr als 30 Jahre Videospielgeschichte näher gebracht, die sich sowohl durch positive als auch negative Repräsentation von Queerness auszeichnete. Selbstermächtigung queerer Entwickler*innen sowie Diskriminierung in Spielen und Communities waren ebenso Inhalt wie die beeindruckenden Mittel, mit denen Designer*innen sogenannter Indie-Games neue Pfade beschreiten.
Obwohl die Berliner Ausstellung das erste Beispiel ist, in dem queere Elemente in Videospielen es in ein Museum geschafft haben, ist die Beschäftigung damit alles andere als neu – es gibt schon so lange queere Games, wie es Videospiele gibt. Dass hierüber vergleichsweise wenig gesprochen wird, liegt vermutlich daran, dass hier zwei Elemente aufeinandertreffen, die im Mainstream-Diskurs nur am Rande vorkommen: Queerness und die Anliegen der LGBTIQA-Community sowie Videospiele, welche als erzählerisches Medium immer noch wenig ernstgenommen werden.
Eins der ältesten, wenn nicht sogar das erste Beispiel für queere Videospiele ist das 1989 erschienene „Caper in the Castro“. Die Spieler*innen schlüpfen in die Rolle der lesbischen Privatdetektivin Tracker McDyke, die auf der Suche nach der entführten Drag Queen Tessy LaFemme ist. Die Handlung spielt in dem historisch LGBTIQA-freundlichen Stadtteil Castro in San Francisco und enthält viele Anspielungen an das dortige Leben.
Immer schon dagewesen
Die Entwicklerin C.M. Ralph hatte das Spiel mithilfe des HyperCard-Systems programmiert. Das war eigentlich als virtueller Zettelkasten für Büroanwendungen gedacht. „Caper“ steht daher nicht nur exemplarisch für ein queeres Spiel, sondern auch für die kreative Energie, mit der so manche Programme zweckentfremdet oder verändert werden, um sie zu „queeren“. Oft experimentieren queere Games auch mit der Form und loten Grenzen aus: jene von Genres als auch die davon, was ein Spiel ausmacht.
„Caper in the Castro“ wurde kostenlos über Bulletin Boards (frühe Vorläufer von Internet-Foren) verbreitet. Die Spieler*innen wurden aufgefordert, dafür an eine Aids-Organisation zu spenden. Später verkaufte Ralph eine Version namens „Murder on Main Street“ an eine Software-Firma. In dieser entfernte sie jedoch sämtliche queere Elemente und Anspielungen, aus Angst, das Spiel werde sich sonst nicht verkaufen. Beide Versionen können mittlerweile im „Internet Archive“ gespielt werden.
Den umgekehrten Weg ging Ryan Best. Nachdem er 1992 herausfand, dass er wegen eines ungünstigen Vertrages kaum Geld für seine Arbeit an dem Spiel „Citadel of the Dead“ verdienen würde, programmierte er eine abgeänderte Version des Rollenspiels namens „GayBlade“. Ähnlich wie im Original fanden sich die Spieler*innen als Held*innen in einem Kerker wieder, mussten hier jedoch homofeindliche Politiker, Evangelikale und Skinheads statt Fantasy-Monster töten. Das Spiel erhielt erstaunlich viel Aufmerksamkeit, sogar auf der anderen Seite des Atlantiks: 1993 berichtete „Der Spiegel“ in einer Kurzmeldung über „das erste Spiel für Schwule und Lesben“.
Queere Inhalte fanden sich aber auch schon recht früh in einigen Mainstream-Games, wenngleich häufig versteckt. Die Figur „Birdo“, die in vielen „Super Mario“-Spielen vorkommt, stellt laut einem Text im Handbuch von „Super Mario 2“ eine trans Frau dar. Allerdings ist der Hersteller Nintendo nicht sehr konsequent gewesen, was diese Darstellung angeht. In Japan erschient 2008 ein Spiel namens „Captain Rainbow“, in dem die Spieler*innen „Birdo“ aus dem Gefängnis befreien müssen – wo die Figur sitzt, weil sie das „falsche“ Klo benutzt hat.
„Birdo“ zeigt auch ein wiederkehrendes Muster auf: Während in japanischen Videospielen oft sehr offen mit queeren Inhalten umgegangen wird, werden diese im Westen ausradiert, um die Verkaufszahlen nicht zu gefährden. Allerdings muss dabei auch beachtet werden, dass männliche Figuren, die im Westen als effeminiert (und in Konsequenz daraus oft als schwul) interpretiert werden, oft einfach einer anderen Ästhetik entsprechen.
Dennoch haben auch in den 1990er-Jahren bereits viele westliche Videospiele queere Charaktere enthalten. Allerdings waren diese oft stereotyp dargestellt oder wurden schlichtweg diskriminierend behandelt. So enthielt die „Leisure Suit Larry“-Reihe, die ohnehin vor Sexismus nur so strotzte, zwar schwule, lesbische und trans Charaktere, diese allerdings wurden allesamt negativ dargestellt. Ziel des Spieles war es, als Larry möglichst viele Frauen zu verführen. Gingen die Spieler*innen auf die Avancen einer schwulen Figur ein, wurde das Spiel mit einer homofeindlichen Botschaft beendet.
Bisexuell aus Faulheit
Anfang des Jahrtausends wurden Rechner leistungsstärker, die technischen Möglichkeiten wuchsen und Computer zogen in immer mehr Haushalte ein. Damit popularisierten sich auch Videospiele. Im Februar 2000 erschien „The Sims“, eines der meistgespielten Games der Welt, bei dem die Spieler*innen das Leben recht normaler Vorstädter*innen managen müssen. Bereits in der ersten Version des Spiels gab es die Möglichkeit gleichgeschlechtlicher Beziehungen, wobei auch Kinder adoptiert werden konnten. Es dauerte allerdings bis zur dritten Ausgabe, die 2006 erschien, bis gleichgeschlechtliche Paare auch formell heiraten durften. 2016 erschien ein Update zu „The Sims 4“, das trans Charaktere ermöglicht.
Die Sims-Reihe bietet mit ihrer offenen Spielwelt, die ohne fixe Ziele oder große Begrenzungen daherkommt, eine ideale Plattform für queere Spieler*innen, um sich auszuprobieren – ob Beziehungskonstellationen oder virtuelles Genderbending. Ähnliche Möglichkeiten bieten viele Rollenspiele, die eine Anpassung des Spielcharakters anbieten. So kann man nicht nur sein virtuelles Ebenbild als Abenteurer*in in einer Fantasywelt erschaffen, sondern auch noch erleben, wie es sich anfühlt, wenn diese Figur ein anderes Geschlecht als das eigene hat.
Im Rollenspiel-Genre ist es oft möglich, eine Romanze mit vom Computer gesteuerten Charakteren (sogenannte NPCs – non player character) einzugehen. Manchmal – und immer öfter – gibt es gleichgeschlechtliche Optionen. Dabei haben unterschiedliche Entwickler*innen sehr verschiedene Zugänge. Der Creative Director des Titels „Fable“ erzählt in einem Interview mit dem Online-Magazin „Gamasutra“, dass die virtuellen Dorfbewohner*innen lediglich eine Variable für „Anziehung zur Spieler*innenfigur“ einprogrammiert hätten. Bi- oder Pansexualität wurde in „Fable“ also zum Standard, weil die Entwickler*innen nicht einsahen, warum sie sich die Mühe machen sollten, die NPCs als Hetero- oder Homosexuelle zu programmieren.
In „Fable II“ wurde dies geändert, und NPCs hatten eine fest definierte Sexualität, wie das beispielsweise auch in „Dragon Age“ von den Entwickler*innen gehandhabt wird, während „Skyrim“ weiterhin an dem „Alle sind bi“-Modell festhält. Wie bei den meisten Aspekten von Spielen müssen Entwickler*innen auch bei Romantik und Sexualität einen Spagat zwischen Freiheit für die Spieler*innen und Realismus finden. Oft spielen diese Aspekte in den genannten Fantasy-Rollenspielen ohnehin eine Nebenrolle, weswegen Homofeindlichkeit eher selten vorkommt.
Heterosexuelle Beliebigkeit
Gemeinhin wird Sexualität als Gimmick behandelt. Selbst in Spielen, in denen eine Romanze zwischen Spieler*in und NPC wesentlich zum Plot beiträgt, macht es oft keinen Unterschied, welche sexuelle Orientierung das Paar hat. In „Dragon Age“ gibt es explizit bisexuelle NPCs, die die Spieler*innen in Dialogen nach ihrer Meinung dazu fragen. Eine negative Antwort kann dazu führen, dass diese NPCs keine Romanze mehr mit dem Spieler*innencharakter eingehen wollen.
In den meisten Medien wie Büchern, Filmen oder Serien sind queere Charaktere und gleichgeschlechtliche Paare selten. Queere Lesarten sind höchstens in der Fankultur, abseits des Quellenmaterials (dem sogenannten Canon) möglich. In Spielen ist es hingegen an den Spieler*innen selbst, die Sexualität ihrer Spielfigur zu bestimmen und Möglichkeiten auszuloten.
Die Austauschbarkeit von NPCs als romantische Partner*innen, die viele Spiele bieten, ist dabei sehr ambivalent: Einerseits schafft das Spiel einen Schutzraum, in dem mit Sexualität und Geschlecht experimentiert werden kann. Wer will, kann als lesbische Zwergin oder bisexueller Elf die virtuellen Welten von „Dragon Age“ erkunden, ohne im echten Leben Konsequenzen fürchten zu müssen. Dies ist vielleicht besonders für jüngere Spieler*innen eine interessante Möglichkeit. Andererseits wird durch diese Beliebigkeit suggeriert, die Erfahrungen queerer Personen seien exakt die gleichen wie jene von Heterosexuellen.
In Multiplayer-Spielen sieht die Sache ganz anders aus: Die Mehrheit der Spieler*innen ist oft jung, männlich, weiß und hetero. Diskriminierung von Frauen und queeren Menschen steht oft auf der Tagesordnung, weshalb viele von ihnen Sprachchats meiden und sich als Männer ausgeben, um in Ruhe spielen zu können. Kurz nachdem die feministische Medienkritikerin Anita Sarkeesian in Youtube-Videos sexistische Stereotype in Videospielen kritisierte, wurde sie im Rahmen der „Gamergate“-Bewegung förmlich mit Hassbotschaften überschüttet.
Bei Gamergate ging es vordergründig um „Ethik im Spielejournalismus“. Allerdings bestand die Sorge der Aktivist*innen vor allem darin, dass die Werke von Frauen und queeren Personen zu wohlwollend von der Spielepresse aufgenommen wurden – weshalb sie Sarkeesian oder auch die queere Spieleentwicklerin Zoë Quinn monatelang mit Hate Speech und Morddrohungen belästigten. Viele von denen, die im Zuge von Gamergate politisiert wurden, sind mittlerweile zur „alt-right“-Bewegung in den USA weitergezogen. Der Diskurs über die „Social Justice Warriors“, die Spiele unnötig politisieren würden, wird allerdings weitergeführt. Optionen wie gleichgeschlechtliche Romanzen oder ausschließlich weibliche Spielfiguren in Actionspielen werden als „politisch“ wahrgenommen, während der Standard (weiß, hetero, männlich) als „unpolitisch“ aufgefasst wird.
Zoë Quinn ist in diesem Kontext besonders interessant, da Gamergate sich anfangs an einer Rezension zu ihrem Spiel „Depression Quest“ aufhing, die sie angeblich durch Sex mit dem Journalisten beeinflusst haben sollte. Der betreffende Journalist hat allerdings nie über das Spiel geschrieben. „Depression Quest“ ist ein eher kurzes, sehr textlastiges Spiel, das mit den Konventionen traditioneller Videospiele bricht und die Realität von Menschen mit Depressionen erfahrbar macht. Auch wenn „Depression Quest“ kein explizit queeres Spiel ist, so zeigt sich ein Muster: Queere Spiele von Indie-Entwickler*innen haben oft andere Mechaniken und Herangehensweisen als jene von großen Studios.
Schwule Orks und queere Zukunftsvisionen
Im Browserspiel „Lim“ von Merritt Kopas kontrollieren die Spieler*innen ein kleines Rechteck, das durch ein Labyrinth geführt werden muss. Um an feindlichen Rechtecken vorbeizukönnen, muss es sich anpassen, was wiederum Lebensenergie verbraucht. Das Spiel ist eine Metapher für das „Passing“ von trans Personen, also jene Veränderungen, die vorgenommen werden müssen, um im richtigen Geschlecht wahrgenommen zu werden. „Experience the violence of blending in“, fasst Kopas das Spiel zusammen, das durch eine abstrakte Mechanik mehr ausdrückt als so mancher Blockbuster-Titel großer Spielestudios.
Nicht alle queeren Spiele sind derart unkonventionell. „Dream Daddy“, entwickelt von Mitgliedern des Youtubekanals „Game Grumps“, stellt das vor allem in Japan beliebte Genre des Dating-Simulators auf den Kopf: Normalerweise sind die Protagonist*innen von Dating-Simulatoren Teenager, die die große Liebe finden sollen. In „Dream Daddy“ ist die Hauptperson ein alleinerziehender Vater, der mit anderen Vätern in der gleichen Familiensituation flirtet. Für ein Nischenprodukt war das Spiel ein erstaunlicher Erfolg.
„Tusks“ von Mitch Alexander ist ebenfalls ein queerer Dating-Simulator, statt alleinerziehenden Vätern sind es hier allerdings kriegerische Orks in einer Fantasy-Welt, die gedatet werden können. Das Spiel bietet nicht nur einen kritischen Blick auf Männlichkeit, Beziehungen und Sexualität, sondern bietet mit seinem Fokus auf die klassischen Gegenspieler*innen in Fantasywelten auch einen erfrischenden Perspektivenwechsel.
Viele queere Spiele sind dem Cyberpunk-Genre einzuordnen, spielen also in einer nicht allzu fernen Zukunft, in denen Menschen ihre Körper mit kybernetischen Implantaten verbessern und Androiden sowie künstliche Intelligenz allgegenwärtig sind. Queere Fragestellungen zu Körpern und Geschlecht passen gut in so eine Welt. Beispiele sind „2064: Read Only Memories“, bei dem die Spieler*innen einen Kriminalfall lösen müssen oder „VA-11 HALL-A“, das als „Cyberpunk Bartender Simulation“ beworben wurde. In letzterem mixen die Spieler*innen virtuelle Drinks, was die einzige Interaktionsmöglichkeit darstellt. Eine einzigartige Mechanik, die gut die Kreativität queerer Spiele aufzeigt.
Da es mittlerweile viele Möglichkeiten gibt, auch ohne große Ressourcen eigene Spiele zu entwickeln und sie beispielsweise auf der Plattform itch.io zur Verfügung zu stellen, sind Videospiele ein demokratischeres Medium geworden, in dem selbstverständlich auch Fragen zu Sexualität und Geschlecht behandelt werden. Wie bei kaum einem anderen Medium bieten sich am Computer oder an der Konsole mannigfaltige Möglichkeiten, andere Identitäten auszuprobieren oder von der Repräsentation queerer Charaktere zu lernen.
Queere Games auf woxx.lu
Neugierig geworden? In den nächsten Wochen und Monaten werden wir auf unserer Website woxx.lu Rezensionen von einigen queeren Videospielen veröffentlichen; sowohl von solchen, die in diesem Artikel erwähnt wurden, als auch von jenen, die es aus Platzgründen nicht mehr in den Artikel geschafft haben. Über Anregungen und Feedback freuen wir uns natürlich auch.