Wie die EU eine Klimaklage abblockt

An Argumenten fehlte es den Kläger*innen nicht. Doch die EU-Justiz hat die Klage dieser vom Klimawandel direkt betroffenen Personen als nicht zulässig eingestuft.

Aktion von Climate Action Network Europe vor dem Gerichtsgebäude in Luxemburg. (© Morris KEMP)

„Die EU-Justiz stellt sich taub gegenüber den von der Klimakrise Betroffenen“, so die Reaktion der „People’s Climate Case“-Gruppe auf das Urteil vom 25. März (Kurznachricht in woxx 1625). Die Gruppe von Kläger*innen besteht aus mehreren Familien aus EU-Staaten, sowie Kenia und Fidschi, die bereits jetzt konkret unter den Folgen des Klimawandels leiden (woxx 1502: 1,5 Grad per Gerichtsurteil?). Im Pressekommuniqué von „Climate Action Network Europe“ und den Kläger*innen wird auf andere Gerichte in Europa verwiesen, die aufgrund von Klimaklagen staatliche Instanzen verurteilt haben. Und bedauert: „Mit dieser Entscheidung verpasst es die EU-Justiz, Teil der Welle von nationalen und übernationalen Gerichtsbarkeiten zu werden, die eine wichtige Rolle spielen, um die Regierungen in Sachen Klimaversäumnisse zur Rechenschaft zu ziehen.“

Zum Verfahrensbeginn 2018 hatten die Kläger*innen auf den ihnen entstehenden materiellen Schaden verwiesen sowie auf die Gefährdung ihrer Menschenrechte wie dem Recht auf Leben, Gesundheit, Arbeit oder Eigentum, die von der EU-Grundrechtecharta garantiert sind. Sodann hatten sie belegt, warum das EU-Klimaziel von 2014, also eine Reduktion des CO2-Ausstoßes um 40 Prozent bis 2030, nicht ausreichend waren. Doch beide Instanzen der EU-Justiz sind nicht auf die Versäumnisse der EU eingegangen, sondern haben sich auf prozedurale Fragen beschränkt, um die Klage als nicht zulässig einzustufen. Dabei haben sie sich auf eine Jurisprudenz von 1963 berufen, die eine „Einzigartigkeit der Betroffenheit“ verlangt und damit das Klagerecht für Einzelpersonen stark einschränkt.

Die Angst des EuGH vor den Bürger*innen

„Diese Familien haben darauf vertraut, dass die EU-Justiz ihre Rechte schützen würde“, so der Vorwurf von Roda Verheyen, der juristischen Koordinatorin des „People’s Climate Case“. Doch die EU-Gerichte hätten ihren Interpretationsspielraum nicht genutzt und auf eine Weise argumentiert, die ihre „Angst vor den Klagen der Bevölkerung“ zeige. Im Kommuniqué wird erläutert, dass die Argumentation der EU-Justiz zu einem Paradox führe: „Je universeller und gravierender ein Problem ist, umso weniger Personen können juristisch dagegen vorgehen.“

Außerdem hätten die Gerichte die Frage nicht beantwortet, wo und wie die Kläger*innen ihre Rechte geltend machen könnten – nur, dass die EU-Justiz nicht zuständig sei, obwohl es sich ja um einen EU-Beschluss handelt. Sowohl der Europäische Rat als auch das Parlament hatten vor Gericht dafür plädiert, die Klage nicht zuzulassen. Interessanterweise haben beide, zusammen mit der Kommission, in der Zwischenzeit die Klimaziele für 2030 nach oben revidiert (Reduktion um 55 Prozent) und damit den Kläger*innen in der Sache recht gegeben.

Wie weiter nach dem People’s Climate Case?

Allerdings werden aufgrund der jüngsten Studien die 2018 geforderten mindestens 50 Prozent mittlerweile als unzureichend angesehen. Um einen fairen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten, müsste die EU ihren CO2-Ausstoß bis 2030 um 65 Prozent gegenüber 1990 senken, so die Schätzung von Climate Action Tracker.

Für Klimaschützer*innen, die auf das juristische Vorgehen gesetzt hatten, um den Klimawandel zu stoppen, ist das Urteil enttäuschend. Vielen ist aber die Informationsarbeit rund um die Klimaklagen wichtiger, oder sie stellen gar die Idee, politische Fehlentwicklungen durch Gerichtsurteile zu „korrigieren“, grundsätzlich in Frage (woxx 1620: Staat und Klimawandel). Für EU-Kritiker*innen wiederum ist das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) von diesem Donnerstag eine Bestätigung dafür, dass die Institutionen im Dienste der Wirtschaft statt der Bürger*innen stehen. Worauf sich alle einigen können: Weitermachen gegen den Klimawandel, in Gerichtssälen, in Parlamenten und vor allem – auf der Straße.

 


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