Mit Gerichtsklagen mehr Klimaschutz durchsetzen ist den Versuch wert. Doch die Methode hat ihre Grenzen.
In Frankreich hat ein Gericht die Regierung dafür haftbar gemacht, dass das Land seinen Beitrag zum Klimaschutz leistet. Der als „Affaire du siècle“ (Große Sache des Jahrhunderts) bekannte Prozess wurde als großer Erfolg für die Klimabewegung gefeiert. Nachdem zuvor die Niederlande per Gerichtsbeschluss gezwungen wurden, ihr CO2-Reduktionsziel für 2020 von 20 auf 25 Prozent zu erhöhen, werden nun weitere Klimaprozesse erwartet. Die Politik scheint zu versagen – wird in den nächsten Jahren der Klimawandel durch Gerichtsurteile abgewendet werden?
Nein, und es wäre falsch, zu sehr auf diese Aktionsmöglichkeit zu setzen. Zum einen, weil bei aller Freude über die positiven Urteile in den Niederlanden und Frankreich die Kläger*innen sich nur in bestimmten Punkten durchgesetzt haben. Zum anderen, weil solche Prozesse schwierige juristisch-technische und verfassungsrechtliche Fragen aufwerfen.
Dennoch darf man sich über das Urteil in der „Affaire du siècle“ freuen. Anders als erwartet hat sich das französische Verwaltungsgericht nicht hinter den Schwierigkeiten versteckt, einen kausalen Zusammenhang zwischen bestimmten Umweltschäden und der Erderwärmung festzustellen, sondern hat die Verantwortung des Staates für solche Schäden anerkannt. Das ist insofern eine Premiere, als bisher in Frankreich die Haftung für Umweltschäden nur im Rahmen des Zivil- und nicht des Verwaltungsrechts einklagbar war. Auch Entschädigungsansprüche für die Auswirkungen des Klimawandels hat das Gericht nicht ausgeschlossen.
Dass Regierungen überhaupt haftbar sind, wenn sie unzureichende Maßnahmen zum Klimaschutz ergreifen, ist ebenfalls ein Durchbruch. Allerdings hat das Gericht sich hierbei auf die vom französischen Staat beschlossenen Normen mit Gesetzeskraft berufen, wie das Pariser Abkommen oder den Code de l’énergie. Das Argument der Kläger*innen, Grundrechte wie das auf Leben und Unversehrtheit seien gefährdet, wurde nicht berücksichtigt.
Das Urteil bestätigt die technischen Schwierigkeiten, die die Umweltjuristin Judith Rochfeld 2019 gegenüber „Alternatives économiques“ zu bedenken gab: CO2 auszustoßen ist nicht illegal und führt nur in der Summe zu Schäden, deshalb ist es für die Gerichte schwierig, eine Haftbarkeit festzustellen. Und noch schwieriger, einen Preis für die entstandenen Schäden zu nennen.
Gesellschaftliche Gegenbewegungen können rein juristische Erfolge zunichtemachen.
Die Frage der Legitimität stellt sich, sobald Umwelturteile in die Entscheidungen der Exekutive und Legislative eingreifen, wie in den Niederlanden und vielleicht bald in Frankreich. Die Klage geht schließlich nur von einer Gruppe von Bürger*innen aus, der andere Gruppen mit anderen Interessen gegenüberstehen. „Dürfen oder müssen Richter für sich in Anspruch nehmen, zwingende Vorgaben für den Klimaschutz zu entwickeln?“, hatte der Jurist Bernhard Wegener in Reaktion auf das niederländische Urteil geschrieben (Verfassungsblog.de). Bei mehreren international abgelehnten Klimaklagen haben sich Gerichte auf die Gewaltentrennung und den Ermessensspielraum der beiden anderen Gewalten berufen.
Andererseits tragen natürlich auch solche verlorenen Prozesse zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit bei. Positive Urteile haben zusätzlichen Symbolwert, indem sie dem Klimaschutz eine institutionelle Legitimität verleihen. Die aber ist überfällig, wenn man an die lange etablierte Jurisprudenz zugunsten der Verschmutzer*innen denkt, zum Beispiel deren Klagen gegen Atomausstieg und Energiewende.
Die Klimaklagen als Mittel zur Sensibilisierung und zur Veränderung des gesellschaftlichen Kräfteverhältnisses sind also ein vielversprechendes Instrument. Als gefährlich betrachtet es dagegen Wegener, „statt auf die Mühen demokratischer Überzeugungsarbeit und konkreter administrativer Planung zu sehr auf das vergleichsweise einfache judikative Urteilen zu setzen“. In der Tat, gesellschaftliche Gegenbewegungen können rein juristische Erfolge zunichtemachen, wie es die Gilets jaunes gegenüber einem legislativen Beschluss vorgemacht haben. Deshalb gilt es für die Klimabewegung, den juristischen Kampf in eine politische und gesellschaftliche Strategie einzubinden.