Einheitlicher Werteunterricht: Hickhack

Die Auseinandersetzungen um die Einführung des Fachs „Leben und Gesellschaft“ gehen in die nächste Runde. Kurz vor dem Ziel kann sich der Minister keine Fehler mehr erlauben.

(Photo : Flickr_Moyann Brenn)

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„Polemik“, „Lobbyarbeit“, „medialer Hype“: Harte Worte fand Unterrichtsminister Claude Meisch bei der Vorstellung des aktuellen Stands der Arbeiten zum einheitlichen Werteunterricht. Im Visier: der Dachverband der laizistischen Vereinigungen CCAL und, vor allem, der Rat der konventionnierten Glaubensgemeinschaften, die den Minister in den vergangenen Wochen scharf kritisiert hatten.

„Es zeugt von einer antiquierten pädagogischen Herangehensweise, zu zählen, wie oft verschiedene Wörter in einem Dokument vorkommen“, nahm Meisch den „Avis“ der Glaubensgemeinschaften aufs Korm, eine Stellungnahme zum Rahmenprogramm des, „Leben und Gesellschaft“ übertitelten, neuen Fachs (woxx 1356), in der penibel aufgezeigt worden war, wie oft, oder besser wie selten, das Wort „Religion“ in dem Programm vorkommt.

Allgemein bemühte sich der Minister aber, die Vorwürfe sowohl von laizistischer als auch von religiöser Seite zu entschärfen. Religionen seien sehr wohl ein wichtiges Thema des neuen Kurses, bemerkte er zu seinem schriftlichen Schlagabtausch mit RTL-Chefredakteur Guy Kayser, der die angebliche Abwesenheit von Religion im Rahmenlehrplan bemängelt hatte.

Aber auch eine gewisse Nähe zu Ansätzen der praktischen Philosophie habe „Leben und Gesellschaft“ aufzuweisen, beschwichtigte er die Gegenseite, die Anstoß an einer religiös geprägten Herangehensweise im Entwurf nimmt. Man werde sowohl den Rat der konventionnierten Glaubensgemeinschaften als auch des CCAL einholen, um für den zukünftigen Kurs ein Dokument zu den großen Weltreligionen und eines zu laizistischen und humanistischen Ideen zu erarbeiten.

Damit vollzieht der Minister in gewisser Weise einen Strategiewechsel: Nachdem es zunächst von Regierungsseite geheißen hatte, man sei offenbar auf dem richtigen Weg, wenn sowohl Laizisten als auch Religionsgemeinschaften das Rahmenprogramm kritisierten – eine Auffassung, der noch am Donnerstagmorgen vom DP-Abgeordneten und Vorsitzenden der parlamentarischen Erziehungskommission in einem 100,7-Interview beigepflichtet wurde – macht Meisch nun einen Schritt auf beide Seiten zu.

Das ist wohl auch dadurch zu erklären, dass das Ministerium unter Zugzwang steht: In nur sechs Monaten soll „Leben und Gesellschaft“ in der Sekundarschule anlaufen. Bisher scheint aber, außer „neun Seiten heiße Luft“, wie AHA-Präsident Laurent Schley Rahmendokument und -lehrplan abfällig bezeichnete, noch nicht viel vorzuliegen. Einen blockadebedingten Stillstand kann sich der Minister jetzt aber nicht mehr leisten.

Einen blockadebedingten Stillstand kann sich der Minister jetzt nicht mehr leisten.

Meischs Strategiewechsel und der Rückgriff auf die Mitarbeit von Laizisten und Religionsgemeinschaften wirft aber auch die Frage nach den Arbeitserträgen der eigens für die Ausarbeitung des Fachs engagierten Experten auf. Immerhin soll der Beistand von Jürgen Oelkers (woxx 1315) und seinem aus zwei Theologen bestehenden Team das Minis- terium bis 2018 540.000 Euro kosten. Etwas seltsam mutet es angesichts dessen dann doch an, wenn Oelkers im Interview mit dem Luxemburger Wort sagt, man dürfe sich von dem neuen Fach „nichts allzu Perfektes“ erwarten.

Auch was die beiden Experten Daniel Bogner und Joachim Kalcher, die den mit der Ausarbeitung befassten Arbeitsgruppen zur Seite gestellt worden waren, bisher geleistet haben, ist unklar. Die von ihnen verfassten „Avis“ zum Beispiel hat bisher noch niemand zu Gesicht bekommen. Claude Meisch kann in einer Veröffentlichung einzelner dieser Avis keinen „Mehrwert“ erkennen, wie er zu verstehen gab. Und in dem von seinem Ministerium veröffentlichten Pressedossier zum aktuellen Stand und der Chronologie der bisherigen Arbeiten werden weder Kalcher und Bogner noch Oelkers erwähnt.

Die Zeit drängt, das zumindest ist allen beteiligten Akteuren klar. Die blau-rot-grüne Regierung wird sich nicht zuletzt daran messen lassen müssen, wie sie die Trennung zwischen Kirche und Staat, und damit zusammenhängend die Einführung eines einheitlichen Werteunterrichts, letztendlich umsetzt. Und zu einer erfolgreichen Umsetzung gehört nun einmal auch ein gewisser Grad an Transparenz.


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