AGROKRAFTSTOFFE: Alles, nur kein Biodiesel!

Einst als Win-win-Lösung für Umwelt, Autoindustrie und Landwirtschaft gepriesen, haben die Agrokraftstoffe seit Jahren ein negatives Image. Nicht zu Unrecht, wie die jüngste Studie über ihre klimapolitischen Auswirkungen belegt.

Auf Borneo muss der Regenwald, Lebensraum der Orang-Utans, einer Palmöl-Plantage weichen.

„Anstatt 35 % bis 50 % weniger Klimagase auszustoßen, werden die in der EU vermarkteten Biokraftstoffe 81 % bis 167 % schlechter für das Klima sein als fossile Kraftstoffe – wenn Landnutzungsänderungen berücksichtigt werden.“ Mit anderen Worten: Aus Erdöl hergestellter Diesel im Tank ist weniger umweltschädlich als „Bio“-Diesel. So lautet die ernüchternde Feststellung der am vergangenen Montag in Luxemburg vorgestellten Studie zu den globalen Auswirkungen des Einsatzes von Agrokraftstoffen, die insofern neuartig ist, als sie den „indirect land use change“ (ILUC) berücksichtigt. Die im November abgeschlossene Studie entlarvt, wie sich die EU bisher den Rückgriff auf Biodiesel und Bioethanol klimapolitisch schöngerechnet hat – wobei sich die luxemburgische Situation als besonders unnachhaltig erweist.

Es ist noch keine fünf Jahre her, da galten die Agrokraftstoffe als „öko“. Anbau und Weiterverarbeitung bildeten einen wichtigen und allseits geschätzten Teil der aufstrebenden „green economy“. So forderten „Déi Gréng“ vor dem Autofestival 2006, der europäische Markt dürfe sich dem Import von Biotreibstoffen nicht verschließen, nur müssten bei der Förderung Umweltstandards berücksichtigt werden (woxx 835). Grundsätzlich sahen grüne Parteien und große Teile der Umweltbewegung im Anbau und der Destillation von „Energiepflanzen“, wie Zuckerrüben und Raps, einen sinnvollen Beitrag zum Klimaschutz – eine Position, die die woxx bereits damals kritisch hinterfragte. Eine Position aber auch, die in Reaktion auf die damalige Agrarpolitik entstand und vor deren Hintergrund verständlich ist: Die EU hatte mit massiver Überproduktion zu kämpfen, und der Anbau von Energiepflanzen erschien als eine sinnvolle Alternative zu Flächenstillegungen.

Vom Biosprit zum Agrofuel

Diese Einschätzung änderte sich schlagartig mit der Nahrungsmittelkrise von 2007. Damals stiegen die Preise für Grundnahrungsmittel, wie Weizen, Reis, Soja und Mais, drastisch an. Welche Rolle dabei die Faktoren Ölpreis, gestiegene Nachfrage und Börsenspekulationen spielten, ist weiterhin umstritten, doch dass der Anbau von Energiepflanzen anstelle von Nahrungsmitteln eine preistreibende Wirkung hatte, steht außer Frage.

Der Image-Schaden für die „Biotreibstoffe“ konnte die EU-Institutionen nicht beeindrucken. Ende 2008 wurde das Ziel, zehn Prozent der im Transportsektor verbrauchten Energie aus Biosprit zu gewinnen, nur geringfügig revidiert: Grundsätzlich kann nun ein Teil dieses Betrags auch durch den Rückgriff auf andere erneuerbare Energiequellen erreicht werden – insbesondere mit grünem Strom betriebene Elektrofahrzeuge. Zu jenem Zeitpunkt widersetzten sich die Umwelt-NGOs bereits konsequent dem Zehn-Prozent-Ziel: Einerseits befürchteten sie, es würde trotzdem massiv auf Agrokraftstoffe zurückgegriffen werden, andererseits bemängelten sie, dass die indirekten Auswirkungen des Anbaus keine adäquate Beachtung fanden.

In beiden Punkten gibt die zwei Jahre später erstellte ILUC-Studie den NGOs nun nachträglich recht. Auf der Grundlage der im Oktober 2010 vorliegenden Nationalen Aktionspläne für Klima und Verkehr aus 23 Mitgliedstaaten errechnet das „Institute for European Environmental Policy“ (IEEP), dass 2020 „Biokraftstoffe 9,5 % des Gesamtenergieverbrauchs im Verkehrssektor ausmachen“. Vor allem aber stellt die Studie fest, dass die indirekten Auswirkungen der Nachfrage nach den Agrotreibstoffen deren Klimabilanz drastisch verschlechtern.

Unmittelbar negative Auswirkungen hat der Anbau von Energiepflanzen, wenn neue Flächen erschlossen werde. Zum Beispiel binden Moorflächen und Naturwald wesentlich mehr CO2 als für landwirtschaftliche Zwecke genutzte Flächen. Von indirekten Auswirkungen spricht man, wenn die Energiepflanzen auf bereits vorher landwirtschaftlich genutzten Flächen angebaut werden. Oberflächlich betrachtet tauchen in der Klimabilanz der auf diese Weise gewonnenen Agrotreibstoffe zwar Düngemittel und der Einsatz landwirtschaftlicher Maschinen als CO2-Malus auf, doch die Bilanz der Flächenumwidmung ist mehr oder weniger neutral. Die bis dahin auf diesem Land gewonnenen Nahrungsmittel müssen aber im Prinzip woanders erzeugt werden – und in der Regel werden als indirekte Folge solcher Umwidmungen dann doch Wälder gerodet oder Feuchtgebiete trockengelegt.

Luxemburg zu klein

Für den bis 2020 zu erwartenden Mehrverbrauch an Agrokraftstoffen in der EU prognostiziert das IEEP einen zusätzlichen landwirtschaftlichen Flächenbedarf von 4,1 bis 6,9 Millionen Hektar, was einem Territorium in der Größenordnung von Belgien oder Lettland entspricht. Durch diese Nutzungsänderung entsteht ein zusätzlicher CO2-Ausstoß von mehreren hundert Megatonnen, den man üblicherweise über 20 Jahre verteilt verrechnet. Im Vergleich mit den fossilen Treibstoffen werden so durch den Rückgriff auf Agrotreibstoffe nicht weniger Treibhausgase verursacht, sondern mehr: zwischen 80,5 und 166,5 Prozent, so das IEEP in einer breit gefächerten Schätzung.

Der für Luxemburg berechnete zusätzliche Flächenverbrauch erreicht natürlich keine sechsstelligen Zahlen. Zwischen 430 und 770 Quadratkilometer fallen aber immerhin an – das sind 70 bis 120 Prozent der im Großherzogtum verfügbaren landwirtschaftlichen Flächen. Anders gesagt: Würde Luxemburg seinen Agrokraftstoff-Anteil mit lokal angebauten statt mit importierten Energiepflanzen realisieren wollen, blieben an Ackerland bestenfalls ein paar Bohnenbeete zur Herstellung der Bouneschlupp übrig. Ein solches Missverhältnis zwischen dem Verbrauch von Energiepflanzen und den Anbaumöglichkeiten besteht in keinem anderen Land und hat seine Ursache, wie viele andere Negativrekorde, in der „wirtschaftlichen Nische“ des Tanktourismus‘.

Das NGO-Aktionsbündnis, das die Vorstellung der Studie organisiert hatte, kritisierte aufs Neue, dass die Regierung ihre EU-Vorgabe eines 11-Prozent-Anteils für erneuerbare Energien im Jahre 2020 zur Hälfte durch die Beimischung von Agrokraftstoffen zu Diesel und Benzin erreichen wolle. Dieser Vorwurf schießt am Ziel vorbei, wie die woxx bereits im Juli vergangenen Jahres ausgerechnet hatte, denn die Beimischung senkt diese Vorgabe der EU keineswegs ab. Allerdings liegt die Vorgabe für Luxemburg weit unter dem EU-Durchschnitt von 20 Prozent erneuerbarer Energie, worauf die Kritik der NGOs eigentlich abzielt.

Die Vertreter der NGOs gingen auch auf andere, von der Studie nicht berücksichtigte negative Auswirkungen von Energiepflanzen ein – die größtenteils in Entwicklungsländern angebaut werden sollen. Norry Schneider von der Caritas erinnerte daran, dass mittlerweile die Agrotreibstoffe als Hauptursache der Nahrungsmittelkrise von 2007 angesehen werden. Der UN-Sonderberichterstatter Olivier De Schutter warne vor künftigen, durch den Anbau von Energiepflanzen verursachten Hungerkrisen – unter anderem in Zielländern der luxemburgischen Kooperationspolitik, wie Burkina Faso und Mali.

Nachbesserung nötig

Dietmar Mierkes von der „Action Solidarité Tiers Monde“ (ASTM) berichtete, wie in Kolumbien arme Bauern gewaltsam vertrieben werden, um das Land für die Herstellung von Agrokraftstoffen zu nutzen. Paul Polfer vom Mouvement écologique schließlich forderte, die Regierung solle der Versuchung widerstehen, auf die Beimischung von Agrotreibstoffen zu setzen, solange keine strengen Kriterien gelten. Besser sei, die Elektromobilität, und vor allem den öffentlichen Verkehr und die sanfte Mobilität auszubauen.

Interessanterweise spricht sich das IEEP nicht grundsätzlich gegen Energiepflanzen aus. Es gebe Unterschiede zwischen den einzelnen Agrokraftstoffen, so Bettina Kretschmer bei ihrer Vorstellung. So wurden zum Beispiel die „Biokraftstoffe der zweiten Generation“ in der Studie nicht berücksichtigt. Deren Klimabilanz dürfte wesentlich besser ausfallen, allerdings kommen sie bis 2020 nur marginal zum Einsatz. Kretschmer betonte, es gebe wissenschaftlich gesehen für die Nutzung von Biomasse effizientere Techniken als den Verbrennungsmotor: stationäre Wärme-Kraft-Kopplungsanlagen zum Beispiel. Für den Straßenverkehr biete es sich an, auf Elektroantriebe umzustellen, aber: „Für den Flugverkehr werden wir auf absehbare Zeit immer noch Biokraftstoffe in flüssiger Form benötigen.“

Auffällig ist, dass in den vom IEEP veröffentlichten Dokumenten die Termini Biotreibstoff und Biosprit benutzt werden. NGOs lehnen diese seit Jahren als Mogelpackung ab, und verwenden die neutrale Vorsilbe „Agro“. „In den EU-Direktiven, auf die wir uns beziehen, heißt es Biokraftstoffe“, erläutert Bettina Kretschmer. Allerdings sei die Arbeitssprache Englisch: „Da ist das Wörtchen ‚Bio‘ nicht so stark besetzt.“

Die IEEP-Mitarbeiterin glaubt an die argumentative Kraft der Studie. Ende Dezember hatte die EU-Kommission, unter Berücksichtigung der ILUC-Studie, einen Bericht über die Agrokraftstoffe veröffentlicht. Dieser erkennt an „dass die Reduzierung der Treibhausgasemissionen, die durch die Verwendung von Biokraftstoffen erzielt werden soll, durch indirekte Landnutzungsänderungen beeinträchtigt werden kann“. Die Kommission werde bis Juli 2011 eine Folgenabschätzung durchführen und gegebenenfalls Änderungen der geltenden Rechtsvorschriften erwägen. Der Bericht verweist aber auch auf Unsicherheitsfaktoren bei den heutigen Modellen und erwähnt auch den Erhalt des Status quo als Handlungsoption. Doch Kretschmer betont, die IEEP-Studie benutze die gleichen Modelle wie andere Studien, und berücksichtige die Unsicherheiten durch die Darlegung einer großen Bandbreite von Ergebnissen. Für sie ist klar, dass derzeit bei den Agrokraftstoffen die negativen Effekte überwiegen, und sie gibt sich überzeugt: „Die Kommission wird etwas unternehmen.“

Mehr Informationen und Links unter www.oeko.lu


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