EU-Klimapolitik: Strategie und Taktik

Aufbessern muss die EU ihre Energie- und Klimapolitik, verlangt Claude Turmes. Doch zwischen dem, was bei Verhandlungen erreichbar, und dem, was langfristig notwendig ist, liegen Welten.

Claude Turmes mit Banane als Argumentationshilfe. (Foto: RK)

„Wenn wir in den kommenden zehn Jahren nicht ernstmachen mit dem Klimaschutz, dann kann das Pariser Abkommen nicht mehr eingehalten werden“, warnt Claude Turmes. Dabei hat die EU ihre CO2-Ziele eigentlich schon 2015 festgelegt; 2018 sollen nur die Verhandlungen über das Clean Energy Package abgeschlossen werden. Der grüne Europaabgeordnete hält das CO2-Reduktionsziel von 40 Prozent bis 2030 (gegenüber 1990) für nicht ausreichend; Hoffnungen für eine Nachbesserung setzt er auf die Energiepolitik.

Alles Banane!

Turmes zeigt auf einer Grafik, wie der CO2-Ausstoß bis 2050 auf Null gesenkt werden kann: Entweder in gerader Linie oder – wie jetzt vorgesehen – indem man ihn zuerst langsam und am Ende schneller senkt. „Das Problem dabei erkläre ich immer mit einer Banane“, sagt der Europapolitiker und hält ein bereitliegendes Demonstrationsexemplar vor. In der Tat: Die Fläche zwischen dem oberen Teil der Kurven der beiden Szenarios gleicht einer Banane. Und genau die durch diese Fläche illustrierten versäumten CO2-Einsparungen müssen im weiteren Verlauf wettgemacht werden. Was bedeutet, dass die Emissionen schon viel früher auf Null zurückgeführt sein müssen. Wer den Klimaschutz zu langsam angeht, ist am Ende zu umso einschneidenderen Maßnahmen gezwungen, so Turmes‘ These.

Das war bei einem Pressetermin vor zwei Monaten, ein paar Tage vor dem Votum über drei wichtige Komponenten des Clean Energy Package am 17. Januar im Europaparlament (EP). Und ein paar Wochen nach den Verhandlungen zwischen den Mitgliedstaaten, die nur enttäuschende Kompromisse in der Energiepolitik hervorgebracht hatten. Parlament und Ministerrat haben damit ihre Positionen festgelegt und werden jetzt zusammen mit der Kommission im „Trilog“ über das Energiepaket verhandeln. Und Turmes versucht weiterhin, in der Öffentlichkeit Unterstützung für mehr Klimaschutz zu gewinnen, zum Beispiel mit der Vorstellung seines Buches „Die Energiewende“ in der Librairie Ernster an diesem Donnerstag (nach Redaktionsschluss).

Den von Turmes erhofften Durchbruch hat das Votum am 17. Januar nicht gebracht. Als einen „Schritt in die richtige Richtung“ bezeichnete das Climate Action Network (CAN) die vom EP vertretenen Ziele im Energiebereich, die über jenen des Ministerrats liegen. Vor dem Hintergrund des Pariser Klimaabkommens stelle diese Position allerdings nur ein Minimum dar, so das NGO-Netzwerk. Turmes‘ Pressemitteilung beschränkte sich auf die Governance Regulation, ein Regelwerk, das den Rahmen für die Energieunion setzt. Das liegt wohl nicht nur daran, dass er – zusammen mit der französischen Grünen Michèle Rivasi – Berichterstatter und Verhandlungsführer für diese Komponente ist, sondern auch an den wenig erfreulichen Ergebnissen der beiden anderen Abstimmungen über die Richtlinien zu erneuerbaren Energien und zur Energieeffizienz.

Energiepaket auf Irrwegen

Die Governance Regulation macht keine Zielvorgaben für 2030, sondern befasst sich mit der Vorgehensweise, dem Monitoring und der Langzeitstrategie. Die Ziele für 2030 sollen bei der Energieeffizienz linear erreicht werden, bei den erneuerbaren Energien dagegen flexibel. Über die Referenzpunkte für die Zwischenbewertungen wurde innerhalb des EPs hart verhandelt. Turmes hält das vom Ministerrat vorgeschlagene Zwischenziel für 2027 für unzureichend: Die Mitgliedstaaten bräuchten bis dahin nur 60 Prozent ihrer für 2030 eingegangenen Verpflichtung zu erfüllen. Um die Europäische Volkspartei (EPP) für ein ehrgeizigeres Zwischenziel zu gewinnen, machte der Europaabgeordnete den Kompromissvorschlag, den Referenzpunkt von 2005 „flexibel“, also mit einer geringen Abweichung, anzusteuern. Unterm Strich setzte er damit im Parlament Teilverpflichtungen von 20, 45 und 70 Prozent für 2022, 2025 und 2027 durch – signifikant höhere als die des Ministerrats.

Wichtiger als diese Zahlenspielereien könnten zwei Punkte werden, die Turmes gegen die EPP-Führung durchsetzte. Zum einen gibt das Parlament ein Zero-Emission-Ziel für 2050 vor, während der Ministerrat nur eine Reduktion von 80 bis 95 Prozent vorsieht. Interessanterweise geht die letztere Vorgabe auf den Kommissionsvorschlag von 2016 zurück; mittlerweile geht die Kommission aber davon aus, dass eine vollständige Dekarbonisierung bis 2050 möglich und wünschenswert ist.

Zum anderen enthält die Position des EP nun den Begriff des Carbon Budget – also die Menge CO2, die die EU insgesamt bis 2050 emittieren darf. Damit trägt sie dem Turmes’schen Bananen-Argument Rechnung: Die Geschwindigkeit, mit der man die Emissionen reduziert, ist mindestens so wichtig wie das Endziel. Wissenschaftler*innen und NGO-Expert*innen, die sich schon länger auf das Carbon Budget beziehen, dürften sich über diesen Qualitätssprung in der Klimadiskussion auf EU-Ebene freuen.

Für komplizierte Diskussionen sorgen derzeit die Ziele für Agrotreibstoffe (auch Biofuel genannt), die Teil der Richtlinie zu erneuerbaren Energien sind. Die Bedeutung der Zielvorgaben unterscheidet sich je nachdem, ob die Treibstoffe zur ersten oder zweiten Generation („advanced biofuels“) gehören, ob sie in Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion stehen oder aus Abfällen gewonnen werden, und ob sie im Transportsektor oder anderswo eingesetzt werden. Immerhin einigte sich das EP darauf, das von NGOs heftig kritisierte Palmöl nicht mehr als Agrotreibstoff zuzulassen – sehr zum Unmut des Exportlandes Malaysia. Unzufrieden sind auch die Ethanolherstellerfirmen, die ihr Produkt als nachhaltig einschätzen und sich dagegen wehren, als Teil der „ersten Generation“ schlechtergestellt zu werden. Umwelt-NGOs schließlich bezweifeln, dass die relativ hohen Ziele für erneuerbare Energien im Transportsektor realistisch sind. Sie befürchten, dass ihretwegen die Nachhaltigkeitskriterien für Agrotreibstoffe verwässert werden, und befürworten stattdessen den Ausbau der Elektromobilität.

Wie Luxemburg 
erneuerbar wird

Für Luxemburg sind die Vorgaben im Transportsektor besonders heikel, wenn man dessen großen Anteil am gesamten Primärenergieverbrauch bedenkt. Kann man dem Sprit viel Agrotreibstoff beimengen, so helfen die vielen Tanktourist*innen mit, das nationale Ziel für erneuerbare Energien zu erreichen. Wird die Beimengung dagegen durch Nachhaltigkeitsauflagen erschwert, dann läuft Luxemburg seinen Zielen bei der Primärenergie und im Transportsektor hinterher. In diesem Fall dürfte das Land seine Versäumnisse bei der Elektromobilität bereuen – von der Herausforderung, beim Tanktourismus auf grünen Strom umzustellen, ganz zu schweigen.

Die 2030er-Ziele für erneuerbare Energien und für Energieeffizienz des Europaparlaments sehen einen Anteil bzw. eine Steigerung von 35 Prozent vor. Beide Abstimmungsergebnisse stellen eine Verschlechterung gegenüber Zielen dar, die zuvor von Teilen der Abgeordneten angestrebt worden waren. Und sie dürften für Turmes‘ Vorhaben, die Klimaziele über der Energiepolitik nachzubessern, nicht ausreichend sein.

Dass die Flexibilität, die wohl bei der Erreichung der Ziele gewährt werden wird, etwas zum effektiven Klimaschutz beiträgt, ist nicht zu erwarten. Bereits jetzt kann ein Land wie Luxemburg seinen Rückstand bei den erneuerbaren Energien kompensieren, indem es, wie die Kritiker*innen sagen, sich „freikauft“. Turmes ist allerdings ein Befürworter der Marktmechanismen, die es Litauen und Estland erlauben, ihre Produktionsüberschüsse ans Großherzogtum zu verkaufen: „Das 2020er-Ziel von 11 Prozent für Luxemburg war zu hoch“, gibt er sich überzeugt. Außerdem existiere ein europäischer Strommarkt, es gebe keinen Grund, luxemburgische Anlagen zu bevorzugen. „Wichtig ist, dass wir möglichst schnell 100 Prozent erneuerbare Energien erreichen, und dabei hilft der preiswerte Strom aus Offshore-Windanlagen.“ Allerdings dürfe das keine Ausrede dafür sein, den Ausbau der grünen Energie im eigenen Land zu vernachlässigen, stellt er klar.

(Foto: RK)

Blassgrüne Visionen

Ob sich mit Pragmatismus und Effizienzdenken – kaum zu unterscheiden von Étienne Schneiders Argumentationen – wirklich die große Energiewende bewerkstelligen lässt, sei dahingestellt. Unverständlich ist jedenfalls, dass Turmes sein eigenes Bananen-Argument außer Acht lässt: Denn wenn Luxemburg während der nächsten 15 Jahre durch den Rückgriff auf solche Deals seinen ökologischen Umbau hinausschiebt, dann muss es danach umso drastischere Maßnahmen ergreifen – gerade das, was der grüne Abgeordnete der EU als Ganzes ersparen will.

Andererseits täte man Turmes Unrecht, wenn man ihn als reinen Pragmatiker ansähe. Über das geschickte Taktieren hinaus bemüht er sich auch um Paradigmenwechsel wie die Einführung des Carbon Budget. Als Grundlage hierfür dient eine als „Vision Scenario“ bezeichnete Studie des Öko-Instituts, die sogar das Thema Klimagerechtigkeit anschneidet. Leider lässt sie dann doch die historische Verantwortung der Industrieländer beiseite – alles andere wäre wohl zu visionär gewesen.

Verbesserungen bei der EU-Klima- und Energiepolitik sind umso dringlicher, als Ende des Jahres die COP24 in Polen stattfindet. Es ist die erste Klimakonferenz nach Paris, bei der wieder über die nationalen Verpflichtungen diskutiert wird. Bis dahin liegt auch ein wissenschaftlicher Bericht vor, der die Diskrepanz zwischen Verpflichtungen und notwendigen CO2-Reduktionen verdeutlichen wird. Die Frage, welche Länder als erste nachbessern müssen, wird auch das Thema Klimagerechtigkeit auf die Tagesordnung bringen. Eine durch innere Konflikte gelähmte EU, die nichts als das 40-Prozent-Ziel auf den Tisch legen kann, wird ein dann drohendes Scheitern des Klimaabkommens nicht mehr verhindern können.

 

ERRATUM: In der ersten, in Druck gegangenen Fassung war das 2030er-Ziel eines 35-Prozent Anteils für erneuerbare Energie fälschlicherweise als 35-Prozent-Steigerung dargestellt worden.


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