Linke in der LSAP: Harte Zeiten

Fast alle Parteien versuchen, die Mitte des politischen Spektrums zu besetzen. Dabei entferne sich die LSAP von ihrer Basis und könne nur verlieren, mahnen linke Kritiker. Derzeit stehen sie auf verlorenem Posten.

Spitzenkandidat ohne Alternative? Auch Danton, Marat und Robespierre sind leider tot. (FOTO: SIREN-COM / WIKIMEDIA)

„Ich werde Premierminister“, hatte Etienne Schneider vor einem Monat selbstsicher verkündet. Wie das gehen soll, weiß allerdings niemand. Derzeit wird die Option einer rot-blau-grünen „Anti-CSV-Koalition“ (woxx 923) von keiner Partei offensiv vertreten – dass sie realisiert wird, ist damit recht unwahrscheinlich. Sollte es dagegen zu einer Neuauflage der großen Koalition kommen, so könnte die LSAP kaum den Anspruch auf den Posten des Premiers erheben. Wahrscheinlicher ist, dass die LSAP trotz des forschen Auftretens ihres Spitzenkandidaten die Wahlen verliert und sich in der Opposition wiederfindet.

Kritische linke Stimmen innerhalb und außerhalb der Partei sehen das als die Quittung für zwei Legislaturperioden an, in denen die LSAP als Regierungspartei zu viel unsoziale Maßnahmen mitgetragen und zu wenig fortschrittliche Veränderungen durchgesetzt hat. Insbesondere nach den beiden gescheiterten Tripartiten von 2010 und 2011 hatte sich die Frage gestellt, ob die LSAP die von der Regierung in Abwesenheit der Sozialpartner beschlossenen „Sparpakete“ mittragen solle. 2010 befasste sich ein auf Drängen der Parteilinken veranstalteter außerordentlicher Kongress mit ihr. Das Paket wurde zwar angenommen, doch trug diese Vorgehensweise dazu bei, dass die ursprünglichen Sparpläne von Finanzminister Luc Frieden stark abgemildert wurden. 2011 dagegen willigten die LSAP-Minister hinter verschlossenen Türen in drastische Sparmaßnahmen ein, ohne dass die Parteibasis um ihre Meinung gefragt wurde. Kritiker meinten, die LSAP hätte besser daran getan, eine Regierungskrise zu riskieren als stillschweigend den Sozialabbau mitzuverantworten.

Stein des Indexes

Zwei Jahre später brach die Regierung doch noch auseinander, allerdings nicht an Meinungsverschiedenheiten zur Sozialpolitik, sondern an der Uneinigkeit in der Frage, welche Konsequenzen aus der Geheimdienstaffäre zu ziehen seien. Kann man sich als Parteilinker darüber freuen? „Der Bruch der Koalition ist kein Selbstzweck“, betont Nando Pasqualoni, Gewerkschaftskader und LSAP-Mitglied gegenüber der woxx. „Worum es geht, ist, soziale Errungenschaften zu verteidigen.“ Was die vorgezogenen Wahlen angeht, so habe er kein gutes Gefühl. In der LSAP-internen Diskussion über das Wahlprogramm sieht er positive Ansätze, wie die geforderte Erhöhug des Spitzensteuersatzes, wünscht sich aber mehr Klarheit: „Wenn zum Beispiel die Forderung nach sozialer Selektivität bedeutet, dass mehr ?unten ankommen` soll, bin ich einverstanden. Geht es dabei aber darum, massiv Sozialleistungen zu streichen, so muss man sich dagegen wehren.“

Auch in Sachen Index herrscht Verwirrung. Der OGBL fordert die „integrale“ Wiedereinführung des Index (woxx 1229). Die will auch die LSAP – aber höchstens einmal im Jahr, was in Zeiten hoher Inflation einer massiven Manipulation gleichkommt … Ein weiterer Stein in der Mauer zwischen roter Partei und roter Gewerkschaft? Pasqualoni sieht das distanzierter: „Was mit dem Index geschieht, hängt vom Kräfteverhältnis ab.“ Ein gutes Ergebnis bei den Sozialwahlen im November werde die Verhandlungsposition des OGBL stärken – das müssten sowohl die LSAP als auch die CSV berücksichtigen. Allerdings sei die Situation für die Gewerkschaften nicht einfach: „In den Betrieben sind die Leute leicht einzuschüchtern, viele sind froh, überhaupt eine Arbeit zu haben.“

Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat zwar die Schwächen des derzeitigen Systems offenbart, so dass man eigentlich bei der LSAP und anderen sozialdemokratischen Parteien einen Linksruck hätte erwarten können. Doch das sei nicht passiert, stellt Pasqualoni fest, die europäische Sozialdemokratie gleiche sich immer mehr der amerikanischen Democratic Party an. „In den Medien herrschen die wirtschaftsliberalen Ideen weiterhin vor“, klagt der linke Sozialist, „die Leichtgläubigkeit der Menschen in diesen Fragen ist größer als je zuvor.“

Mein Spitzenkandidat

Dennoch: Beobachter aus dem linken Lager haben der LSAP immer wieder empfohlen, ihr Profil zu schärfen um sich von der – ihr soziales Image pflegenden – Juncker-CSV abzuheben. Im Zuge der Tripartite 2011 hatte der Monnericher LSAP-Bürgermeister Dan Kersch prophezeit: „Die Phalanx der Ja-Sager zur CSV-Politik wird die LSAP in die Tiefe reißen.“ Mittlerweile arbeitet er fleißig daran, sie aus dieser wieder heraufzuziehen: Kersch kandidiert im Südbezirk für die Chamberwahlen. Auf seiner Webseite findet man, neben begeisterten Posts über den Escher Handball und Fotos seines Auftritts beim Buergermeeschterdag auf der Fouer, auch Politisches: So hat er das OGBL-Kommuniqué zum Index, die Forderungen von Natur an Ëmwelt zur Nachhaltigkeit und einen Aufruf der Friddensinitiativ zu Syrien übernommen. Sein Cover-Foto zeigt neben Kersch die beiden LSAP-KandidatInnen Christine Schweich und Etienne Schneider.

Kritiker sehen in der Nominierung von Wirtschaftsminister Schneider ein Anzeichen für den Rechtsruck der Partei und erinnern an das Debakel, das der ebenfalls als liberal angesehene Robert Goebbels 1999 als Spitzenkandidat erlebte. Doch Kersch scheint damit keine Probleme zu haben: In einem offenen Brief im Tageblatt reagierte er sogar auf eine Bemerkung Jean-Claude Junckers zu Schneiders mangelndem sozialen Gewissen: Juncker habe als Troika-Chef Griechenland „eine anti-soziale Rosskur aufgezwungen“, könne also in Sachen soziales Gewissen keine Lektionen erteilen. Es fällt allerdings auf, dass Kersch zwar „seinen“ Spitzenkandidaten verteidigt – durch Angriffe auf Juncker -, es aber unterlässt, ihm ein „soziales Gewissen“ zu attestieren.

Vieles im LSAP-Wahlkampf erinnert an die Situation im Nachbarland: Auch die SPD hat trotz Systemkrise keinen klaren Kurswechsel nach links vollzogen und versucht weiterhin, die Fehler der Vergangenheit schönzureden. Die LSAP hat zwar keine Agenda 2010 zu verantworten, doch ihre Beteiligung am Sozialabbau der scheidenden Regierung lässt sich nicht wegreden. Bei der Wahl des Spitzenkandidaten haben die deutschen Genossen ebenfalls die Wirtschaftskompetenz – sprich wirtschaftsliberale Ausrichtung – als Kriterium genommen. Gegenüber Deutschlandradio Kultur meinte der SPD-Linke Rudolf Dressler zu Peer Steinbrücks Kanzlerkandidatur: „Die Partei muss jetzt mit ihm da durch.“

Nur noch Ja-Sager?

Befragt nach der Tauglichkeit des Spitzenkandidaten, weicht auch Nando Pasqualoni aus: „Wir hätten lieber einen Robert Krieps oder einen Willy Brandt, doch die gibt es nicht.“ Er achte aber Schneiders politische Intelligenz: Sollten sich die Kräfteverhältnisse verschieben und die linke Strömung in der LSAP erstarken, werde Schneider dem zweifellos Rechnung tragen.

In den vergangenen Jahren hat sich das Kräfteverhältnis innerhalb der LSAP aber eher in die entgegengesetzte Richtung verschoben: Mit dem verstorbenen vormaligen OGBL-Präsidenten John Castegnaro und den beiden Abgeordneten Lydie Err und Vera Spautz hat die Fraktion drei Persönlichkeiten verloren, die keine „Ja-Sager zur CSV-Politik“ waren. Insbesondere Vera Spautz war eine Art Galionsfigur der innerparteilichen Linken – seit Ende 2012 konzentriert sie sich auf ihre Arbeit als Sozialschöffin in Esch.

Gemeinsam mit Dan Kersch hatte die Abgeordnete 2011 noch einmal harsche Kritik an der Parteiführung geäußert (woxx 1111). Statt Seite an Seite mit der CSV Sozialabbau zu betreiben, solle die LSAP gemeinsam „mit unserem natürlichen Verbündeten, dem OGBL“, die „neoliberalen Angriffe aus Politik und Wirtschaft“ abwehren. Dafür erntete sie Tadel von der Parteispitze und Beifall von Teilen der Basis – konnte aber nichts gegen die Regierungs-Dampfwalze ausrichten. Ende 2012 sagte Spautz dem Essentiel, sie sei nicht nur aus gesundheitlichen Gründen zurückgetreten, wie sie offiziell erklärt hatte: „Es gibt tiefe Meinungsverschiedenheiten mit meiner Partei, insbesondere zur Indexmanipulation, zur Rentenreform und zur Reform des Schwangerschaftsabbruchs.“

In der Tat – nicht nur in sozialpolitischen Fragen geht der LSAP derzeit das linke Profil ab, auch gesellschaftspolitisch vertritt sie die traditionellen linken Positionen nur halbherzig. Beim Versuch, die Wähler in der Mitte des politischen Spektrums anzuziehen, überlässt sie das Feld damit nicht nur „Déi Lénk“, sondern auch den Grünen, den Piraten und sogar der DP. Das zeigte sich in aller Deutlichkeit Ende 2012, als die LSAP den Kompromiss mit der CSV zur Reform des Schwangerschaftsabbruchs gegen Angriffe aus Parteien und Zivilgesellschaft verteidigen musste. Dabei versicherte die Parteiführung, das Gesetz stelle eine Verbesserung dar, die ohne die Mitwirkung der LSAP nicht zu erreichen gewesen wäre – versuchte also, ähnlich wie bei den sozialen Fragen, sich als das kleinere Übel darzustellen. Peinlicherweise sahen die „Femmes socialistes“ das anders und demonstrierten am Tag der Abstimmung vor der Chamber gegen die Reform.

Mittlerweile sind die kritischen Frauenstimmen allerdings wieder verstummt, und die Femmes socialistes konzentrieren sich auf die Wahlkampagne. Eine Diszipliniertheit, die ihre Partei schlecht zu honorieren scheint, denn auf den LSAP-Kandidatenlisten ist die Anzahl der Frauen besonders gering (woxx 1226).

Doch die Frauenquote und andere Grundsatzfragen werden in den kommenden Wochen kaum ausdiskutiert werden, schließlich müssen alle Parteien nach dem Sommerurlaub mit einem fertigen Programm in die Wahlkampagne starten. So bleibt frustrierten Linken, ob in der LSAP oder anderen Parteien, nur das Spiel mit dem Wahl-O-Mat, um für ihre Forderungen zu votieren. Dort stellen sie dann meistens fest, dass sie eigentlich für eine sozial- oder gesellschaftspolitisch weiter links stehende Partei optieren müssten – und wissen in der Regel doch, warum sie es nicht tun werden: „Ich mache mir keine Illusionen, aber ich werde die LSAP wählen“, sagt zum Beispiel Nando Pasqualoni. „Denn wenn sie weg wäre, würde das Programm der Wirtschaftslobby noch schneller umgesetzt.“


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