Der scheidende EU-Kommissar für Wettbewerb könnte noch vor Ende seiner Amtszeit ein lästiges Dossier aus dem Weg räumen und den Briten den Zuschlag dafür geben, ein umstrittenes Atomkraftwerk staatlich zu unterstützen.
Viel Zeit bleibt Joaquin Almunia nicht mehr. Seit über einem Jahr läuft das Prüfverfahren des EU-Kommissars für Wettbewerb, in dem das Finanzierungsmodell des geplanten Atomkraftwerks Hinkley Point C unter die Lupe genommen wird. Almunias Mandat läuft Ende Oktober aus. Er wolle seinen Kollegen in der Kommission seine Entscheidung noch vorher mitteilen, teilte der Spanier den Europaparlamentariern vergangene Woche in einer Anhörung mit. „Ich kann noch nicht sagen, wie dieses Verdikt ausfallen wird“, fügte er vor dem Parlamentsausschuss hinzu, „wir stecken noch mitten in Diskussionen.“
Vergangene Woche war der britische Energieminister beim Kommissar in Brüssel zu Besuch, um sein Anliegen noch einmal zu unterstreichen: Großbritannien möchte den vom französischen Betreiber „Electricité de France“ (EDF) geplanten Ausbau der Anlage in Südengland mit Subventionen in Höhe von über 20 Milliarden Euro unterstützen. Zum einen durch einen für die Dauer von 35 Jahren garantierten Strompreis, zum andern durch staatliche Garantien für einen Teil der Bauschulden. Da dies den Regeln des „fairen“ Binnenmarkts der EU widersprechen und eine Wettbewerbsverzerrung hervorrufen könnte, befasst sich die EU-Kommission mit dem Atomkraftprojekt.
Nicht nur die Grünen und Anti-Atom-Aktivisten regen sich über die geplante staatliche Finanzspritze für britische Atomkraft auf. Eine positive Entscheidung der Kommission sei ein Skandal, der „mit allen Mitteln“ bekämpft werden müsse, kommentierte der österreichische Umweltminister Andrä Rupprechter den Fall Hinkley und kündigte an, sein Land erwäge eine Nichtigkeitsklage gegen die Kommission vor dem Europäischen Gerichtshof.
Der Energiemix ist reine Ländersache, betonte Almunia während der Anhörung im Parlament. Die Kommission sei nur für die Überprüfung der Wettbewerbsregeln zuständig. In der Kritik steht diesbezüglich auch die geplante Preisgarantie, die dem Atomstrom im Hinblick auf den zu erwartenden Fall der Preise für erneuerbare Energien einen Vorteil jenseits der Marktbedingungen bringt.
„Es gibt Anzeichen dafür, dass das Verfahren schon am 8. Oktober auf der Tagesordnung der Kabinetts-Sitzung der Kommission steht“, sagt der grüne Europa-Abgeordnete Claude Turmes, für den das Dossier „prozedural zum Himmel stinkt“. Der Rest der Generaldirektionen der Kommission habe „sehr wenig Zeit, sich in das Thema einzuarbeiten“, eine „kontroverse Debatte innerhalb der Kommission“ sei deshalb kaum möglich, so Turmes gegenüber der woxx. Almunia, dessen Sprecher vergangene Woche angedeutet hatte, der Kommissar werde seinen Kollegen eine Zustimmung des Projektes empfehlen, sagte gegenüber den Abgeordneten: „Wir müssen auch noch die Meinung des Rests der Kommission berücksichtigen.“ Das neue Team um Jean-Claude Juncker würde es wohl kaum bereuen, wenn ihm durch eine Entscheidung in letzter Minute der scheidenden Kommission ein solch umstrittenes Dossier erspart bliebe.