Die Politik bestärkt die besorgten „Garer“ Bürger*innen in ihrer Arroganz und gießt dadurch nur Öl ins Feuer.
„Wir leben in einem Rechtsstaat.“ Immer wieder fiel diese Aussage am Mittwoch im Centre culturel et sportif in der hauptstädtischen rue de Strasbourg. Anlass war eine Bürger*innenversammlung zur Sicherheitslage im Bahnhofsviertel, die vom Schöffenrat einberufen worden war. Zwei Jahre nach der letzten Versammlung dieser Art und wenige Wochen nachdem der Vertrag der privaten Sicherheitsfirma nicht verlängert wurde, wollte man jetzt wohl wieder den Puls der Anwohner*innen fühlen.
Dass oben zitierter Satz immer wieder fiel, deutet auf die Radikalität mancher der dort gemachten Forderungen hin. Mehr Polizei, mehr Videoüberwachung, härteres Durchgreifen, mehr Strafverfahren wünschten sich einige der rund 300 besorgten Bürger*innen. In ihren Interventionen machten sie deutlich, dass ihnen alle Mittel recht sind, Hauptsache „déi Leit si fort“. Mit „déi Leit“ waren vor allem Drogendealer, Prostituierte und Zuhälter*innen gemeint. Aber auch die Obdachlosen, die vor Eingangstüren schlafen. Selbst die Möglichkeit eines Platzverweises ging einigen Anwesenden nicht weit genug.
Auch wenn sich die Interventionen in Nuancen voneinander unterschieden, so schienen sich alle darin einig zu sein, dass die Politik sie im Stich gelassen hatte. Kritik am Gemeinderat wie auch Forderungen nach mehr Repression wurden jedes Mal von schallendem Applaus begleitet. Selten ist im Bahnhofsviertel so viel geballte Wut auszumachen, wie bei diesen Versammlungen.
Anders als zu erwarten gewesen wäre, berichteten die meisten der anwesenden Anwohner*innen, keine Angst zu haben, wenn sie in ihrem Viertel unterwegs seien. Vielmehr war da die Befürchtung, dass es irgendwann soweit kommen würde, dass man Angst haben müsse. Ebenfalls herauszuhören war eine gewisse Arroganz: Man fordere doch schon seit Jahren dies und jenes, auf eine Umsetzung warte man aber immer noch. Hier waren vor allem Menschen anwesend, für die es selbstverständlich zu sein scheint, dass ihren Anliegen von politischen Entscheidungsträger*innen Rechnung getragen wird.
Davon abgesehen, dass sich die gestern verlautbarten Forderungen zum Teil widersprachen – die einen wollten mehr Drogenrepression und Videoüberwachung, andere fanden, dass genau diese Mittel nicht zielführend seien –, ist es fraglich, wie sich das konstante Hochschrauben kostspieliger Ressourcen, vor allem die verstärkte Polizeipräsenz, in den Augen dieser Anwohner*innen rechtfertigen ließe.
Selten ist im Bahnhofsviertel so viel geballte Wut auszumachen, wie bei diesen Versammlungen.
Die Empörung resultierte zum großen Teil daraus, dass so etwas in Luxemburg passiert: dass es in Luxemburg Prostitution und Drogenhandel auf offener Straße gebe, dass in Luxemburg Heroinspritzen auf Gehwegen lägen, dass man in Luxemburg beim Verlassen der eigenen Wohnung über eine schlafende Person steigen müsse. „Wir sind hier in Luxemburg, die Menschen müssen sich sicher fühlen“, rief ein Mann ins Mikrofon. Aber welche Menschen und auf wessen Kosten? Wie sicher fühlen sich Menschen, die auf der Straße schlafen müssen? Wie sicher fühlen sich Prostituierte? Wie sicher fühlen sich Schwarze und andere marginalisierte Bevölkerungsgruppen hierzulande? Wo sind die regelmäßigen Bürger*innenversammlungen für Menschen, die andere Sorgen haben als ein diffuses Gefühl von Unsicherheit? Wo bleibt im Übrigen eine verstärkte Sensibilisierung für die Bedürfnisse und Probleme prekär lebender Menschen? Einer der Redner*innen fürchtete um den sozialen Zusammenhalt im Bahnhofsviertel. Nur scheint dieser zurzeit stärker durch einen Mangel an Empathie als durch Drogenverkauf und Prostitution bedroht zu sein.
Das Maßnahmenpaket bestehend aus Polizeirekrutierung, Platzverweis und verstärkter Videoüberwachung ist längst beschlossen, an einer Beteiligung der Anwohner*innen an dessen Ausarbeitung war man offensichtlich nicht interessiert. Was die Versammlung erreicht hat, war, diese Menschen weiter in ihrem Glauben zu bestärken, dass ihre Freiheit, ihre Sicherheit und ihre Rechte wichtiger sind als die prekär lebender Menschen. Vor allem bot sie Bürgermeisterin Lydie Polfer (DP) die erneute Gelegenheit für die, von ihr als „präventiv“ bezeichnete verstärkte Polizeipräsenz zu werben.