Déi-Lénk-Kongress: Ökosozialismus ohne Widerspruch?

Über Klimaschutz und Index, Russland und Parität diskutierten Déi Lénk am vergangenen Sonntag. Viele Fragen blieben offen, doch der Anspruch, anders Politik zu machen, wurde eingelöst.

Kaffeekränzchen oder Kongress? Eine Mischung von beidem, das World Café, steht für eine andere Diskussionskultur. (Foto: Raymond Klein)

„Wir sind eine Bewegung, keine Partei.“ Ein Satz, den man häufig von Déi-Lénk-Aktivist*innen zu hören bekommt. Am vergangenen Sonntag hatten sich etwa 60 Mitglieder im Kulturzentrum von Colmar-Berg zu einem Kongress versammelt – obwohl er um halb zehn begann und die Gemeinde recht weit von den Hochburgen der Linken im Süden entfernt liegt. Als Erstes erfolgte die Begrüßung durch den lokalen Vertreter Serge Thill – und die klang durchaus nach Partei, und zwar einer von der alten Sorte. Der Redner stellte fleißig die – nicht uninteressante – Geschichte Colmar-Bergs vor, von der Schließung des letzten Hochofens 1877 über die Chronik der „Harmonie Urania“ und die Ansiedlung der Goodyear 1951 bis zum Déi-Lénk-Ergebnis von 5,15 Prozent bei den Wahlen von 2018. Danach wurden die komplizierten Regeln für Wortmeldungen und Redezeiten erklärt. Und die Tagesordnung, mit einem nicht näher definierten „partizipativen Teil“.

„Ihre Dialektik macht diese Resolution zu einer tollen Basis für unsere Wahlprogramme.“ Der ältere Herr ist sehr aufgeregt und sehr ernst. „Genossinnen und Genossen“, fährt er fort, „es wird keine Oktoberrevolution mehr geben.“ Geflüster und Gekicher am anderen Ende des Tisches. „Wir müssen auf das Bewusstsein der Menschen setzen!“ Eine Frau kontert: „Wie können wir die Menschen erreichen, denen es schlecht geht? Trotz des Bewusstseinswandels nach der Krise von 2008 sind sie gelähmt, können kaum über den Horizont des Konsums hinausdenken.“

Mitreden im World Café

Gary Diderich, der das Gruppengespräch koordiniert, bekräftigt: „Die Gesellschaft ist im Individualismus gefangen. Dabei gibt es viele Probleme, wie Covid und Klima, die nur kollektiv gemeistert werden können.“ Eine andere Frau unterstreicht, man müsse die Menschen mit konkreten Vorschlägen mobilisieren: „Könnten wir nicht zu einem freiwilligen autofreien Sonntag aufrufen?“ Verglichen mit Kongressreden wird hier in der Gruppe freier diskutiert, fast alle Teilnehmer*innen in der Runde kommen zu Wort. Fünf solcher Gruppen waren nach der Mittagspause gebildet worden, um jeweils während 15 Minuten die einzelnen Themen zu diskutieren und dabei von Tisch zu Tisch zu rotieren.

Am Tisch von Gary Diderich geht es um die Hauptresolution des Tages zum Ökosozialismus. Schon auf dem vorhergehenden Kongress stand das Thema im Mittelpunkt (Debatte in der woxx 1651). Seither sind die Diskussionen vorangeschritten, erläutert Diderich im Gespräch mit der woxx. Es gab im Februar eine Konferenz mit dem linken Autor Daniel Tanuro, einen an die Mitglieder verschickten Fragebogen und im März ein Seminar, bei dem bereits auf die „partizipative“ Methode des „World Café“ zurückgegriffen wurde. „Die Erfahrung war positiv; statt dass nur die alten Hasen zu Wort kamen, konnten sich alle einbringen“, so Diderich. Beim heutigen Kongress wird neben dem Thema der Hauptresolution an anderen Tischen über Texte zum Krieg in der Ukraine, den Index und die Parität innerhalb der „Nationalkoordinatioun“ (Nako) diskutiert. Außerdem ist ein Tisch für eine alternative Resolution zum Ökosozialismus von betont antikapitalistischen Mitgliedern reserviert.

Alain Sertic, der die alternative Resolution unterstützt und bei der in der woxx geführten Debatte Gary Diderichs Sparringspartner war, wird nach den Gruppendiskussionen enttäuscht festhalten, dass man „keine fünf Zentimeter weiter“ gekommen sei. Er hatte persönlich zusätzliche Änderungsanträge zur Resolution verfasst, weil diese „nur eine Art Einleitung“ sei, nicht weit genug gehe und zu wenig Forderungen und Aussagen zur Umsetzung enthalte. Sein Vorschlag, bei der Abstimmung am Ende des Kongresses abgelehnt, hätte die aus 14 kurzen Punkten bestehende Resolution um fast eine Seite verlängert. Die alternative Resolution umfasste gar acht dicht beschriebene Seiten.

Gegen Aufrüstung, gegen Putin

Kein Wunder, dass die Diskussionen am Hauptresolutions-Tisch viel um die Form drehen. Schon in der ersten Runde kritisiert Sertic, im Resolutionsentwurf fehlten die konkreten Aspekte. Manche Teilnehmer*innen geben ihm recht, andere unterstreichen, der Diskussionsprozess sei noch im Gange und die programmatischen Aspekte würden im Hinblick auf die Wahlprogramme für 2023 und 2024 ausformuliert werden. In den nachfolgenden Runden versucht Diderich jedes Mal, für die neue Gruppe das bereits Gesagte zusammenzufassen. Immer wieder wird der Wunsch ausgedrückt, mit konkreten Forderungen statt dieser knapp formulierten Resolution für Déi Lénk zu werben. Diderich verweist auf das Thesenpapier, das auf dem Seminar diskutiert wurde und detailliert auf Konzepte wie Antikapitalismus und partizipative Demokratie eingeht. Ein Teilnehmer der vierten Gruppe erinnert schließlich an den Ursprung der Resolution: Auf der Grundlage dieses Thesenpapiers sollte eine Synthese für die Öffentlichkeit ausgearbeitet werden.

Ökosozialismus? Bis Rot und Grün richtig zusammenpassen, werden noch ein paar Déi-Lénk-Kongresse vergehen. (Pixabay/Pixaline)

Bis vier Uhr sollte der Kongress dauern, doch nach dem partizipativen Intermezzo war klar, dass dieser Plan nicht einzuhalten war – niemand beschwerte sich. Nacheinander wurden die Resolutionen und Motionen auf klassische Weise mittels Redemeldungen vor dem ganzen Saal noch einmal kurz diskutiert. Bei der Ukraine-Resolution herrschte weitgehend Einigkeit, wie schon die morgendliche Rede der Sprecherin Carole Thoma erahnen ließ. Sie hatte die russische Invasion als „sinnlosen, völkerrechtswidrigen Angriffskrieg“ qualifiziert und klargestellt: „Wenn wir für Diplomatie statt Aufrüstung plädieren, heißt das natürlich nicht, dass wir vor dem Kriegstreiber Putin kuschen.“ Man solle ihn und seine Geldgeber dort treffen, wo es wehtut: „Am Portemonnaie nämlich, indem zum Beispiel die EU einen Rahmen schafft, um russische Oligarchen zu enteignen.“ Ein Änderungsantrag zur Aufwertung der OSZE wurde angenommen, zwei andere, zur Bedrohung der Republik Moldau und gegen eine Nato-Erweiterung, abgelehnt.

Auch das Thema Index war schnell abgehakt. Von einer „Sauerei“ hatte Thoma gesprochen, und es als „infekt“ bezeichnet, dass die LSAP die Index-Kompensation als soziale Errungenschaft verkaufe, obwohl sie von Steuergeldern bezahlt werde – wofür sie tosenden Beifall erntete. Mehrfach wurde während der Debatten aufgerufen, am 1. Mai mit dem OGBL zu demonstrieren. Dazu, die Gewerkschaft zu einem Warnstreik aufzufordern, wollte man sich dann doch nicht verleiten lassen. Ein entsprechender Antrag wurde abgelehnt.

Entspannt angespannt

Gestritten wurde dagegen über das Thema Parität. Nicht grundsätzlich natürlich, aber die, am Ende angenommene, Motion sieht vor, dass nicht mehr Männer als Frauen in die Nako gewählt werden können; nicht binäre und trans Personen können wählen, auf welche Weise sie mitgezählt werden. Bisher ist die Sitzzahl in der Nako nicht begrenzt, jede und jeder, der ein Viertel der Stimmen erhält, ist gewählt. Die Resolution, so beklagten mehrere männliche Kritiker, verändere die Natur des Gremiums und schwäche es. Demgegenüber erwartete sich die Arbeitsgruppe Feminismus von der strikten Parität unter anderem, dass die Sichtweisen und Erfahrungen der Frauen besser wahrgenommen werden – immerhin umfasst die Nako derzeit nur 11 Frauen, denen 27 Männer gegenüberstehen.

Das knappste Abstimmungsergebnis gab es bei einem der Änderungsanträge zu einer außenpolitischen Motion. Der ursprüngliche Text knüpfte an die Sanktionen gegen Russland an und forderte, im Sinne der Kohärenz, ähnliche Maßnahmen gegen alle Staaten, welche internationales Recht brechen. Genannt wurde die Kolonisierung der „besetzten Gebiete“ durch Israel unter Verweis auf die „Boycott, Divestment and Sanctions“-Kampagne (BDS), Marokko wegen seiner Westsahara-Politik und Saudi-Arabien wegen des Kriegs in Jemen. Im Zuge der Änderungsanträge wurde die Erwähnung der kontroversen BDS mit 15 gegen 14 Stimmen (12 Enthaltungen) gestrichen. Außerdem fordert die Endversion der Motion keine Sanktionen mehr, sondern nur noch eine Verurteilung. Dafür wurde als viertes Land die Türkei wegen ihres Angriffs auf die kurdischen Gebiete im Irak der Aufzählung hinzugefügt.

Angespannt war die Stimmung trotz dieser Meinungsverschiedenheiten nicht. Den Ermahnungen bei Überschreitung der Redezeit wurde mit Humor Folge geleistet, und manchmal wurde auf die Möglichkeit einer zusätzlichen Wortmeldung verzichtet. Auch die Verfechter der alternativen Resolution hielten nicht an ihrem Text fest, sondern gaben sich mit der Zusicherung zufrieden, dass ihre zahlreichen konkreten Forderungen in die künftigen Programme eingearbeitet würden. Während der Diskussionen stand wie gesagt die Form im Vordergrund, dennoch zeichneten sich inhaltliche Divergenzen bei Themen wie „décroissance“ oder „Rolle des Marktes“ ab.

Interessant war auch die Art und Weise, wie Déi Lénk in der Index-Frage die defensive Strategie des OGBL übernimmt, die jeden Kaufkraftverlust ablehnt und die Einheit des Salariats – Besserverdienende einbegriffen – betont. Denn in den Reden schien immer wieder das Motiv der Genügsamkeit durch, insbesondere bei Thomas Aussage zum Ausstieg aus fossilen Energien: „Wir müssen weg von einem Wirtschaftssystem, das auf ewigem Wachstum basiert, hin zu einer Gesellschaft, die nur noch das produziert, das sie wirklich braucht.“ Solche Widersprüche betreffen nicht nur Ökosozialist*innen, sie sind tief in unseren Lebens- und Denkweisen begründet. Allerdings ist Déi Lénk die Partei, in der sie am klarsten zutage treten. Und die, weil sie versucht, auch mit Techniken wie dem World Café, ein bisschen anders Politik zu machen, auch die fruchtbarsten Diskussionen darüber führen kann.

Kongress-Dokumente: demnächst unter dei-lenk.lu/kongress

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