Den fantastischen Surrealistinnen zu Ehren

Die Schirn Kunsthalle Frankfurt bietet in „Fantastische Frauen. Surreale Welten von Meret Oppenheim bis Frida Kahlo“ Surrealistinnen eine Bühne. Das passende Digitorial überzeugt unter anderem mit einer queerfeministischen Perspektive.

© Schirn Kunsthalle Frankfurt, Foto: Norbert Miguletz

„In keiner künstlerischen Bewegung der Moderne spielten Frauen auch quantitativ eine solch zentrale Rolle wie im Surrealismus“, betont Ingrid Pfeiffer, Kuratorin der Ausstellung, in einer Pressemitteilung, „und doch fehlen viele ihrer Namen und Werke bis heute oft in Publikationen und Überblicksausstellungen.“ Dass Surrealismus weit mehr ist als Salvador Dalí, Pablo Picasso oder René Magritte, zeigt die Schirn Kunsthalle Frankfurt aktuell in der Ausstellung „Fantastische Frauen. Surreale Welten von Meret Oppenheim bis Frida Kahlo“. Darin rückt sie erstmalig exklusiv die weiblichen Beiträge zum Surrealismus ins Licht. Die Schirn widmet ihnen bis zum 24. Mai 2020 sowohl die eigenen Hallen als auch ein Digitorial (eine digitale Ausstellung) – und das ist einen, nein, mehrere Klicks wert.

Während in der Kunsthalle 34 Künstlerinnen aus elf Ländern ausgestellt werden, gibt es online nur eine Auswahl der zentralen Werke zu sehen. Nicht in einer schnöden Bildergalerie, sondern eingespeist in eine Website, die neben den Darstellungen der Exponate auch kunsthistorische Fakten und kurze Werkanalysen bereithält – eine digitale Spielwiese für Kunstinteressierte. Das Digitorial reicht den Besucher*innen unter einzelnen Überschriften unter klickbaren Icons eine helfende Hand zur Orientierung: Wer möchte, erfährt mit einem „Klick“ mehr über die Ursprünge des Surrealismus, über das Exilland Mexiko oder über Kunst als politisches Statement. Die queer-feministische Betrachtungsweise der Kunstbewegung, die im Paris der 1920er Jahren um André Breton entstand, zieht sich dabei wie ein roter Faden durch das Digitorial. Das versetzt den Diskurs über den Surrealismus nicht nur in die Gegenwart, es offenbart auch einen spannenden Blickwinkel auf eine vermeintlich tot diskutierte Kunstbewegung.

Aus dem Digitorial geht beispielsweise hervor, dass das Verhältnis zwischen den Vertreter*innen ambivalent war. Frauen partizipierten gleichberechtigt an einer Vielzahl der künstlerischen Aktivitäten der Surrealisten und die Bewegung selbst lehnte traditionelle, heteronormative Vorstellungen von Familie, Ehe, Sexualmoral ab. Die Männer sollen sich teilweise weibliche Pseudonyme gegeben und mit klassischen Geschlechterrollen gebrochen haben. Warum also von einem ambivalenten Verhältnis sprechen? Weil die Frau in den Werken der männlichen Surrealisten entweder als Objekt, als Verführerin, Hexe, Kindfrau, als Sexarbeiterin oder aber als übersinnliches Wesen figurierte. Die Surrealisten gaben demnach trotz Gleichberechtigung und der von ihnen eingeforderten gesellschaftlichen Stärkung der Frau die traditionelle, patriarchale Frauendarstellung wieder.

Dem hielten die Frauen im Surrealismus eine andere Darstellung entgegen: In den Selbstporträts der Surrealistinnen taucht das Motiv der Befreiung der Frau aus bürgerlichen Konventionen auf. Anhand kurzer Werkanalysen, wie beispielsweise der zu Leonora Carringtons „Selbstporträt in der Auberge du cheval d‘aube“ (1937/1938), wird letzteres im Digitorial genauer erläutert. Die Besucher*innen können (müssen aber nicht) auf einzelne Felder innerhalb des Selbstporträts klicken, um Informationen zu besonders relevanten Bildausschnitten zu erhalten. So erfährt man durch einen Klick auf Carringtons Oberteil: „Carrington trägt ein typisch männliches Kleidungsstück. Zusammen mit der breitbeinigen Pose und den ungebändigten Haaren wird es zum Zeichen weiblicher Befreiung.“ Ein weitere Werkinterpretation gibt es zu Frida Kahlos „Selbstbildnis auf der Grenze zwischen Mexiko und den USA“ (1932). Kahlo steht in rosa Robe, Zigarette und Mexiko-Fahne in der Hand auf einem kleinen Podest. Anders als bei Carrington, liegt der Fokus der digitalen Werkinterpretation hier auf der Abbildung der Diskrepanzen zwischen den USA und Mexiko sowie auf der ethnischen Zerrissenheit der Künstlerin.

Insgesamt möchte man der Schirn Kunsthalle nur eines sagen: Danke. Danke dafür, dass sie einen neuen Blick auf den Surrealismus ermöglicht und die umfassenden Beiträge der Frauen würdigt. Danke für ein Digitorial, das sowohl inhaltlich als auch optisch überzeugt – und nicht zuletzt danke dafür, dass sie uns vor Augen führt, wie gut sich digitale und analoge Ausstellungskonzepte ergänzen können.

Das Digitorial ist über den 24. Mai hinaus verfügbar und kostenlos. Weitere Informationen sowie einen Podcast zur Ausstellung sind ebenfalls online.


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