Am Dienstag wurde in Straßburg der Weg für einen europäischen Mindestlohn frei gemacht. Ein Gamechanger, hofft der Europäische Gewerkschaftsbund.
Es handelt sich um ein Prestigeprojekt der EU-Kommission, über das am vergangenen Dienstag in Straßburg eine provisorische Übereinkunft erzielt worden ist: Der europäische Mindestlohn soll beweisen, dass die Europäische Union auch soziale Rechte und nicht allein unternehmerische Interessen schützt.
„Niemand sollte in Armut leben, während er arbeitet“, fasste Nicolas Schmit (LSAP) das Ziel der nun auf den Weg gebrachten EU-Richtlinie für einen europäischen Mindestlohn zusammen. Diese sei „das richtige Instrument, um sicherzustellen, dass Erwerbsarmut der Vergangenheit angehört“, so der für Beschäftigung und soziale Rechte zuständige EU-Kommissar auf einer Pressekonferenz in Straßburg. In der Nacht zuvor hatten sich die gesetzgebenden Institutionen der Europäischen Union – Parlament, Kommission und Rat – über die wichtigsten Aspekte der Richtlinie geeinigt.
Einen EU-weit einheitlichen Betrag für einen solchen Mindestlohn wird es indes nicht geben. Das hatte EU-Kommissar Schmit schon bei der Vorstellung eines ersten Entwurfes vor mehr als zwei Jahren klargemacht (siehe den Artikel „Stresstest für Schmit“ in woxx 1563). Schmit habe daher intern von Anfang an gesagt, die geplante Richtlinie sei keine echte „Coca-Cola“, verriet Dennis Radtke (EVP), einer der für das Thema zuständigen Berichterstatter des EU-Parlaments, auf der Pressekonferenz. Das Resultat sei nun immerhin eine „Cola light mit sehr viel Geschmack“.
Mitgliedsstaaten, die einen Mindestlohn eingeführt haben, sollen nun regelmäßig prüfen, ob dieser einen „angemessenen Lebensstandard“ ermöglicht. Die Kommission schlägt vor, der Mindestlohn solle 60 Prozent des mittleren Einkommens (das genau in der Mitte aller in einer Gesellschaft erzielten Einkommensgrößen liegt und in der Regel niedriger ist als der Durchschnittslohn) und 50 Prozent des Durchschnittslohns nicht unterschreiten. Alle zwei Jahre müssen die Mitgliedsstaaten berichten, wie sich das Niveau der bislang meist erheblich unterhalb dieser Maßgaben liegenden Mindestlöhne entwickelt hat.
Sollte ein Land das in der Richtlinie vorgeschlagene Ziel nicht erreichen, muss es allerdings keine Sanktionen befürchten.
Sollte ein Land das in der Richtlinie vorgeschlagene Ziel nicht erreichen, muss es allerdings keine Sanktionen befürchten. Das gilt auch für den zweiten wichtigen Aspekt, der darauf abzielt, dass in allen Mitgliedsstaaten mindestens 80 Prozent aller Arbeitsverträge an tariflich vereinbarte Löhne gebunden sind. EU-weit ist dies momentan lediglich in sieben EU-Mitgliedsstaaten der Fall (Luxemburg hat eine Tarifabdeckung von 59 Prozent).
Sowohl der „Rat für Beschäftigung, Sozialpolitik, Gesundheit und Verbraucherschutz“ der Mitgliedsstaaten als auch das EU-Parlament müssen der Richtlinie nun noch formell ihren Segen geben, ehe mit der Umsetzung begonnen werden kann. Sollte dies geschehen, spricht der Europäische Gewerkschaftsbund (ETUC) ihr das Potenzial eines „Gamechangers“ zu: „Das würde das soziale Europa nach einem Jahrzehnt der Austerität wieder auf den richtigen Weg bringen und sicherstellen, dass unsere Wirtschaft auf hohen Löhnen und Rechten und nicht auf Armut und Prekarität basiert“, so der ETUC in einem Kommuniqué.
Allerdings wird sich erst in ein paar Jahren erweisen, ob die EU-Richtlinie tatsächlich bindende Kraft entfalten kann, oder ob die Cola light – kaum geöffnet – schal geworden ist.