Die Ministerin Corinne Cahen sprach sich letzte Woche öffentlich gegen eine Beteiligung am internationalen Frauentag aus und degradierte dabei Straßenaktivismus. Ist das mit ihren politischen Ambitionen vereinbar?
Die große Sause zum internationalen Frauenkampftag am 8. März ist vorbei. Die Aktivist*innen kämmen sich das letzte Konfetti aus dem Haar und sie haben Bauchweh: Nicht, weil sie beim Streik der Plattform Journée internationale des femmes (Jif) zu arg gelacht haben, sondern weil vielen ein Facebook-Beitrag von Corinne Cahen (DP) noch schwer im Magen liegt. Sie verkündete am Frauenkampftag: „Ich habe keinen Bedarf, den internationalen Frauentag zu feiern. Ich habe mich noch nie aufgrund meines Geschlechts diskriminiert gefühlt. Ich wurde eher mit Antisemitismus konfrontiert, aber ich weiß nicht, wann internationaler Judentag ist.“ Der Abschnitt endet mit einem Zwinkersmiley.
Mit nur wenigen Zeilen zieht sie eine Linie zwischen sich und anderen Frauen, hierarchisiert Motive der Diskriminierung, indem sie strukturellen Sexismus gegen Antisemitismus aufwiegt. Cahen tut dies als Familien- und Integrationsministerin, als Koordinatorin der Politik zur Förderung der Rechte von LGBTI-Personen. Dass dieser Kommentar ausgerechnet von einer Politikerin kommt, die in ihrem Berufsalltag intersektionale und Mehrfachdiskriminierung bekämpfen soll, ist schockierend. Gleichzeitig dürfte es Menschen, die Cahens politisches Treiben seit Längerem verfolgen, nicht verwundern: Auch in Sachen Rassismus äußerte sie sich in der Vergangenheit mit erschütternder Ignoranz gegenüber der Betroffenen, zum Beispiel als sie sich 2019 in einer Diskussionsrunde über Rassismus in Luxemburg erstaunt zu bestehenden Vorurteilen über nicht-weiße Menschen zeigte.
Streiks und Straßenmärsche sind ein Fingerzeig, den die Politik ernst nehmen muss statt sie als Party unter Freund*innen zu belächeln.
In einem Kommentar zu ihrem Beitrag schreibt Cahen dann noch: „Wem hilft es, wenn man mit Freundinnen durch die Straßen zieht und sich gut amüsiert? Ich helfe lieber richtig und konkret, indem ich mich engagiere. Nicht indem ich mit Freundinnen auf einen ‚Streik’ gehe, denn das hilft keinem Menschen.“ Ein Schlag ins Gesicht für die Mitglieder der Jif, die seit 2011 ausführliche Forderungskataloge ausarbeiten; aber auch eine Herabwürdigung aller Protestler*innen, die sich seit Generationen weltweit auf der Straße für eine bessere Gesellschaft einsetzen und mancherorts dafür ihr Leben riskieren. Davon abgesehen: Steht konkretes Handeln nicht in der Jobbeschreibung politischer Entscheidungsträger*innnen? Es ist jedenfalls nichts, womit sie sich auf sozialen Netzwerken profilieren oder von der Zivilgesellschaft abgrenzen sollten …
Dem Großteil der Bevölkerung bleibt nämlich nichts anderes als die Straße, um ihren Forderungen und ihrer Solidarität mit anderen Ausdruck zu verleihen. Nur die wenigsten können sich an einen Verhandlungstisch setzen, um über Arbeitszeitverkürzung, sexualisierte Gewalt oder Menschenhandel zu diskutieren. Nicht alle haben, wie Corinne Cahen, Platz und Geld, um Kriegsflüchtlinge bei sich aufzunehmen. Streiks und Straßenmärsche sind ein Fingerzeig, den die Politik ernst nehmen muss, statt sie als Party unter Freund*innen zu belächeln.
Nicht zuletzt wirft Cahens Haltung ein schlechtes Licht auf ihre Teilnahme an der Luxembourg Pride, denn dort lief die Ministerin letztes Jahr in der ersten Reihe mit, hielt sogar einen Zipfel der Regenbogenfahne. Schließt sich die Politikerin der Pride nur an, weil das Ressort in ihren Kompetenzbereich fällt? Sie misst hier mit zweierlei Maß – ein Schelm wer dabei an politisches Kalkül denkt. Corinne Cahen wollte ihren Beitrag auf Nachfrage der woxx nicht kommentieren, auch ein Gespräch über die Rechte queerer Frauen lehnte sie ab.