Im Kino: The Northman

In Robert Eggers’ neuem Film spielen Figurenentwicklung und Geschichte nur eine untergeordnete Rolle. Dank minutiöser historischer Recherche und beeindruckender Kameraarbeit erwartet die Zuschauer*innen vielmehr ein zutiefst immersives Actionspektakel.

Was die Figuren in „The Northman“ tragen, geht auf aufwändige Recherchen zurück. (Fotos: © 2021 Focus Features, LLC)

„Wie du mir, so ich dir“ könnte man das Leitmotiv von „The Northman“ vereinfacht bezeichnen. Das ist nicht das einzige Merkmal, das sich Robert Eggers’ Wikingerepos mit den 2021 erschienen Filmen „The Green Knight“ und „The Last Duel“ teilt: Alle drei beruhen auf einer mittelalterlichen Erzählung, die als Kritik am klassischen Heldenepos verstanden werden kann.

Wie auch schon in seinen vorherigen Filmen „The Witch“ (2015) und „The Lighthouse“ (2019) setzt Regisseur und Drehbuchautor Robert Eggers auch diesmal wieder weniger auf Handlung, dafür aber umso mehr auf Atmosphäre und Emotionen. Deren hat der Protagonist namens Amleth (Oscar Novak) allem Anschein nach nur eine: Wut. Als Kind beobachtete er, wie sein Vater (Ethan Hawke) umgebracht und seine Mutter (Nicole Kidman) entführt wurde – und das ausgerechnet von seinem Onkel (Claes Bang). Er schwor Rache. Auch als Erwachsener, nun vom schwedischen Schauspieler Alexander Skarsgård gespielt, ist er noch von diesem Gedanken besessen.

Die einzige Wärme im Film entspringt der Beziehung zwischen Amleth und Olga.

Die Geschichte und der Heldenname erinnern nicht zufällig an ein gewisses Werk von William Shakespeare. Tatsächlich nahm Eggers für „The Northman“ dieselbe skandinavische Legende zur Vorlage wie einst der britische Autor für „Hamlet“. Eggers kehrt also an die Wurzeln der Saga zurück und kombiniert den Handlungsverlauf mit isländischen Mythen. Dazu recherchierte er Wikingertraditionen und ließ sich in puncto Kleidung, Aussprache von Namen und Dekor von Historiker*innen beraten. Das Drehbuch verfasste er gemeinsam mit dem isländischen Autor Sjón. Dieser ist nicht der*die einzige bekannte isländische Künstler*in, der*die an dem Film beteiligt war: Auch Sängerin Björk ist in einer kleinen, aber wichtigen Rolle zu sehen – ihre erste Filmrolle seit „The Dancer in the Dark“ (2000) übrigens.

Wer mit dem Werk von Robert Eggers vertraut ist, weiß, mit welcher Ernsthaftigkeit der Filmemacher surrealistische Elemente behandelt. Wenn in seinen Filmen Menschen an Hexen glauben, dann kommen darin auch tatsächlich Hexen vor. Ebenso sind auch Amleths Visionen real und sorgen für den ein oder anderen Gruselmoment.

Auch wenn es darum geht, die Brutalität mittelalterlicher Kämpfe wiederzugeben, zeigt Eggers vollen Einsatz. Von abgeschlagenen Köpfen und zertrümmerten Schädeln bis hin zu heraushängenden Eingeweiden ist alles dabei. Die zahlreichen Plansequenzen garantieren ein zutiefst immersives Erlebnis. Wenn Berserker Amleth zum gnadenlosen Angriff ansetzt, wird die Kamera regelrecht zu einer eigenen Figur: Mal ist sie Amleth auf den Fersen, mal verliert sie ihn aus dem Blick, bevor er wieder wie aus dem Nichts zuschlägt. Es ist genau diese Hingabe, die „The Northman“ so besonders macht. Vergleichen ließe sich der Streifen in dieser Hinsicht noch am ehesten mit Alejandro G. Iñárritus „The Revenant“.

Die sich allein um Rache drehende Geschichte sowie die Aneinanderreihung brutaler Szenen dürften auf den einen oder die andere abschreckend wirken. Tatsächlich entspringt die einzige Wärme und der einzige Hoffnungsschimmer im Film Amleths Beziehung mit einer versklavten Frau namens Olga (Anya Taylor-Joy). Diejenige, die sich daran nicht stören, erwartet jedoch ein handwerklich beeindruckender, aufwändig recherchierter Sehgenuss.

In der Cinémathèque.

Bewertung der woxx : XX


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