Leitlinien der Militärpolitik: Lasst es krachen!

Der rapide steigende Luxemburger Militäretat soll sich an den „Lignes directrices de la défense“ orientieren. Dabei geht es nicht nur um Bündnistreue und blinde Aufrüstung.

Höher, schneller, stärker! Armeeminister François Bausch zeigt, wo die Reise hingehen soll. (Foto: lm)

Kann sich die Menschheit, angesichts von planetaren Herausforderungen wie Klimakrise und Ungleichheiten, eine neue Ära der Blockbildung und Aufrüstung leisten? Soll Luxemburg sich an dieser geostrategischen Flucht nach vorn beteiligen? Ja, denn die Verschlechterung des sicherheitspolitischen Umfeldes lässt uns keine Wahl, lautet das Argument in den neuen „Lignes directrices de la défense luxembourgeoise“. „Die Sicherheits- und die Verteidigungspolitik müssen im Sinne einer glaubwürdigen Abschreckung und kollektiven Verteidigung umorientiert werden“, heißt es im Executive summary des am 11. Mai vorgestellten Dokuments. Das klingt wie ein Freibrief für uneingeschränkte Aufrüstung, wie er vor dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine nicht denkbar gewesen wäre. Dennoch, der Inhalt der Leitlinien, wie auch die Ausführungen von Armeeminister François Bausch bei der Pressekonferenz, waren betont sachlich, weit entfernt von der Zeitenwende-Schicksalskrieg-Rhetorik mancher Expert*innen und Journalist*innen.

Rote und grüne Linien

Nachdem Étienne Schneider 2017 erstmalig Leitlinien für die Luxemburger Militärpolitik bis 2025 hatte erstellen lassen, legt sein Nachfolger Bausch zum Ende seiner Amtszeit nun eine Neufassung vor. Der Zeithorizont wurde bis zum Jahr 2035 erweitert; mit 70 Seiten sind die neuen Leitlinien umfangreicher als zuvor (50 Seiten). Noch schneller als die Seitenzahl ist allerdings der Militäretat gewachsen – bis 2028 soll er gar eine Milliarde Euro erreichen, wie Bausch bereits im Juni 2022 angekündigt hatte. Eine weitere Neuerung gegenüber 2017 wurde schon Mitte 2021, also vor dem Ukrainekrieg, bekanntgegeben: der Aufbau eines belgisch-luxemburgischen Bataillons.

In Schneiders Leitlinien-Dokument kam nicht einmal das Wort Bataillon vor, die Landstreitkräfte sollten sich auf „Intelligence, Surveillance and Reconnaissance“ (ISR) spezialisieren und mit Belgien, den Niederlanden und Deutschland zusammenarbeiten. Sechs Jahre später ist daraus die Teilnahme an einem „Bataillon de reconnaissance de combat médian“ geworden, das schwerer bewaffnet und auf „Istar“ ausgerichtet ist – das Kürzel ISR wurde um die „Target acquisition“ erweitert. Außerdem ist von den damaligen Partnerländern nur Belgien übriggeblieben – hinzugekommen ist Frankreich, in dessen Scorpion-Programm unser westliches Nachbarland seine Streitkräfte, inklusive des binationalen Bataillons, integrieren will. Die Teilnahme an dieser – von der Nato vorgegebenen – mittelschweren Bataillonsstruktur bedeutet, dass für den Luxemburger Fuhrpark nicht nur die im September 2022 als Dingo-Ersatz vorgestellten Eagle-V-Fahrzeuge, sondern mittelfristig auch schwerere Radpanzer angeschafft werden. Das wiederum wird die von Bausch angestrebte Senkung des CO2-Ausstoßes der Streitkräfte zusätzlich erschweren.

Nicht nur am Boden, auch im Weltraum ist der Ausbau der Luxemburger Streitkräfte klar erkennbar. Konnte man 2017 noch von „dem“ Militärsatelliten sprechen, so muss man heute fragen: Welcher? Zum seit 2018 operierenden Govsat-Kommunikationssatelliten kommt eine Beteiligung am „O3b mPOWER“-Netzwerk dazu – SES-Satelliten, die in mittlerer Umlaufbahn besonders sichere Funkverbindungen ermöglichen. Das Projekt des Spionagesatelliten LUXEOSys schließlich hatte Étienne Schneider noch vor den Wahlen 2018 im Hauruckverfahren durchs Parlament gebracht – in die Atmosphäre wird ihn frühestens Ende dieses Jahres eine Ariane-Rakete bringen.

Weltpolizei, wir sind dabei!

Zur Erinnerung: Das LUXEOSys-Projekt entpuppte sich als viel teurer als gedacht und die Umstände der Beschlussfassung in der Chamber und der Auftragsvergabe führten 2020 zu einer Serie von parlamentarischen Anhörungen (woxx 1589). Die Dreierkoalition verhinderte allerdings die Bildung einer Enquêtekommission und offiziell zur Rechenschaft gezogen wurde am Ende niemand. Einzig der aufstrebende „Haut fonctionnaire“ und ehemalige Directeur de la défense Patrick Heck bekam eine Beförderung zum „Ambassadeur extraordinaire et plénipotentiaire“ … für den Kosovo. Bausch war anfangs wenig begeistert von der Kostenüberschreitung und stellte das Projekt zur Disposition. Dass er wenig später dann zu Protokoll gab, er stehe hinter dem Projekt, dürfte weniger an der Sinnhaftigkeit des Unterfangens liegen als an einer versteckten, absurden Qualität: Je teurer der Satellit wird, umso schneller kann Luxemburg seinen Militäretat steigern.

Woran sich auf den ersten Blick in der Ära Bausch wenig geändert hat, ist die Bündnispolitik: Luxemburg bekennt sich sowohl zur Nato als auch zur EU, und manchmal sogar zur UNO. Der russische Angriffskrieg hätte Auslöser sein können für eine Rückbesinnung auf die Territorialverteidigung – im Rahmen der viel beschworenen gemeinsamen EU-Verteidigungspolitik. Stattdessen investieren die europäischen Staaten in den Aufbau einer schlagkräftigen europäischen Komponente innerhalb der Nato, die Gegner wie Russland oder China in Kämpfen hoher Intensität besiegen kann. Eine solche westliche Überlegenheit sowohl in der Defensive als auch in der Offensive wirkt auf den Rest der Welt als Bedrohung und beschleunigt die Aufrüstungsspirale, wie es die „AirLand Battle“-Doktrin gegen Ende des Kalten Krieges tat. Die aufwendige Vorbereitung auf Kämpfe hoher Intensität geht dabei auf Kosten anderer Fähigkeiten, wie sie zum Beispiel für asymmetrische Konflikte oder Friedensmissionen benötigt werden. Zwar können solche Armeen immer noch weltweit „für die gute Sache“ intervenieren, doch wie das Desaster der französischen Expeditionen in der Sahelzone zeigt, reicht es nicht aus, auf dem Schlachtfeld siegreich zu sein, um Konflikte zu lösen.

Schaut man sich die Projekte in den Luxemburger Leitlinien genauer an, so stellt man fest, dass fast immer die „transatlantische Partnerschaft“ im Vordergrund steht, vom Einstieg in das Satellitennetzwerk des amerikanischen Arms der SES bis zur künftigen Cyber Defence Cloud in Zusammenarbeit mit der Nato-Agentur NSPA (Nachfolgerin der Namsa). Daran ist nicht nur die Perspektive einer Nato als Weltpolizei bedenklich, sondern auch das umgekehrte Szenario: ein republikanischer Wahlsieg Ende 2024, der zu einem Rückzug der USA aus den europäischen Angelegenheiten führt, wie es Donald Trump mehrfach in Aussicht gestellt hatte.

Orientieren sich Bauschs Leitlinien also nur an Bündnistreue und Kriegslogik? Keineswegs – der Armeeminister selbst sieht in der Einführung einer werteorientierten Militärpolitik die wichtigste Neuerung. In der Tat bezieht sich das Dokument an mehreren Stellen auf „unsere Werte“ und auf das Zusammenstehen der Demokratien gegen die Autokratien. Darüber hinaus geht es Luxemburg um „die Freiheit, die internationale Solidarität, die nachhaltige Entwicklung, den Erhalt von Frieden und Sicherheit durch ein effizientes multilaterales System“. Man kann solche Formulierungen als Greenwashing abtun, wie auch das Bekenntnis zu einer Reduzierung des CO2-Fußabdrucks der Streitkräfte (auf das wir in einem künftigen Beitrag eingehen werden). Doch dass diese Zielsetzungen schwarz auf weiß in dem Strategiedokument enthalten sind, ermöglicht es der kritischen Zivilgesellschaft, sie einzuklagen.

Rüstungsindustrie, nein danke!

Interessant war auch, was Bausch bei der Pressekonferenz über das Zwei-Prozent-Ziel der Nato sagte. Zwar habe er Verständnis für die osteuropäischen Staaten, die ein Minimum für Militärausgaben von über zwei Prozent des BIPs fordern. Doch die Nato-Erklärung von Wales 2014 gebe nur vor, sich auf zwei Prozent hinzubewegen. Für Luxemburg sei ein so großer Militäretat nicht realistisch, so Bausch, der für seine zurückhaltende Position auf einen Schulterschluss mit Ländern wie Kanada und Belgien zählt, deren Etats ebenfalls unter zwei Prozent liegen. Er wünsche sich, dass man von den Bedürfnissen ausgehe, statt abstrakt ein Ausgabenminimum vorzugeben. Andernfalls, so Bausch, „dient das Militäretat dazu, eine gewisse Industrie zu füttern“. Des Ministers fünf Jahre Erfahrungen mit Ausschreibungen für militärische Projekte dürften ihn in einem gesunden Misstrauen bestätigt haben, das sich schon einstellt, wenn man nur die Profitspannen und die intransparenten Auftragsvergaben dieses Wirtschaftszweigs von außen betrachtet.

Ein Sponsor der Rüstungsindustrie will Bausch nicht sein, ein Kriegstreiber ebenso wenig. Auf die Frage der woxx, ob das binationale Bataillon eher zur territorialen Verteidigung Europas oder eher als Expeditionstruppe gegen China gedacht sei, stellte er klar, dass China von der Nato „nicht als Feind“ betrachtet werde. Die Haltung gegenüber China, auch seitens der USA, sei eine ganz andere als gegenüber Russland, das einen Angriff durchgeführt hat. „Ziel ist nicht, gegenüber China bedrohlich zu wirken, sondern einen Konflikt zu verhindern“, so Bausch. Die Nuancen des Armeeministers finden sich allerdings nicht in den Leitlinien wieder, in denen im Gegenteil ausgiebig das Nato Strategic Concept zitiert wird: „Die von der Volksrepublik China erklärten Ziele und koerzitive Politik sind eine Herausforderung für unsere Interessen, Sicherheit und Werte.“ Man sei offen für einen konstruktiven Austausch mit China, so die Nato, doch man werde sich den „systemischen Herausforderungen“ stellen, die China für die „euro-atlantische Sicherheit“ darstelle. Es entsteht der Eindruck, dass der Frieden durch die weltweite Überlegenheit der Nato garantiert werden soll und der angestrebte Dialog darin besteht, dass China die westlichen Vorgaben akzeptiert.

Dabei wird ausgeblendet, dass die „regelbasierte Weltordnung“, für die sich der Westen einsetzt, eine Ordnung der Ungleichheit und Ausbeutung des globalen Südens ist. Auch die vom Westen verteidigten Territorien und Grenzen sind zum Teil ein Erbe des Kolonialismus und des Neokolonialismus. So steht die Kontrolle wichtiger amerikanischer und britischer Stützpunkte wie Guantánamo, Diego Garcia oder der Malwinen im internationalen Recht auf wackligen Füßen. Auch die Grenzziehung der gigantischen ausschließlichen Wirtschaftszonen Frankreichs auf den Weltmeeren ist kaum weniger willkürlich als die „nine-dash line“, auf die sich Peking für seine Gebietsansprüche im Südchinesischen Meer beruft. Diese nüchterne Einschätzung des „Status Quo“ rechtfertigt keineswegs das aggressive Auftreten der Volksrepublik gegenüber anderen ehemals kolonisierten Nationen, sie macht aber den Anspruch des Westens auf moralische Überlegenheit zunichte. Die aber ist Voraussetzung, „unsere Interessen“ und „unsere Werte“ in einem Atemzug zu nennen, wie das in den Leitlinien an mehreren Stellen geschieht.

Erhalt der Weltunordnung

Eine weitere gut klingende Aussage Bauschs ist das Bekenntnis zu den „3D“, also Diplomacy, Development und Defence. Dass dies nur ein Lippenbekenntnis ist, zeigt sich am Missverhältnis zwischen den Etats. Ein Missverhältnis, das Mitte 2020 von der Regierung bewusst hingenommen wurde, als es um Kürzungen in der Entwicklungshilfe und ein 600-Millionen-Budget für die Anschaffung von unter anderem Militärflugzeugen ging. Im Nachhinein zu behaupten, ein verstärkter Einsatz der beiden „sanften“ D als Mittel westlicher Politik hätte im Falle der Ukraine etwas geändert, erscheint gewagt. Doch im Falle Chinas könnten Diplomatie und der Erhalt von Entwicklungsmöglichkeiten entscheidend sein. In Mali schließlich gibt es nach dem Scheitern der militärischen Option nur noch die beiden anderen D – die hoffentlich auch in der gesamten Sahelzone wieder an Bedeutung gewinnen. Letztendlich geht es um die Frage, ob Militäreinsätze als „ultima ratio“ oder als einfachstes Mittel zum „guten Zweck“ angesehen werden. Was auch immer Bauschs offizielle Antwort auf diese Frage ist, seine Leitlinien dienen vor allem der Vorbereitung auf künftige Kriege.

KORREKTUR: Ursprünglich: „Eine weitere Neuerung gegenüber 2017 wurde schon Mitte 2022, also vor dem Ukrainekrieg, bekanntgegeben: der Aufbau eines belgisch-luxemburgischen Bataillons.“ Das war falsch, was den Ukrainekrieg , aber auch was die Ankündigung des Bataillons (August 2021) angeht.


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