Geert Wilders‘ „Partei für die Freiheit“ ist die Bildung einer rechten Regierungskoalition gelungen. Für die Normalisierung des identitär geprägten Rechtspopulismus in Europa ist das ein großer Schritt.
Geert Wilders wirkte geradezu gelöst. Nach überaus mühsamen, monatelangen Koalitionsgesprächen trat er Mitte vergangener Woche vor die Kameras und teilte mit, dass die lange rechte Regierung, deren Zustandekommen lange fraglich war, nun beschlossene Sache sei. „Historisch“ nannte er das, und „einen Traum, der Wirklichkeit wird“. Seinen Verhandlungspartnern von der liberal-rechten „Volkspartei für Freiheit und Demokratie“ (Volkspartij voor Vrijheid en Democratie; VVD), dem sozial-konservativen „Neuen Sozialvertrag“ (Nieuw Sociaal Contract; NSC) sowie der „Bauer-Bürger-Bewegung“ (BoerBurgerBeweging; BBB) dankte er „von Herzen“. Just, als das Ganze geradezu rührselig zu werden drohte, schloss er mit einem Versprechen, für das man ihn kennt: „Die Niederlande werden wieder uns gehören.“
Eine symbolische Szene, die nicht zuletzt das Bild zurechtrückt, das auch in manchen internationalen Medien gezeichnet wurde, seit seine „Partei für die Freiheit“ (Partij voor de Vrijheid; PVV) die Parlamentswahlen im November vergangenen Jahres mit riesigem Vorsprung gewonnen hat. In „Geert Milders“ wurde er dort bisweilen gar umbenannt und seine vermeintliche Kompromissbereitschaft lobend erwähnt, gerade auch mit Blick auf die angeblich abgeschwächte Haltung seiner Partei zum Islam. Selbst seine Ambitionen, Premierminister zu werden, gab er zu Jahresbeginn wegen Bedenken bei NSC und VVD auf. Alles, um seine ersehnte rechte Koalition zu ermöglichen.
Dass er weder geläutert noch altersmilde geworden ist, konnten freilich alle sehen, die es wollten. Im Frühjahr 2023 zog Wilders auf einer Kundgebung in Den Haag gegen „Asylbewerber, die sich jeden Tag vollfressen“ vom Leder, „während unsere Alten im Heim 100 Gramm Fleisch und 150 Gramm Gemüse täglich bekommen“. Wie üblich schiebt Wilders die soziale Misere im Land Flüchtlingen und Migranten in die Schuhe. Von dieser Rhetorik hat er zu keinem Zeitpunkt Abstand genommen; auch nicht, als er im Wahlkampf verkündete, er wolle „der Premierminister aller Niederländer“ sein. Vielmehr warnt er weiterhin bei jeder Gelegenheit vor einem „Asyl-Tsunami“.
Daher ist es auch kein Wunder, dass er in der Stunde des Triumphes seinen Anspruch auf das Land aggressiv unterstrich, als er das mit „Hoffnung, Mut, Stolz“ betitelte Regierungsabkommen vorstellte. Es vereint die Forderungen nach einem sicheren Existenzminimum des Koalitionspartners NSC mit klimaskeptischer Propaganda sowie versprochenen Einschnitten in Beamtenapparat, öffentlichem Rundfunk und der Entwicklungshilfe. Mit einem ambitionierten Bauprogramm will man den Wohnungsmangel bekämpfen. Ab 2027 soll der Eigenbeitrag zur Krankenversicherung deutlich sinken. Die Politik zur Stickstoffreduzierung der letzten Regierung wird stark abgeschwächt. Den Abschied von jeglicher Gesetzgebung zum Klimaschutz, eine Punkt im PVV-Wahlprogramm, wird es allerdings nicht geben. Zumindest jedoch soll auf niederländischen Autobahnen wieder mit 130 statt maximal 100 Stundenkilometern gefahren werden dürfen.
Einer der Kernpunkte des Abkommens, dessen Details vielfach noch ausformuliert werden müssen, sind die angestrebten „strengsten Zugangsregeln“ für Asylbewerber*innen und Migrant*innen innerhalb der EU. Rhetorisch wird das unterstrichen, indem im Regierungsprogramm nicht länger von „Migration“ die Rede ist, sondern vom „Zugriff auf Migration“ gesprochen wird. Zur Erinnerung: Die Neuwahlen, in denen die PVV die mit Abstand stärkste Partei wurde, gehen auf das Scheitern der Mitte-Rechts-Regierung Mark Ruttes im letzten Sommer zurück. Der damalige Premierminister hatte seine Koalition in einem Konflikt um den Familiennachzug von Flüchtlingen und Migrant*innen mutwillig zum Scheitern gebracht, als er die harte Linie seiner liberal-rechten VVD durchzudrücken versuchte.
In der nun gebildeten Koalition war ein entsprechend harter Kurs gegen Zuwanderung von Beginn der Verhandlungen an der Kitt, der die vier Parteien verband. Es ist auch einer der Bereiche, in dem sich am deutlichsten der Einfluss von zwei Jahrzehnten rechtspopulistischer Propaganda zeigt: Im vergangenen Jahr sprach sich eine Mehrheit des niederländischen Parlaments für Asylzentren außerhalb der Europäischen Union aus – etwa in Ruanda. Damals war das noch eine eher bloß theoretische Option, heute wird in der gesamten EU der Zuspruch für ein solches Verfahren lauter („Vom Lager in den Libanon“ in woxx 1787). Für einen temporären „Asyl-Stopp“ stimmten in einer Umfrage 2022 sogar 86 Prozent der Befragten – mehr als dreimal so viel wie die knapp 25 Prozent der Stimmen, welche die PVV vor einem halben Jahr bei den Parlamentswahlen gewann.
Geert Wilders warnt weiterhin bei jeder Gelegenheit vor einem „Asyl-Tsunami“.
Einer der ersten Pläne der neuen Regierung, die bekannt wurden, war die Abschaffung eines Gesetzes, das Asylbewerber*innen über die Niederlande verteilen und Kommunen zu deren Unterbringung verpflichten soll. Die PVV und ihr publizistisches sowie gesellschaftliches Umfeld haben monatelang gegen eine solche Regelung agitiert – durchaus vergleichbar mit dem Widerstand Ungarns oder Polens gegen die solidarische Verteilung Geflüchteter in Europa. Die Zielsetzung ist die gleiche: Wer Asylbewerber*innen gar nicht erst zulässt, braucht diese auch nicht zu verteilen.
Die geplante Streichung ist Teil eines angestrebten „Asylkrisengesetzes“. Es soll sofort nach seiner Verabschiedung wirksam werden und „mit Krisenmaßnahmen den akuten Asylzustrom und die Unterbringungskrise bekämpfen“. Dazu zählen unter anderem notfalls erzwungene Abschiebungen von Personen ohne Aufenthaltsstatus und die Verstärkung von Grenzkontrollen. Daneben ist eine „opt-out-Klausel“ geplant, die man schnellstmöglich bei der EU-Kommission einreichen will, um sich aus dem eben erst reformierten Gemeinsamen Europäischen Asylsystem („Politik folgt Praxis“ in woxx 1782) auszuklinken.
Stattdessen will man in Den Haag „mit gleichgesinnten und anrainenden Ländern intensiv zusammenarbeiten, um in Zeiten einer gemeinsamen Krise adäquat auftreten zu können“. Das Stichwort „Mini-Schengen“ deutet ein Szenario an, in dem entsprechende Mitgliedsstaaten durch eine gemeinsame Initiative neue, härtere Standards erzwingen könnten, die sich allmählich auf die gesamte europäische Asylpolitik auswirken können. Zudem will man sich „maximal für Unterbringung in der Herkunftsregion und Migrationsdeals“ stark machen.
„Die Sonne wird wieder scheinen über den Niederlanden“, kommentierte Wilders all diese Pläne. Zumindest werden sie nun nicht unter seiner Führung umgesetzt, denn Premierminister wird der 60-Jährige nicht. Wer sie an seiner Stelle umsetzen wird, ist noch offen. Der einstige Bildungs- und Innenminister Ronald Plasterk, der zwischenzeitlich die Koalitionsverhandlungen leitete und die komplizierte Chemie der Beteiligten von innen kennt, schien zunächst gute Karten zu haben. Zwar ist Plasterk Sozialdemokrat, doch hat er eine feste Kolumne in der Boulevardzeitung „De Telegraaf“, einem rechten Leitmedium, in dem er die eigene Partei gerne kritisiert. Zu Wochenbeginn zog er sich von einer Kandidatur zurück, weil seine zwischenzeitliche Unternehmertätigkeit Zweifel an seiner Integrität geweckt hatte.
Nichts publik wurde bislang auch über die Riege der Minister*innen und Staatssekretär*innen, die – ein Novum nicht nur in der niederländischen Regierungsgeschichte – aus „außerparlamentarischen“ Expert*innen rekrutiert sein sollen. Aus politikwissenschaftlicher Sicht und mit Blick auf Prozesse demokratischer Repräsentation ist das durchaus interessant. Zugleich jedoch etabliert man hier ein Modell, das in den kommenden Jahren noch für Diskussionen sorgen wird: Rechtspopulist*innen bringen Mitglieder anderer Parteien oder politikferne Akteur*innen dazu, ihre Agenda auszuführen.
Die Entwicklung in den Niederlanden zeigt einmal mehr, wie sehr die Inhalte von Parteien wie der PVV, der „Alternative für Deutschland“ (AfD), der „Freiheitlichen Partei Österreichs“ (FPÖ) oder des französischen „Rassemblement National“ inzwischen konsensfähig geworden sind. „Im Herzen der Macht“ verortete Wilders nach der Bildung der neuen Koalition seine Partei. Wenn in den Niederlanden voraussichtlich in der ersten Juni-Hälfte die neue Regierung vereidigt wird, sind dies die Früchte einer Entwicklung, die andernorts, etwa in Deutschland, noch umkämpft ist: Das Einreißen einer Brandmauer gegen rechtsextreme Parteien, die auf dem Weg eines identitär geprägten Populismus in den gesellschaftlichen Mainstream gelangen.
So starten die Niederlande nun in das „größte politische Experiment seit dem Zweiten Weltkrieg“, wie es die progressive niederländische Tageszeitung „de Volkskrant“ nennt. Trotz erheblicher Zweifel, die bei Amtsträgern und Basis von VVD und NSC gegen eine Zusammenarbeit mit den Rechtspopulist*innen bestehen, blieben die Parteien bei der Stange.
Das liegt zum einen daran, dass ihnen Neuwahlen geschadet und den anhaltenden Aufwärtstrend der PVV bestätigt hätten. Zum anderen hat man es mit einer öffentlichen Meinung zu tun, die, von Wilders seit Jahren angestachelt, lautstark auf ihr vermeintliches Recht auf eine PVV-Regierung pocht. Alles andere wird als vermeintlicher Ausverkauf oder Verrat betrachtet. Dass Koalitionsgespräche im Lauf der Verhandlungen platzen und andere Zusammensetzungen versucht werden, gehört ähnlich wie im Nachbarland Belgien zum normalen Procedere der niederländischen Demokratie.
In diesem Fall schien die Option aber gar nicht erst zu existieren, sieht man von dem gelegentlichen Werben Frans Timmermans‘ für eine andere Konstellation ab, dessen rot-grünes Wahlbündnis im November auf dem zweiten Platz gelandet ist. Der aus Brüssel zurückgekehrte ehemalige EU-Kommissar wird von den Rechten seines Landes aber regelrecht verteufelt – als vollgefressener „woker“ Eurokrat, der den wackeren Niederländer*innen einen unsoziale Klimakorrektheit aufbürden will. Eine Zusammenarbeit mit ihm kam daher gar nicht erst in Frage.
All dies ist die neue Realität eines Kulturkampfs, der in den Niederlanden noch heftiger tobt, seit die Brandmauer gegen die Rechtspopulist*innen im Wahlkampf abgetragen wurde. Da sich neue politische Entwicklungen hierzulande bisweilen rascher zeigen als in den Nachbarländern, lohnt es sich, das weitere Geschehen im Auge zu behalten. Ob die luxemburgische „ADR“, der französische Rassemblement National, der flämische „Vlaams Belang“ in Belgien – sie alle bemühen eine ähnliche Rhetorik und arbeiten auch auf europäischer Ebene zusammen. Eine PVV-Regierung in den Niederlanden dürfte auch ohne Wilders als Premierminister europaweit eine Signalwirkung haben.