Was heißt hier „Familie“?

Bei der politischen Kommunikation rund um Kontaktbeschränkungen an Weihnachten wird deutlich, welche Lebensformen die Regierenden als Norm wahrnehmen – und für wen sie letztendlich Politik machen.

© pixy.org

„Es ist nicht die Zeit für Besuch. Gefeiert werden soll dieses Jahr nur in der Familie.“ Hinter dieser unscheinbaren Aussage, die Paulette Lenert am vergangenen Mittwoch der Presse gegenüber machte, verbirgt sich mehr als man zunächst annehmen könnte: eine ganz spezifische Vorstellung von Familie.

Eins gleich vorweg: Dieser Artikel will keinesfalls die Vorgabe kritisieren, nach welcher über die Weihnachtstage hinweg alle nicht notwendigen Kontakte zu vermeiden sind. Hier soll es einzig darum gehen zu zeigen, wie durch den Sprachgebrauch manche Formen des Zusammenlebens sichtbar gemacht und normalisiert werden, andere wiederum ausgeblendet und schlimmstenfalls sogar stigmatisiert werden.

Wenn Lenert die Menschen, die im eigenen Haushalt leben pauschal als „Familie“ bezeichnet, hat sie wahrscheinlich ein Paar mit einem oder mehreren Kindern vor Augen. Davon abgesehen, dass diese Konstellation nicht der Mehrzahl an luxemburgischen Haushalten entspricht, spiegelt sie eine recht konservative Vorstellung von „Haushalt“ wider. Gleichzeitig wird durch diese Wortwahl eine Vielfalt an Lebensrealitäten ausgeblendet: Menschen, die in WGs leben, Menschen, die alleine leben, Patchworkfamilien, Menschen, die den Kontakt zu ihrer Familie meiden, oder Menschen, deren Familienmitglieder allesamt verstorben sind. Nun hat die Regierung durchaus betont, dass Alleinlebende andere besuchen dürfen oder selbst Besuch empfangen dürfen. Das ändert jedoch nichts daran, dass oben zitierte Aussage eine ausschließende Wirkung hat. Zwar kann man nicht erwarten, dass Lenert anlässlich einer Pressekonferenz auf all jene Lebensrealitäten eingeht, aber sie hätte alleine schon dadurch inklusiver sein können, dass die statt „Familie“ einfach von „Haushalt“ spricht.

Die Fokussierung auf die christliche Kernfamilie ist in der Ausnahmeregelung, die in Deutschland zu Weihnachten gilt, noch wesentlich ausgeprägter. Dort ist nämlich ausdrücklich präzisiert, dass die Anzahl der ohnehin zugelassenen Kontakte vom 24. bis zum 26. noch um vier weitere aus dem „engsten Familienkreis“ erweitert werden darf. Menschen, die Weihnachten üblicherweise lieber mit Freund*innen feiern, wurden bei dieser Regelung nicht mitbedacht. Die LGBTI-Organisationen von Linken und Grünen reagierten darauf mit Kritik. „Drei befreundete Singles dürfen sich demzufolge an Weihnachten nicht treffen, fünf miteinander verwandte Personen hingegen schon. Mit epidemiologischen Erkenntnissen hat das nichts zu tun, mit einem völlig antiquierten Familien- und Gesellschaftsbild der Regierungschef*innen hingegen alles“, schrieb Die Linke.Queer. QueerGrün seinerseits forderte, von einer Ungleichbehandliung für „Beziehungen zweiter Klasse“ abzusehen.

Doch unabhängig von den Weihnachts-Regelungen der jeweiligen Länder: Stets wird sich damit an die Gesamtbevölkerung gerichtet. Alle, die Weihnachten nicht feiern oder sich vielleicht für andere religiöse Feste Ausnahmeregelungen gewünscht hätten, werden ignoriert.

Die Wortwahl von Regierenden macht nicht nur deutlich, was diese als normal empfinden, sondern auch, für wen sie Politik machen. Es reicht eben nicht, wenn punktuell zu Sensibilisierungstagen oder im Rahmen von Aktionsplänen an die ein oder andere Minorität gedacht wird. Wahrhaftige Inklusion erfordert einen ganzheitlichen Ansatz.


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