Wasser- und Energie-Preisgestaltung: Staffellauf mit Hindernissen

Im Vorfeld der Gemeindewahlen wirbt Déi Lénk für ein Preismodell, das sozialverträglich ist und noch dazu den Wasser- und Energieverbrauch besonders schnell senken soll. Details zum Vorschlag und Positionen anderer Parteien.

Schieflage beim Wasserpreis. Was tun? (Kawita Chitprathak; Pixabay)

Ist Emmanuel Macron Sozialist? Die Frage bezieht sich nicht auf seine Mitgliedschaft im PS (Parti socialiste) vor 15 Jahren, sondern auf seinen vor drei Wochen vorgestellten „Plan eau“. In diesem Plan zum Erhalt der Ressource Wasser ist unter anderem ein progressives Tarifmodell vorgesehen: Der Grundbedarf eines Haushalts soll wenig kosten, der darüber hinaus gehende Verbrauch dagegen teurer werden. Ein Modell, das lange Zeit nur von linken Kräften befürwortet wurde – als Alternative zum neoliberalen Konzept der Preiswahrheit. In Luxemburg war eine wie auch immer geartete „soziale Staffelung“ des Wasserpreises insbesondere 2007 bei der Erarbeitung des neuen Wassergesetzes in der Diskussion; die woxx legte damals die inneren Widersprüche der Kostenwahrheit und die Vorteile eines nach Verbrauch gestaffelten Tarifs dar.

50 Liter gratis

Im Vorfeld der Gemeindewahlen am 11. Juni versucht die Partei Déi Lénk, die Debatte neu zu entfachen. Vor einer Woche stellte sie ihre Forderung nach einem solchen Modell vor, das gleichzeitig „Grundbedürfnisse für alle garantieren und Ressourcen schonen“ soll. Dabei soll, im Hinblick auf das hohe Armutsrisiko in Luxemburg, nicht nur der Tarif für Wasser nach Verbrauch gestaffelt werden, sondern auch für Strom und Heizen. In der Tat stellen solche Tarifmodelle eine Illustration des Versuchs dar, wie Déi Lénk schreibt, „die soziale Frage zusammen mit der ökologischen Frage [zu] denken“. Angesichts von Inflation und Kaufkraftverlusten sowie der konkreten Erfahrung erster Auswirkungen des Klimawandels, erscheint die Tarifdebatte als vielversprechendes Wahlkampfthema.

Was die Wasserpreise angeht, so unterstrich Patricia Arendt von Déi Lénk am vergangenen Freitag die Vereinbarkeit der Staffelung mit der EU-Wasserrahmenrichtlinie (WRR) von 2000. Diese sieht zwar die Kostendeckung vor, erlaubt es aber, dabei soziale Aspekte zu berücksichtigen. Auch das Luxemburger Wassergesetz erlaube differenzierte Preismodelle, so die Suessemer Gemeinderätin. Daher sei die Weigerung der Innen- und der Umweltministerin, nach Verbrauch gestaffelte Wasserpreise einzuführen, unverständlich. Konkret schlägt die Partei vor, die ersten 50 Liter (pro Kopf und Tag) gratis zur Verfügung zu stellen. Die nächsten 100 Liter seien so du verrechnen, „dass der größte Teil der Kosten davon bestritten werden könne, der nachhaltige Umgang mit der Ressource aber gefördert werde – wer weniger verbraucht, spart Wasser und Geld“. Was über diese 150 Liter hinaus geht soll „ganz stark tarifiert werden“, weil es in die Kategorie „Komfort“ fällt oder gar eine „Verschwendung“ darstellt.

Ein Alleinstellungsmerkmal solcher Modelle ist, dass sie nicht nur die Auswirkungen steigender Wasserpreise sozial abfedern, sondern ein klares Preissignal für Einsparungen setzen – was eine Preiserhöhung mit festem Literpreis nicht leisten kann. In der Vergangenheit wurden von linken Kräften auch andere „soziale Staffelungen“ befürwortet, zum Beispiel Sondertarife für einkommensschwache oder kinderreiche Haushalte. Weil diese einen festen Literpreis vorsehen, gelten sie als unökologisch und werden kaum noch gefordert. Déi Lénk tritt schon seit Langem für die Staffelung nach Verbrauch ein, ist damit mittlerweile aber nicht mehr allein. DP und CSV stehen allerdings eher für „Preiswahrheit“ und feste Literpreise – der Vorstoß Jean-Claude Junckers von 2012 für eine „Sozialstaffelung“ dürfte in seiner Partei vergessen sein. Interessanterweise befürwortet die ADR in ihrem 100-Punkte-Gemeindewahlprogramm einen „Gratis-Trinkwasser-Sockel“, erhebt die gleiche Forderung für den Abfall, schweigt sich aber aus zu Strom- und Heizkosten.

Das Rahmenprogramm der Piratepartei für die Gemeindewahlen empfiehlt die Sammlung von Regenwasser auf öffentlichen Gebäuden und Plätzen, unter anderem um „die Pflanzen in der Gemeinde zu gießen“. Im Sinne der Sparsamkeit solle das Tarifmodell weniger die fixen als die variablen Kosten berücksichtigen, also mit einem im Vergleich zum Anschlusstarif hohen Literpreis die bezahlen lassen, die mehr verbrauchen. Auf Nachfrage betont der Abgeordnete Marc Goergen, seine Partei habe sich mehrfach für „gestaffelte Wasser- und Energiepreise“ ausgesprochen. Gerade beim Wasser solle man „den Haushalten mit weniger finanziellen Mitteln entgegenkommen und einen Sockelverbrauch quasi gratis zur Verfügung stellen“. Goergen erinnert an den relativ hohen nationalen Pro-Kopf-Verbrauch, zum Beispiel 180 Liter täglich in der Hauptstadt: „Wir könnten uns vorstellen, dass die ersten 100 Liter umsonst wären, und der Preis ab 200 Liter schnell ansteigen würde.“

Teuerungszulage – recht und billig?

„Wasserverschwendung muss über einen gestaffelten Wasserpreis reduziert werden“, liest man im LSAP-Wahlprogramm … von 2018. Im Vorfeld der Doppelwahlen von 2023 aber seien die Diskussionen über dieses Thema noch nicht abgeschlossen, heißt es aus der Parteizentrale. „Es hat viele Diskussionen gegeben und wir sind eigentlich dafür, doch die Staffelung nach Verbrauch ist wohl nicht umsetzbar“, so der LSAP-Mitarbeiter Marc Weyrich. In der Tat hatten noch im Januar 2022 die Innenministerin Taina Bofferding (LSAP) und die Umweltministerin Carole Dieschbourg (Déi Gréng) eine parlamentarische Anfrage von Marc Spautz (CSV) zu solchen Tarifmodellen – auch für die Abfallgebühren – negativ beantwortet. In der gemeinsamen Antwort wurde argumentiert, Wasser gratis zur Verfügung zu stellen, stehe im Widerspruch zu Kostendeckung, Verursacherprinzip und rationeller Nutzung der Ressourcen – Prinzipien, die in der WRR festgelegt sind. Im Sinne der sozialen Verträglichkeit, so Weyrich, stelle die Teuerungszulage einen Kompromisslösung dar. Über diesen Weg, das betonen auch die Ministerinnen in ihrer Antwort, kann die finanzielle Belastung einkommensschwacher Haushalte durch den Wasserpreis aufgefangen werden. Der LSAP-Mitarbeiter unterstreicht, das Wahlprogramm sei noch nicht verabschiedet, es könne noch einmal Bewegung in die Debatte kommen.

Einen ähnlichen Disclaimer schickt auch François Benoy (Déi Gréng) im Gespräch mit der woxx voraus. „Bisher haben wir keine neue Position“, so der Abgeordnete und hauptstädtische Gemeinderat. Eine Staffelung der Wasser- und Energiepreise ist in seinen Augen „nicht der richtige Weg“. Für Déi Gréng ist weiterhin das Argument entscheidend, dass ein gestaffelter statt eines festen Preises in Widerspruch zum Verursacherprinzip steht. Um den Wasserverbrauch zu senken, könne man stattdessen die Regen- und Grauwassernutzung stärker fördern, so Benoy. Und wenn jemand seinen Pool mitten in einer Trockenperiode füllen wolle, gebe es dagegen wohl andere Mittel als ein gestaffelter Preis. „Das Trinkwasser wird in Zukunft noch knapper“, warnt der grüne Politiker, „da wäre es ein falsches Signal, einen Teil davon gratis zu liefern.“ Grundsätzlich solle Sozial- und Verteilungspolitik über die Steuern gemacht werden und nicht innerhalb der Wasser- und Energiepolitik.

Die grüne Argumentationslinie ist nicht neu, interessanterweise wurde sie in der Vergangenheit vom Mouvement écologique geteilt. Das aber hat sich geändert. In seiner programmatischen Broschüre zu den Gemeindewahlen spricht sich der Méco für eine „soziale Staffelung von Gebühren“ aus, bei der der Grundverbrauch kostengünstiger ist als ein höherer Verbrauch. „Mit einer derartigen Staffelung wird die Gemeinde einerseits sozialen Kriterien gerecht und andererseits regt sie generell zu einem sorgsameren Umgang an“, so die NGO, die das Modell im Wasser- und eventuell im Abfallsektor befürwortet (S. 101). Verwirrend ist dabei, dass sie weiterhin die Wichtigkeit des Verursacher- und des Kostendeckungsprinzips betont, die doch mit der Staffelung weitgehend ausgehebelt werden.

Vollbad nur noch für große Tiere? Der Wasserpreis soll steigen – aber nur ab einem hohen Verbrauch. (Andreas Breitling; pixabay.com)

Zähler als Hindernis

Was die Staffelung der Wasserpreise in Frankreich angeht, so erinnert das Magazin Alternatives économiques daran, dass diese Möglichkeit bereits 2013 unter dem Präsidenten François Hollande geschaffen wurde. Das Modell wurde aber nur von etwa 40 „Collectivités locales“ (Gemeinden oder Gemeindeverbände) umgesetzt – mit begrenzter Wirkung. Schwierigkeiten bereitet nicht etwa die WRR, sondern die technischen Möglichkeiten bei der Berechnung und Übermittlung der Tarife. In Dunkerque zum Beispiel wird für die ersten 80 Kubikmeter jährlich (etwa 220 Liter täglich) ein symbolischer Preis berechnet, danach wird es teurer. Doch das Modell wird einfachheitshalber pro Haushalt statt pro Kopf angewendet, wodurch kinderreiche Familien benachteiligt werden. In Luxemburg war es in der Vergangenheit ebenfalls schwierig, die Zusammensetzung der Haushalte einzuberechnen. Doch wie der Mouvement in seinem „Wahlprogramm“ hervorhebt, sollen die Gemeinden künftig Haushaltsregister erstellen, was eine Pro-Kopf-Tarifierung vereinfachen würde. Allerdings gibt es in Appartementgebäuden zum Teil nur einen Wasserzähler für alle Wohnungen – dort wird es also kaum ökosoziale Lenkungseffekte geben.

Dass die Preissignale überhaupt entscheidend sind, das bezweifelt gegenüber Alternatives économiques Régis Taisne, Vertreter der Föderation öffentlicher Netzdienstleistungen FNCCR: Eine begrenzte Übernutzung der Ressource schlage mit vielleicht 50 Euro im Jahr zu Buche. Zu wenig, um zum Sparen anzuspornen. Taisne spricht sich eher für eine saisonale Staffelung der Wasserpreise aus. Damit könne man im Sommer ein Preissignal geben, bevor das Wasser lokal knapp wird und es zu Verboten kommt. Die Überlegung, dass Wassersparen im August sinnvoller ist als im Februar, gilt auch für Luxemburg – wurde bisher aber kaum diskutiert. Das Magazin verweist auch darauf, dass der Großteil des Wasserverbrauchs auf Landwirtschaft und Industrie entfällt. Der Vorschlag von Déi Lénk blendet diesen Aspekt aus – weil das Modell nicht auf diese Sektoren übertragbar ist, und es auch nicht um ein „Grundrecht gehe. In den Augen der LSAP ist alleine schon der – von der Landwirtschaft geforderte – landesweit einheitliche Wasserpreis kaum machbar. Sie verweist auf die Zuständigkeit der Gemeinden auch für diesen Teil der Wasserversorgung, und betont, an dieser Zuständigkeit nicht rütteln zu wollen.

Das Modell der nach Verbrauch gestaffelten Preise auf den Haushaltsbedarf bei Strom und Heizen zu übertragen, erscheint logisch. Zum einen geht es auch bei diesen um Daseinsvorsorge und nicht um eine wirtschaftliche Nutzung, zum anderen handelt es sich (außer beim Heizöl) um netzgebundene Ressourcen mit substanziellen Fixkosten. Doch es gibt auch Unterschiede. So lassen sich die Bedürfnisse eines Haushalts angesichts der unterschiedlichen Wohnungs- und Heizungseinrichtungen kaum in Kilowatt und Kubikmetern quantifizieren. Insbesondere der Bedarf an Heizleistung ist abhängig von der Wärmedämmung – die von Besitzer*innen von Altbauten nur eingeschränkt und von Mieter*innen überhaupt nicht verbessert werden kann. Außerdem sind die Gemeinden nicht oder nicht mehr zuständig für die Versorgung mit Gas und Strom, sondern nach einer kommerziellen Logik geführte Privatunternehmen, zumeist unter staatlicher Kontrolle. Das erschwert Eingriffe in die Tarifgestaltung, macht sie aber nicht unmöglich, wie die Maßnahmenpakete der Regierung im Kontext der Energiepreiskrise von Anfang 2022 gezeigt haben.

Wie viele Kubikmeter Strom?

Wo der Vorschlag von Déi Lénk fürs Wasser exakte Zahlen enthält, bleibt er im Energiebereich vage. Man müsse einen Grundbedarf für einen typischen Haushalt ermitteln, mit Kühlschrank, Lampen und Heizung, so der linke Spitzenpolitiker Marc Baum gegenüber der woxx. Die entsprechende Energie werde wie beim Wasser gratis gestellt, danach gelte der Marktpreis und ab einem mehrfachen Verbrauch ein noch höherer Preis. Dabei müsse der Verbrauch von Strom und Gas gegeneinander aufgerechnet werden, je nachdem wie der Haushalt eingerichtet sei, erklärt Baum. Das sei kompliziert, aber in Bremen habe „Die Linke“ ein solches Modell durchgerechnet. Auf den Nachteil für Mieter*innen in schlecht isolierten Wohnungen angesprochen, verweist Baum auf den von Déi Lénk vorgeschlagenen Mietdeckel. Bei solchen Wohnungen könnten nur besonders niedrige Mieten verlangt werden, was die Besitzer*innen dazu dränge, diese zu sanieren.

Die LSAP sieht nur eingeschränkte Möglichkeiten, in die Energietarife einzugreifen, dafür aber viele Komplikationen. Auch hier erlaube es die Teuerungszulage, gezielter Unterstützung zu leisten. François Benoy (Déi Gréng) unterstreicht, der Strombedarf werde künftig steigen, ein Gratis-Grundbedarf sei problematisch. Zum Beispiel dürfe, wer auf eine Wärmepumpe umstellt, nicht benachteiligt werden, weil er oder sie die Gas-Sockelmenge nicht mehr nutzen könne. Für die Energieeffizienz ist in Benoys Augen die zeitliche Staffelung wichtig – in den Spitzenstunden teurer Strom, zu anderen Zeiten günstiger. Das aber sei wohl nicht mit der Staffelung nach kWh-Verbrauch vereinbar.


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