Ausgrenzung queerer Menschen? Don´t blame it on Covid-19

Wie wirkt sich die Pandemie auf das Leben queerer Menschen aus? Das Centre d‘information gay et lesbien (Cigale) fasst ihre Situation in einem öffentlichen Schreiben zusammen und betont: Covid-19 ist nicht alleine Schuld an den Missständen.

Bildquelle: Cigale

„Déjà en temps hors-crise, la plupart des personnes LGBTIQ+ subissent et font l’expérience de violences, d’invisibilisations et de mal-être à cause de leur identité de genre, leur sexualité, leur expression de genre et leurs caractéristiques sexuées“, sagt das Cigale in einem öffentlichen Schreiben, das das Zentrum am Donnerstag veröffentlichte. Die sanitäre Krise bringe für marginalisierte Personengruppen weitere Risiken mit sich und verstärke Probleme, denen sie im Alltag normalerweise durch den Besuch von Rückzugsorten oder Vertrauenspersonen aus dem Weg gehen könnten.

Das Cigale hebt in seinem Schreiben bestimmte Bevölkerungs- und Altersgruppen sowie Familien hervor, die die soziale Isolation und die eingeschränkte Bewegungsfreiheit besonders hart trifft. Es setzt bei den jüngsten Mitgliedern der queeren Gemeinschaft an: Minderjährige und junge Erwachsene, die sich noch nicht geoutet haben oder zuhause wegen ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer Geschlechtsidentität angegriffen werden, sitzen nun oft in der Zwickmühle. Manche würden körperlich, andere verbal von ihren Familienangehörigen verletzt, könnten derzeit aber nirgendwo anders unterkommen – sowohl aus finanziellen Gründen als auch aufgrund mangelnder Alternativen. Viele sähen sich gezwungen, entweder die Last des Schweigens zu tragen oder sich ständiger Aggressionen aufgrund ihrer Queerness auszusetzen.

Auch queere Asylbewerber*innen und Empfänger*innen internationalen Schutzes befänden sich unter anderem wegen ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer Geschlechtsidentität in prekären Wohnsituationen. Nicht wenige seien auf die Unterbringung in einer queerfeindlichen Umgebung angewiesen. In Luxemburg (sowie in den meisten EU-Ländern) gibt es keine Asylheime ausschließlich für queere Flüchtlinge, wie die woxx bereits letztes Jahr in einem Artikel über die Rechte queerer Menschen in Europa anmerkte. Aus dem Grund verzichten die meisten Asylbewerber*innen und Empfänger*innen internationalen Schutzes, die noch in Foyers leben, auf ein Coming-Out, schreibt das Cigale. Sie versuchten auf diese Weise, sich vor Diskriminierungen, körperlichen und mentalen Angriffen zu schützen. Auch für sie entfällt die Möglichkeit, sich außerhalb der eigenen vier Wände mit Vertrauenspersonen zu treffen oder sich an queerfreundlichen Orten aufzuhalten – sie sind ihrer Wohnsituation ebenfalls ausgeliefert, oftmals sogar ohne Möglichkeit via Internet oder Telefon mit Gleichgesinnten Kontakt zu halten, und laufen Gefahr durch die sanitäre Krise noch stärker zu vereinsamen oder Hass zu erfahren.

Einsamkeit und Isolation während der Krise sind für viele Bevölkerungsschichten ein Problem – insbesondere für Senior*innen, die zu einer der größten Risikogruppen gehören. Bei queeren Senior*innen kommt erschwerend hinzu, dass sie aufgrund einer queerfeindlichen gesellschaftlichen und oft auch familiären Erziehung weder offen zu gleichgeschlechtlichen Beziehungen noch zu ihrer Transidentität stehen, schreibt das Cigale. Nicht wenige hätten deswegen keine Angehörigen, die sich um sie kümmern könnten oder sich nach ihrem Zustand erkundigen würden. Und auch für diese Altersgruppe gilt, dass sie auf den Besuch von queerfreundlichen Orten verzichten müssen und die Menschen, denen sie ihre sexuelle Orientierung oder ihre Geschlechtsidentität anvertraut haben, derzeit nicht treffen können. In Wohnstrukturen für Senior*innen fehlt es queeren Bewohner*innen und ihren Belangen grundsätzlich an Sichtbarkeit. Die woxx berichtet im Artikel „Queer altern: Regenbogenfahne grau in grau“ darüber. Die Pandemie erleichtert die Situation queerer Senior*innen und Senior*innen im Allgemeinen nicht.

Administrative Hürdenläufe und queerfeindliche Gesetze

CC BY-gaelx 2.0

Das Cigale verweist in seinem Schreiben darüber hinaus auf Regenbogenfamilien. Diese müssten wegen der Corona-Krise eventuell juristische und administrative Hindernisläufe überstehen. Das Cigale bezieht sich dabei unter anderem auf verlangsamte oder aufgeschobene Prozeduren zur Anerkennung der Elternschaft bei Kindern gleichgeschlechtlicher Paare, insbesondere bi-nationaler Paare. Ein weiteres Problem sei die vorausgesetzte Heteronormativität: „À un autre niveau, les couples peuvent être confrontés à une vision hétéronormative du couple hétérosexuel de la part des forces de l’ordre qui peuvent remettre en question la légitimité du couple et du foyer de «même sexe».“

Unabhängig des Alters, der Wohn- und der familiären Situation, würden queere Menschen in medizinischen Fragen zudem oft stigmatisiert, hebt das Cigale in seinem Schreiben abschließend hervor. Zu Krisenzeiten würde dies noch offensichtlicher. Das Zentrum nennt zwei Beispiele: „En temps de pandémie et de priorisation de certaines mesures, il se peut que, par exemple, les femmes non-hétérosexuelles et/ou sans désir d’enfant se voient décaler leur rdv gynécologique. Les personnes trans qui ont commencé un traitement de réassignation de genre se voient coupées de leur processus de transition.Nach Angaben des National Center for Transgender Equality sind trans Menschen dabei ohnehin oft gesundheitlich gefährdet, weil sie den Praxisbesuch aus Angst vor Diskriminierung durch das medizinische Personal scheuen.

Stichwort trans Menschen: Die neusten politischen Ereignisse in Europa und den USA zeigen, dass insbesondere trans Menschen während der sanitären Krise durch die Verabschiedung trans- und intersexfeindlicher Gesetze noch stärker diskriminiert werden als ohnehin schon. Die woxx kommentierte in der letzten Print-Ausgabe (woxx 1576) die Verabschiedung transfeindlicher Gesetze in Ungarn und im US-Bundesstaat Idaho. Der Notstand in Ungarn wurde beispielsweise dazu missbraucht, ein Zeichen gegen trans und intersexuelle Menschen zu setzen. Inakzeptabel, wie das Cigale findet. Das Zentrum unterstreicht in seinem Schreiben, dass die sanitäre Krise in keinster Weise Diskriminierungen, hasserfüllte Diskurse sowie queerfeindliche Gesetzgebungen legitimiert. Auch werfe die Pandemie erneut Fragen zur Gleichberechtigung auf. Frauen – unabhängig ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer Geschlechtsidentität – seien zum Großteil in den Care-Bereichen tätig, die für die Bekämpfung von Covid-19 unerlässlich seien. Die Krise offenbare die Relevanz ihrer Arbeit und die Notwendigkeit soziale, politische und wirtschaftliche Analysen auch im Hinblick auf Genderfragen durchzuführen. Am Ende sei es nicht der Virus, der queere Menschen angreifbar mache, sondern vielmehr die sozio-politischen Entscheidungen und Regelungen, die Minoritäten ausblenden würden.


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