Die fünfte Rede zur Lage der Nation von Xavier Bettel könnte auch seine letzte sein. Damit wird am morgigen Dienstag die heiße Phase des Wahlkampfs eingeläutet.
Ist die Chamber „Rifkin-konform“? Oder kommt es dieses Jahr wieder zu einer Mikrofon-Panne während der Rede zur Lage der Nation? 2017 hatte die technische Unzulänglichkeit, aufgrund derer Xavier Bettels Rede um einen Tag verschoben wurde, für witzige und hämische Schlagzeilen gesorgt. Und für ein Politikum: Weil der Text den Abgeordneten schon vorlag, setzten die Grünen über Nacht eine klarere Formulierung im Sinne der Bio-Landwirtschaft durch – was der Presse, die den ursprünglichen Text ja auch vorliegen hatte, nicht verborgen blieb (woxx 1422).
Wahlthemen Wachstum und Identität
Ob Rifkin-Strategie oder Last-Minute-Taktik, beide sollten im Dienste einer politische Idee stehen. Die war 2017 in Bettels Titel zusammengefasst: „Liewensqualitéit fir Lëtzebuerg“. Die gesellschaftspolitischen Reformen standen 2014 kurz nach seinem Amtsantritt noch im Mittelpunkt der Rede, doch nach dem verlorenen Referendum griff der Premier lieber auf den gefälligen Refrain „Lëtzebuerg geet et gutt, wann et de Mënsche gutt geet“ zurück. Wird das auch in diesem Jahr so bleiben?
Oder wird Bettel das heimliche Motiv seiner Rede von 2017 ausbauen: die Öffnung Luxemburgs und seine Weiterentwicklung, in Anlehnung an das Jubiläum des Londoner Vertrags von 1867? Jener Vertrag, dessen Konsequenz die Schleifung der Festung war, was den wirtschaftlichen Aufstieg begünstigt haben soll (woxx 1421). Wird der Premier das deutlich formulieren, was sein gewichtigster Koalitionspartner auch sagt: Das Land muss nach vorne blicken, darf nicht stehenbleiben? Oder wird er sich vorsichtig zeigen angesichts der Zweifel und Ängste in der Bevölkerung die einerseits von Déi Gréng und der Umweltbewegung, andererseits von CSV, ADR und rechten Strömungen aufgegriffen werden?
Lage der Nation … und der Koalition
Immerhin sind in sechs Monaten Wahlen und die Themen Wachstum und Identität nehmen in der Debatte viel Raum ein. Der Spitzenkandidat der LSAP hat sich schon deutlich für zusätzliches Wachstum und gegen jede Festungsmentalität ausgesprochen (woxx 1469). Étienne Schneider dürfte, wie vergangenes Jahr, mit Unterbrechungen der CSV-Reden, insbesondere der seines Lieblingsgegners Claude Wiseler, versuchen, von der öffentlichen Aufmerksamkeit für den Auftritt des Premiers zu profitieren. Die Grünen dagegen könnten versucht sein, sich von der Wachstumsrhetorik zu distanzieren und damit ihr Profil zu schärfen.
Damit stellt sich die Frage der Fortführung der jetzigen Koalition. 2017 hatte der Premier, ungeachtet der schlechten Wahlumfragen, so getan, als wolle er mit seinen beiden Partnern weiterregieren. Wird Xavier Bettel dieses Jahr die Fassade einer großen politischen Einigkeit aufrechterhalten, oder die Karte seiner Partei – und eines Vizepremier-Postens in einer schwarz-blauen Koalition – spielen?