Corona-Krise: Auf den Zahn fühlen statt Fieber messen

Wie wirkten sich die bisherigen staatlichen Maßnahmen im Kampf gegen Covid-19 auf das Leben der EU-Bürger*innen aus? Die Universität Luxemburg vergleicht in einer Studie Eindrücke aus sechs Ländern. Luxemburger*innen waren vor und während dem Lockdown am einsamsten – Italiener*innen und Spanier*innen am ärmsten.


(CDC/ Alissa Eckert, MS; Dan Higgins, MAM ; PD)

Die Fakultät für Geisteswissenschaften, Erziehungswissenschaften und Sozialwissenschaften der Universität Luxemburg interessiert sich in einer Studie für den Alltag der EU-Bürger*innen zu Zeiten der sanitären Krise. Die Wissenschaftler*innen Annika Lutz, Remi Yin, Conchita D’Ambrosio und Claus Vögele vergleichen in der Studie „How Do Different Confinement Measures Affect People in Luxembourg, France, Germany, Italy, Spain and Sweden?“ wie sich die staatlichen Maßnahmen im Kampf gegen Covid-19 bisher auf das Leben der Bürger*innen ausgewirkt haben.

Die ersten Daten wurden im Mai und Juni 2020 über die Website der Universität und die Umfrageplattform Qualtrics erhoben. Zu dem Zeitpunkt galt in Spanien, Italien, Frankreich und Luxemburg der Krisenzustand. Die Regierungen hatten Ausgangssperren verhängt und strikte Regelungen eingeführt. In Deutschland und Schweden wurde der Notstand nicht ausgerufen. Die Restriktionen für die Bevölkerung waren weniger streng als in den anderen Ländern.

Im Vordergrund der Studie stehen unter anderem die Ängste der Befragten. Wer die Einzelergebnisse zusammenbringt stellt fest, dass die Sorgen besonders nach Einkommen variieren: Während Luxemburger*innen, die 2018 ein medianes Äquivalenzgesamteinkommen von 40.270 Euro hatten, am meisten um Angehörige und Haustiere bangten, zitterten Spanier*innen und Italiener*innen mehr um ihre persönlichen Finanzen und um ihren Job. Zum Vergleich: In Italien belief sich das mediane Äquivalenzsgesamteinkommen 2018 auf 16.844 Euro, in Spanien auf 14.785 Euro. Die Befürchtungen der Italiener*innen und Spanier*innen waren begründet, denn die Studie zeigt, dass neun Prozent der Befragten im Zuge der Krise ihren Job verloren oder keinen Lohn erhielten. Das Einkommen von über der Hälfte der italienischen Teilnehmer*innen sank, genauso wie das von rund 45 Prozent der spanischen Befragten. Die Teilnehmer*innen aus Italien waren zu 46 Prozent im Privatsektor tätig. In Spanien waren es 61. Die Antworten aus Luxemburg kamen zu 52 Prozent von Staatsangestellten.

In der Studie zeichnet sich ein Mal mehr ab, dass die sanitäre Krise bestehende Probleme und Ungleichheiten verstärkt und nicht erst generiert. So führt Luxemburg in puncto Einsamkeit wieder die Spitze in einem Ländervergleich an, zusammen mit Italien. Eine Studie von Eurostat hielt bereits 2015 fest, dass 13 Prozent der Luxemburger*innen und Italiener*innen über 16 keine Bezugsperson haben, an die sie sich in einer Notsituation wenden können. Damals waren besonders Menschen über 60 betroffen. Die Studie der Universität Luxemburg gibt ein ähnliches Bild zur Einsamkeit in Luxemburg ab. Das, obwohl die meisten Luxemburger*innen bestätigten, über öffentliche Hilfsangebote Bescheid zu wissen.

Die Studie verweist zudem auf mentale Gesundheitsstörungen vor und nach Ausbruch der sanitären Krise. Die Befragten aus Italien und Luxemburg litten bereits vor der Krise am häufigsten unter Depressionen und Ängsten. Spanische und deutsche Befragte fühlten sich trotz vereinzelter, mentaler Probleme fähig, ihren Alltag zu meistern. Zwar belegt die Studie, dass die psychischen Probleme generell nicht zugenommen haben, doch betonen die Wissenschaftler*innen im gleichen Atemzug, dass der Zugang zu medizinischem Fachpersonal im Befragungszeitraum stark eingeschränkt war. Was die Wissenschaftler*innen nicht präzisieren, aber naheliegend ist: Es ist davon auszugehen, dass viele Störungen subjektiv nicht als solche wahrgenommen oder noch nicht diagnostiziert wurden. Die woxx führte zum Thema mentale Gesundheit zu Corona-Zeiten ein ausführliches Interview mit dem Verhaltenstherapeuten Sacha Bachim (woxx 1576).

Grundsätzlich vermittelt die Studie der Universität kein eindeutiges Bild darüber, inwiefern sich die Maßnahmen der Regierungen auf das Wohlbefinden und den Alltag der Bürger*innen ausgewirkt haben. Die Unterschiede, die sie aufzeigt, bestanden schon vor der Krise und lassen sich nur bedingt mit den Restriktionen zusammenbringen. Auch wenn es um das Testverhalten der Befragten geht, bleiben die großen Unterschiede aus: In Deutschland ließen sich sechs Prozent der Befragten auf Covid-19 testen, in Italien, Spanien und Frankreich waren es trotz stärkerer Restriktionen lediglich zwischen drei und vier Prozent. Luxemburg hat übrigens die Nase vorn – elf Prozent der befragten Luxemburger*innen ließ sich testen.

Weitere Studienergebnisse gibt es auf der Website der Fakultät. Zur Zeit läuft eine dritte Befragung im Rahmen der Studie.


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