Eine Frage des Respekts?

Der Vorwurf des mangelnden Respekts vorm Lehrberuf hält sich hartnäckig. Wie ist er zu erklären? Und wie lässt sich konstruktiv darauf reagieren?

© Mohamed Hassan / pxhere.com

Die vom SEW-OGBL herausgegebene und ausgewertete Umfrage hat bestätigt, was davor einzelne Anekdoten bereits vermuten ließen: Die meisten Lehrkräfte in der Grundschule würden ihren Beruf nicht wiederwählen oder weiterempfehlen. Offen bleibt die Frage nach der Wurzel des Problems. Ohne diese zu kennen, werden sich die bestehenden Probleme nicht langfristig lösen lassen.

Das Ausfüllen des Fragebogens beruhte auf Freiwilligkeit, was die Repräsentativität ein wenig in Frage stellt. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass vor allem diejenigen teilgenommen haben, die mit der aktuellen Situation besonders unzufrieden sind. Zurzeit bleibt uns jedoch nichts anderes übrig, als mit den vorliegenden Befunden zu arbeiten.

Denen fehlt aber eine größere Kontextualisierung: Sind Lehrkräfte heutzutage im Durchschnitt weniger zufrieden als andere Berufstätige? Sind sie stärker belastet als andere?  Nicht, das dies Missstände rechtfertigen würde, aber die Frage, wie ernst die Lage wirklich ist, stellt sich dennoch. Genossen Lehrkräfte möglicherweise bis vor ein paar Jahren innerhalb der arbeitenden Bevölkerung eine überdurchschnittlich privilegierte Position? Hat sich der Beruf in den letzten Jahren den Anforderungen der allgemeinen Berufswelt – die generell von zunehmendem bürokratischen Aufwand und den Anforderungen des digitalen Wandels geprägt ist – lediglich angeglichen? Lässt sich darauf überhaupt eine pauschale Antwort geben?

Das Gefühl, nicht so recht zu wissen, was aus den Umfrageresultaten abzuleiten ist, ergibt sich auch aus den vielfältig interpretierbaren Antworten. Manche davon sind aussagekräftiger als andere, was wiederum stark mit der jeweiligen Fragestellung zusammenhängt. „Häls du gäre Schoul?“ oder „Wéi belaascht fills du dech aktuell an dengem Beruff?“ sind Fragen, die in Bezug auf eigene Gefühlslage oder persönliches Arbeitspensum präzise beantwortet werden können. Anders verhält es sich bei einer Frage wie „Bass du der Meenung, dass de Beruff vum Enseignant vun der Gesellschaft respektéiert gëtt“. Hier mussten die Befragten einschätzen, wie sie von anderen wahrgenommen werden. Nicht, dass die Frage unbeantwortbar sei, doch spielen hier eine Reihe von Faktoren mit rein: Wie wird Respekt definiert? Welches Gesellschaftsbild liegt bei den befragten Personen vor? Wie steht es um das eigene Selbstbewusstsein?

Eine Frage, die sich in diesem Zusammenhang auch stellt: Wie wirkt sich die wahrgenommene Respektlosigkeit ihrerseits auf den Respekt der Lehrkräfte gegenüber Schüler*innen und Eltern aus? Ist es realistisch, dass jemand, der annimmt sein Beruf werde von der Gesellschaft nicht respektiert, ebenjenen Beruf mit vollem Einsatz ausübt?

Eine Debatte bezüglich Respekt im schulischen Kontext ist sicherlich notwendig. In dem Moment müsste aber auch über Lehrkräfte gesprochen werden, die die Privatsphäre ihrer Schüler*innen nicht respektieren, sie bloßstellen, demütigen, anschreien, Grenzen setzen, ohne zu erklären wieso. Es ist wichtig, sich vor Augen zu halten, dass im Bildungswesen Schüler*innen das schwächste Glied sind. Sie haben am wenigsten die Möglichkeit, sich gegen Missstände und Misshandlung zu wehren. Sogenannte Verhaltensauffälligkeiten könnten eine Konsequenz davon sein. Und mit Blick auf Schüler*innen der Sekundarstufe gefragt: Ist die Emanzipation bezüglich der Autorität der Lehrkraft keine notwendige Voraussetzung, um ein selbstständig und kritisch denkender Erwachsener zu werden? Fragen über Fragen, auf die es sicherlich keine leichten Antworten gibt.

Bezeichnenderweise wird ein Rückgang des Respekts immer nur in solchen Berufsfeldern beklagt, in denen eine gewisse Autorität gegenüber anderen vorausgesetzt wird (etwa auch bei der Polizei). Lehrkräfte figurieren im Leben von Kindern heute als eine von unzähligen Informationsquellen. Mit schwindendem Bildungsmonopol haben Schulen notgedrungen auch etwas an ihrer überlegenen gesellschaftlichen Position verloren.

Das ist eine positive Entwicklung: Bildung ist demokratischer geworden. Lehrkräfte sind keine unhinterfragten Autoritätspersonen mehr wie dies noch bis vor wenigen Jahrzehnten der Fall war. Ihre Aufgabe besteht nicht mehr in der frontalen Wissensvermittlung. Das erfordert nicht nur eine Neudefinierung ihrer Rolle, sondern auch der Aufgabe, die der Schule heutzutage insgesamt zukommt. Lehrer*innengewerkschaften fordern, dass nach zahlreichen Reformen endlich Ruhe ins Bildungswesen einkehrt. Eine fragwürdige Haltung – haben die meisten Klassenzimmer doch immer noch eine viel zu starke Ähnlichkeit mit jenen der 1950er Jahre.


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