Ein Korrosionsproblem verdeutlicht das Dilemma zwischen Sicherheit und Profitabilität der Kernenergie – und betrifft unter anderem Cattenom.
„Super-GAU-Gefahr in Cattenom nach Greenwashing-Beschluss der EU-Kommission“ – der Titel des am 14. Februar veröffentlichten Kommuniqués des Anti-Atom-Netzes Trier (AAN) klingt etwas reißerisch. Anders als man meinen könnte, ist keineswegs die EU-Kommission verantwortlich für die Gefahr eines „größten anzunehmenden Unfalls“ in Cattenom. Die Bedrohung ist dafür aber nicht minder real und die Reaktion der AKW-Betreiberfirma EDF – abwarten statt abschalten – macht die Sache nicht besser. Mitten im Winter wurde der Stromkonzern kalt erwischt – von einem potenziellen „Rohrbruch“.
Nachdem mehrere Reaktoren wegen dieses Sicherheitsrisikos vom Netz genommen wurden, fordert das AAN „die unverzügliche Abschaltung aller Reaktoren des AKW Cattenom, um eine gründliche Sicherheitsüberprüfung durchzuführen“. Ursprünglich waren die Korrosionsprobleme bei der Überprüfung des Reaktors Civaux 1 im Dezember aufgetaucht. Daraufhin hatte EDF alle vier Atommeiler des Typs N4 in Civaux und Chooz abgeschaltet. Wie das AAN schreibt, geht es um das Verbindungsrohr eines Sicherheitssystems mit dem Primärkreislauf: „Wenn dieses Rohrstück platzt, fallen Noteinspeisung und normale Kühlung weg und ein Super-GAU mit Kernschmelze droht.“ Details kann man dem Dokument „Risse in französischen Atomreaktoren gefunden“ entnehmen, der deutschen Übersetzung einer Analyse von „Sortir du nucléaire“.
Mitte Januar wurden dann die gleichen Schwachstellen im Kraftwerk Penly entdeckt – vom betroffenen Reaktortyp gibt es gleich 20 Exemplare in ganz Frankreich, unter anderem die vier in Cattenom. Am 8. Februar ließ EDF wissen, man habe Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Kreisläufe. Aufgrund von Analysen werde man aber binnen drei Monaten sechs Reaktoren verschiedener Typen abschalten und überprüfen, darunter Cattenom 3.
Aus- oder Einstieg?
„Sortir du nucléaire“ weist dagegen darauf hin, dass bei mehreren Reaktoren die große, alle zehn Jahre stattfindende Inspektion schon lange zurückliegt, darunter Cattenom 4 – diese solle man besser präventiv abschalten. Allerdings wurde mittlerweile in Chooz 2 das Rohrproblem nachgewiesen, obwohl kurz zuvor eine große Inspektion nichts gefunden hatte. „Wurde hinreichend überprüft? Wurden die Daten richtig analysiert? Wurden die Kontrollen durch die Pandemie beeinträchtigt?“, fragt „Sortir du nucléaire“. Die Zweifel an der Gewissenhaftigkeit von EDF rühren auch daher, dass sich der Konzern derzeit unter wirtschaftlichem Druck befindet: Gerade jetzt, wo der Verbrauch durch Elektroheizungen hoch ist, bleiben aus Sicherheitsgründen bisher zehn Reaktoren abgeschaltet. Teurer Strom muss aus dem Ausland zugekauft werden, während die Regierung gleichzeitig die französischen Verkaufspreise niedrig hält. Dass EDF mit weiteren Abschaltungen zögert, ist nachvollziehbar – aber auch mordsgefährlich.
Was wie ein Imageschaden für die Atomenergie aussieht, könnte von ihren Befürworter*innen zur Rechtfertigung einer Erneuerung des AKW-Parks benutzt werden. Immerhin hatte Emmanuel Macron vergangene Woche ein Ende des Atomausstiegs und den Bau von mindestens sechs neuen Reaktoren angekündigt. Dieses potenzielle Revival der Kernenergie erklärt, warum das AAN die Kommission so scharf kritisiert: Weil sie „in ihrer Taxonomie-Verordnung Atomkraft und Erdgas gegen jede Vernunft, gegen den Rat ihrer eigenen Expert:innen und gerade angesichts der aktuellen neuen Sicherheitsprobleme als nachhaltig klassifiziert hat und damit die Tür für neue EU-Fördergelder, Steuersubventionen und Investments öffnet“.