Kommunale Mobilitätspolitik: Verkehrswende wählen?

Bei der Verkehrsplanung haben Gemeinden einen großen Gestaltungsspielraum. Zivilgesellschaft und Parteien haben viele, zum Teil gegenläufige Ideen, wie die kommunale Mobilität von Morgen aussehen soll.

Fahrräder oder Autos? Der Platz im Straßenraum ist begrenzt – die Parteien haben sehr unterschiedliche Ideen, wie er genutzt werden soll. (Fotos: CC BY-SA GilPe/Wikimedia)

Ob eine neue Fußgänger*innenzone, ein Rufbus, ein Shared Space, eine Umgehungsstraße oder flächendeckend Tempo 30 im Ortsgebiet – Mobilität ist in fast jeder luxemburgischen Gemeinde ein Wahlkampfthema. Der Leidensdruck ist vielerorts groß: Staus, Verödung der Ortskerne, Lärm, Luftverschmutzung und im Sommer immer häufiger starke Hitze. In der Mobilitätspolitik und durch damit verbundene raumplanerische Entscheidungen können Weichen gestellt werden, um dies zu ändern. Kein Wunder also, dass das Thema oft an erster Stelle in Diskussionsrunden und Streitgesprächen zu den Gemeindewahlen steht.

Gleich drei Organisationen haben in dem Bereich Forderungen aufgestellt: Die Fahrradinitiative ProVelo, der Mouvement écologique (Méco) und das Zentrum fir Urban Gerechtegkeet (ZUG). Obwohl es unterschiedliche Augenmerke gibt und der Umgang mit dem Thema in den Dokumenten von sehr ausführlich (Méco) bis sehr knapp (ZUG) reicht, stimmen viele der Forderungen überein. So wollen alle drei Organisationen mehr oder flächendeckende Tempo 30-Zonen innerorts – der Mouvement regt sogar Tempo 20 an. Das ZUG pocht zusätzlich darauf, dass auch bauliche Maßnahmen wie Hubbel oder Schikanen gesetzt werden, damit sich die Autofahrer*innen auch tatsächlich an das Limit halten. Die Tempodebatte, die im März eher unerwartet von der LSAP ausgelöst wurde, haben wir in der woxx 1727 ausführlich behandelt.

Wenig überraschend sind alle drei Organisationen für die Förderung der aktiven Mobilität, allen voran des Radverkehrs durch das Einrichten von baulich getrennten Radwegen. Méco und ZUG fordern beide mehr Grün auf öffentlichen Flächen, Mouvement und ProVelo sind für dezidierte Planer*innen, die sich nur um aktive Mobilität kümmern. Auch die Einrichtung von sogenannten Shared Spaces, bei denen sich sämtliche Verkehrsteilnehmer*innen, egal ob motorisiert oder nicht, gleichwertig begegnen, fordern beide Initiativen.

Eine Gemeinsamkeit aller drei Organisationen ist der Wunsch nach mehr Bürger*innenbeteiligung in der Mobilitätspolitik. „Die Gemeinde wird alle ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten nutzen, um Bürger*innen aktiv in die allgemeine Mobilitätsplanung einzubinden. Denn sie kennen ihre Ortschaft am besten, wissen häufig, wo der Schuh am meisten drückt und was getan werden müsste“, schreibt der Méco in seinem Forderungskatalog. Das ZUG will „transparente und haftbare Governance“, die gemeinsam mit den Bürger*innen an der Mobilitätspolitik arbeitet. Ein Negativbeispiel ist Luxemburg-Stadt: Der mit Bürger*inneninput konzipierte Mobilitätsplan lässt immer noch auf sich warten, genauso wie die streng geheime Zebrastreifen-Analyse, die die Stadtverwaltung dem ZUG seit über einem Jahr vorenthält.

Nachdem die Beteiligungsmöglichkeiten für den offiziellen Plan ihr nicht genug waren, hat die Initiative „Eis Stad“ die Bürger*innenbeteiligung im Stadtviertel Bonnevoie kurzerhand selbst auf die Beine gestellt: Im Rahmen einer Begehung im vergangenen Oktober wurden stadtplanerische Probleme gesammelt und später Lösungen erarbeitet. Herausgekommen ist – übrigens unter Beteiligung von ProVelo und ZUG – ein über 100-seitiges Dokument namens „Good Way Bonnevoie“, das einen Mobilitätsplan für das bevölkerungsreichste Stadtviertel der Hauptstadt darstellt.

Blättert man die Rahmenwahlprogramme der Parteien zu den Kommunalwahlen durch, fällt schnell auf: Manche sind redseliger als andere. Während die LSAP ein sehr knappes, stichwortartiges Wahlprogramm geschrieben hat, haben DP und ADR sehr viel längere Dokumente veröffentlicht. Auch die Kapitel zu Mobilität sind sehr unterschiedlich lang: Die ADR steht mit 14.000 Zeichen – was einem dreiseitigen Artikel in der woxx entspricht – deutlich an der Spitze und hat damit doppelt so viel geschrieben wie die DP (siehe Kasten). Nicht einmal die Länge einer woxx-Kurzmeldung erreichen Fokus und LSAP.

Freie Fahrt für freie Autos

Die Länge sagt jedoch nichts über Qualität und Kohärenz der Programme aus. So gibt es bei der ADR viele Ideen, mit denen sich wohl auch ZUG, Méco und ProVelo anfreunden könnten: sichere Zebrastreifen, Infrastruktur für Fahrräder, Busspuren, mehr Platz für Fußgänger*innen und grüne Welle für den öffentlichen Verkehr. Auf ProVelo – wenn auch noch unter altem Namen – wird sich sogar explizit bezogen. Allerdings sind diese Ideen eingerahmt von langen Absätzen, in denen der motorisierte Individualverkehr als „frei und flexibel“ gelobt und gepriesen wird. Wie auch bisher sollen sich nach ADR-Sicht sämtliche anderen Verkehrsteilnehmer*innen dem Auto unterordnen, eine staatliche Lenkung des Mobilitätsverhaltens – abgesehen vom Bau von mehr Straßen und Stellplätzen für Autos – lehnt die ADR ab. Außerdem soll der öffentliche Raum weiterhin ungehindert für das Abstellen von privaten PKWs zur Verfügung gestellt werden.

Die konservative CSV verzichtet auf solche Kampfrhetorik: Das Wort „Auto“ kommt in dem Programm überhaupt nicht vor, stattdessen geht es um die Anbindung an den öffentlichen Transport, Rufbusse, Carsharing, Telearbeit und den „konsequenten Ausbau“ von Fahrradwegen. Das passt nicht zu dem, was man von einigen CSV-Politiker*innen gewohnt ist. Auch zum Beispiel die DP-CSV-Koalition in Luxemburg-Stadt hat sich nicht unbedingt damit hervorgetan, aktive Mobilität zu fördern und die Aufteilung des Straßenraums neu zu gestalten.

Déi Lénk stellen in ihrem Rahmenwahlprogramm 15 Punkte für die kommunale Mobilitätspolitik vor, die sich zum Teil aber auch um die Arbeitsbedingungen der Bediensteten im öffentlichen Transport drehen. Die linke Partei will allgemein den Ausbau von Öffis, Fahrradwegen und Car-Sharing-Systemen. Obwohl die Sektion der Hauptstadt bereits vor einigen Jahren für Tempo 30 auf die Straße gegangen ist, spricht das Wahlprogramm nur relativ unkonkret von „Verkehrsberuhigung und Begrenzung der Höchstgeschwindigkeiten“.

Flächendeckendes Tempo 30 wollen Déi Gréng hingegen lediglich „untersuchen“. Ansonsten versucht die ökologische Partei, sich möglichst stark für aktive Mobilität einzusetzen: So wollen Déi Gréng „dem Fuß- und Radverkehr deutlich mehr Raum und Sicherheit“ geben und einen eigenen Budgetposten für die nötigen Infrastrukturmaßnahmen schaffen. Daneben ist die Förderung von Elektromobilität – sowohl was den Fuhrpark der Gemeinde als auch Ladestationen angeht – ein großer Fokus des grünen Wahlprogramms.

Die ziemlich lange Liste der Forderungen der DP zeigt, dass die liberale Partei versucht, es möglichst allen recht zu machen. So soll es zwar Verkehrsberuhigung geben, aber nur in Verbindung mit Umgehungsstraßen. Tempo 30 soll lediglich in Wohngebieten und Schulen eingeführt werden. In den Städten soll die „grüne Welle“ für fließenden Verkehr sorgen. Den öffentlichen Raum will die DP dafür benutzen, „kostenlose Kurzzeit-Parkplätze“ einzuführen, die angeblich den Handel unterstützen. Außerdem sollen in „Industrie- und Aktivitätszonen“ genügend Stellplätze eingerichtet werden, damit die Kund*innen diese Geschäfte auch erreichen können – zwei Maßnahmen, die sich widersprechen. In der Verkehrspolitik führt eine vermeintliche „middle of the road“-Politik leider dazu, dass die bestehenden Probleme sich verstärken. Das Versprechen, man wolle konsequent gegen Zuparken von Fuß- und Fahrradwegen vorgehen, kann wohl niemand aus der hauptstädtischen DP geschrieben haben – immerhin sieht die Realität dort sehr anders aus.

Fokus hat, trotz einigen wenigen Listen auf Gemeindeniveau, kein kommunales Wahlprogramm. Dafür ist jedoch schon das nationale Programm veröffentlicht, in dem zwei Forderungen stehen, die auch kommunalpolitisch relevant sind: Einerseits soll der Verkehr „nicht mehr durch Dorf- oder Stadtzentren“ führen, andererseits ist Fokus gegen ein generelles Tempo 30 innerorts. Eine solche verkehrspolitische Maßnahme wird in der neuen Partei rund um Fränk Engel als Bestrafung angesehen: „Hunderttausende Autofahrer halten sich an die Regeln und fahren jahrzehntelang unfallfrei. Sie dürfen nicht ständig dafür bestraft werden, wenn irgendein anderer im Straßenverkehr schwere Fehler macht.“

Nicht alle stehen zum Wahlprogramm

Zu möglichen Tempolimits macht die Piratepartei in ihrem Programm keine Aussage, macht sich aber für Shared Spaces stark. Neue Viertel sollen nicht etwa autofrei oder autoarm gebaut werden: Stattdessen soll der Zwang von mindestens einem Stellplatz pro Haushalt in den Gebäuden dafür sorgen, dass möglichst alle weiterhin das Auto benutzen. Dennoch will die Piratepartei den öffentlichen Transport ausbauen und Fahrradfahren und Zu-Fuß-Gehen angenehmer gestalten.

Die LSAP hat ein sehr knappes Wahlprogramm geschrieben, das sich im Bereich Mobilität auf einige wenige Kernforderungen reduziert, die allerdings fast schon radikal klingen: So wollen die Sozialdemokrat*innen den motorisierten Individualverkehr im Stadt- oder Dorfkern „auf ein Mindestmaß“ verringern oder komplett verbieten. Kurze Strecken sollen mit Rad oder zu Fuß zurückgelegt werden und PKW-Stellplätze am Straßenrand sollen „schrittweise, aber entschlossen abgebaut werden“. Die Position zu einem allgemeinen Tempolimit auf 30 km/h innerorts wiederholt die Partei auch im Wahlprogramm. Allerdings ist zu bemerken, dass sich diesen Forderungen nicht alle LSAP-Mitglieder anzuschließen scheinen: Jacqueline Breuer, LSAP-Spitzenkandidatin in Sandweiler, sprach sich im Interview mit Radio 100,7 beispielsweise gegen ein generelles Tempo 30 in ihrer Gemeinde aus.

Das zeigt exemplarisch, dass verschiedene Kommunalpolitiker*innen durchaus Ideen haben können, die gegen die Parteilinie laufen. Hinzu kommt, dass die Wahlprogramme an vielen Stellen so schwammig geschrieben sind, dass nachher überhaupt nichts umgesetzt werden muss. Wenn Déi Gréng irgendwo auf kommunaler Ebene mit der CSV eine Koalition eingehen, müssen sie nur „prüfen“, ob Tempo 30 innerorts angemessen wäre – von einer Umsetzung war ja nicht einmal im Wahlprogramm die Rede.

Für die Wähler*innen in Proporzgemeinden heißt das also, dass sie sich nicht unbedingt auf die „nationalen“ Kaderwahlprogramme verlassen können, sondern genau lesen und zuhören müssen, was ihre lokalen Kandidat*innen versprechen und fordern. In Gemeinden, in denen nach dem Majorz-System gewählt wird, kommen die Wähler*innen ohnehin nicht darum herum, sich darüber zu informieren, was ihre künftigen Gemeindevertreter*innen vorhaben.

Kurz und knapp?

Wie viel Zeichen (inklusive Leerzeichen) schreiben die Parteien über Mobilität in ihren Wahlprogrammen für 
die Gemeindewahlen?

ADR: 14.001
DP: 6.998
Déi Gréng: 4.424
Piratepartei: 3.785
Déi Lénk: 2.993
CSV: 1.893
Fokus: 735
LSAP: 611


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