Die Frage nach einer möglichen Menstruationsdispens am Arbeitsplatz berührt viele Themenbereiche. Davon wurden aber nur wenige am Mittwoch in der Chamber angesprochen.
90 Minuten lang wurde am Mittwoch im Chamberplenum über das Thema Menstruation gesprochen. Länger als jemals zuvor. Anlass dazu gab eine Petition, die im Mai die benötigten 4.500 Unterschriften erhalten hatte. Die darin geäußerte Forderung: zwei Tage Dispens im Monat für Menschen, die unter starken Menstruationsbeschwerden leiden.
Kaum war die Petition veröffentlicht, hatte sie in den sozialen Netzwerken für hitzige Debatten gesorgt. Ist eine solche Dispens wirklich nötig? Würde sie nicht Geschlechterungerechtigkeiten verstärken? Auch die woxx hatte damals unterschiedliche Positionen und Lösungsmöglichkeiten unter die Lupe genommen (woxx 1635).
Um das Anliegen genauer zu erklären, wurde am Mittwoch neben der Verfasserin Ornella Romito unter anderem auch die Ärztin Danielle Choucroun in der Chamber vorstellig. Letzterer zufolge seien 75 bis 90 Prozent aller Menstruierenden im Laufe ihres Lebens von starken Regelbeschwerden betroffen. Die Symptome reichten von Kopfschmerzen und Übelkeit bis hin zu Krämpfen und Durchfall.
Dennoch wird nur selten über diese Problematik gesprochen. Genau dies war der Grund, weshalb Romito die Petition verfasste: das Stigma bekämpfen. Sie wünscht sich, das Recht auf eine Dispens oder Homeoffice wegen Regelschmerzen nicht jeden Monat auf ein Neues bei ihrem Arbeitgeber erbetteln zu müssen. Die in ihrer Petition geforderte Dispens sei nur ein Vorschlag, erklärte sie in der Chamber. Sie sei auch offen für andere Lösungen.
Das Tabu brechen
Schon am Montag hatten sich rund 30 Interessierte in der Salariatskammer zusammengefunden, um über das Thema zu diskutieren. „Menstruations & travail, parlons-en!“ war das Motto des vom Aktionsbündnis Journée internationale des femmes (Jif) organisierten Austauschtreffens. Im Zentrum der Diskussion standen Anekdoten aus dem eigenen Arbeitsalltag sowie Lösungsvorschläge. Eine Teilnehmerin berichtete von der unangenehmen Erfahrung, ihre Arbeitskolleginnen um einen Tampon bitten zu müssen. Eine andere erzählte davon, sämtliche ihrer Arbeitskolleg*innen darüber zu informieren, wenn sie menstruiert. „Aus Prinzip“.
Obwohl durchweg respektvoll und unaufgeregt diskutiert wurde, so gingen die Meinungen doch in einigen Punkten auseinander. Das liegt in der Natur der Sache: Je nach Job und Art der Beschwerden unterscheiden sich die Bedürfnisse stark. Manchen würde es schon reichen, bei Unterleibsschmerzen von zuhause aus arbeiten zu können, andere dagegen werden durch die Schmerzen geradezu arbeitsunfähig. Für noch andere wie Verkäufer*innen und Putzkräfte ist Homeoffice keine Option.
In zwei Dingen schienen sich jedoch alle einig zu sein: Es braucht verstärkte Flexibilisierung in der Arbeitswelt und mehr Sensibilisierung und Bildung rund um die Themen Sexualität und Körper. Sowohl in der Schule als auch am Arbeitsplatz sei es wichtig, Grundkenntnisse über die Menstruation zu vermitteln. Den Diskutierenden ging es dabei aber nicht nur um biologische Aspekte. „Es gibt viele Strategien, um Regelschmerzen zu mildern, viele kennen diese jedoch nicht“, bedauerte eine der Teilnehmerinnen. Es sei wichtig, ergänzte die beim Jif-Austausch ebenfalls anwesende Choucroun, von klein auf zu lernen, Emotionen und Körperteile zu benennen. Auch so ließe sich das Schweigen brechen. Weitere angesprochene Maßnahmen waren Tamponspender in öffentlichen Institutionen und Werbungen, in denen Blut nicht durch eine blaue Flüssigkeit symbolisiert wird.
Auch wenn Menstruation im Zentrum des Austausch-Abends stand, so war der Zusammenhang mit anderen Problematiken schnell hergestellt. Negative Erfahrungen in der Gynäkologiepraxis, unflexible Arbeitsmodelle kamen ebenso zur Sprache wie die unzumutbaren Höchstleistungen, die das neoliberale System unerlässlich erfordert.
Doppelstandards?
In der Chamber lief die Diskussion auf einem gänzlich anderen Niveau ab. Das lag vor allem daran, dass viele der Abgeordneten Fragen stellten, die sie auch durch eine Internetrecherche und Gespräche mit ihren menstruierenden Mitmenschen hätten in Erfahrung bringen können. So etwa die, wie verbreitet Menstruationsbeschwerden seien, ob Endometriose in Luxemburg als Krankheit anerkannt sei (ist sie nicht), ob nur diejenigen Schmerzen hätten, die an Endometriose litten, oder die, welche Behandlungsmethoden von der Krankenkasse rückerstattet würden. Auch technische Aspekte wurden angesprochen: Wieso ist in der Petition von nur zwei Tagen die Rede? Müssten die Menstruationsbeschwerden von einem*einer Ärzt*in bescheinigt werden? Als sie ihre Petition verfasste, orientierte sich Romito vor allem an ihrer eigenen Lage. Die praktischen Details müssten unter anderem nach Absprache mit medizinischem Personal bestimmt werden, erklärte sie.
Die Fragen von Carole Hartmann (DP) und Simone Asselborn-Bintz (LSAP), ob die Dispens nicht die Diskriminierung Nicht-Menstruierender bedeute und wie sich Missbrauchsfälle vermeiden ließen, schmetterte die Petentin ab. Bei Beurlaubungsmöglichkeiten wie dem „congé sportif“ oder dem „congé politique“ stelle niemand die Frage nach einer potenziellen Diskriminierung. Zudem seien eventuelle Missbrauchsfälle kein Grund von bestimmten Regelungen abzusehen. „Wieso soll die Mehrheit bestraft werden, wegen ein paar schwarzer Schafe?“, so Romitos rhetorische Gegenfrage.
Den Vorwurf des Doppelstandards wollte Arbeitsminister Dan Kersch (LSAP) indes nicht gelten lassen. Auch auf den „congé politique“ würden manche aus Angst vor negativen Auswirkungen auf die eigene Karriere verzichten. Den Eindruck eines Doppelstandards konnte er damit dennoch nicht abwehren. Wegen eines potenziellen „congé politique“ wird wohl nur den wenigsten eine Anstellung von vorne herein verwehrt.
Status quo gerettet
Fragen, die sowohl in der Abgeordneten- als auch in der Salariatskammer immer wieder aufkamen: Würde ein zusätzlicher biologiebedingter Urlaub die Vorstellung von Frauen als dem schwächeren Geschlecht nicht unnötig verstärken? Und könnte dies wiederum ihre Einstellungschancen verschlechtern? Dass diese Fragen auch im 21. Jahrhundert noch gestellt werden müssen, verdeutlicht den Handlungsbedarf. Dass Menstruierende sich ihre Schmerzen nicht anmerken lassen, löst das Problem jedenfalls nicht.
Gegen Ende der Anhörung meinte Kersch, dass nicht nur sein, sondern auch andere Ministerien mit der Lösungssuche betraut werden müssten: Sozialversicherung, Gesundheit, Gleichstellung zwischen Frauen und Männern. Noch einen Schritt weiter gingen die Teilnehmer*innen des Jif-Treffens: Für einige von ihnen berührt das Thema Menstruation Fragen von Kapitalismus und Patriarchat – und wird damit zu einer Problematik, die alle Lebensbereiche berührt.
Durch die Debatte in der Chamber wurde abermals deutlich, welcher Lernprozess noch innerhalb der Gesellschaft nötig ist. Das nicht nur, weil sich viele der Abgeordneten offensichtlich nicht die Mühe gemacht hatten, das Thema vor der Sitzung richtig zu recherchieren: Trotz diesbezüglicher Erklärungen von Danielle Choucroun weigerten sich fast alle Abgeordneten bis zum Schluss, von „menstruierenden Personen“ statt „menstruierenden Frauen“ zu sprechen. Auch nachdem Romito auf Nachfrage von Marc Goergen (Piratepartei) unterstrichen hatte, dass es ihr auch um trans Männer und nicht-binäre Menschen gehe, dominierte bei den Fragenden der diskriminierende Sprachgebrauch.
Am Ende war es die Schlussfolgerung, dass die Regierung nicht auf den Weg einer Dispens gehen werde. Dennoch, so Kersch, sei es wichtig, die Diskussionen weiterzuführen und für spezifische Fälle nach Lösungen zu suchen. Dank kapitalistischer und patriarchaler Logik konnte der Status quo also bewahrt werden.