Mouvement écologique und Wahlen: Rettet Luxemburg!

Die politischen Entscheidungen seien vom Wachstumszwang geprägt, kritisiert der Mouvement. Und sieht in den kommenden Wahlen die Gelegenheit, über alternative Modelle zu diskutieren.

„Unsere Lebensräume“ schützen, dafür müssten sich doch Koalitionspartnerinnen finden lassen – vielleicht sogar zu viele … (Wikipedia; Johnny Chicago; CC BY-SA 3.0)

„Den Mut haben, heute die richtigen Fragen zu stellen und Entscheidungen zu treffen“, das war der Anspruch, mit dem der Mouvement écologique am 1. Juli ein Positionspapier für das Superwahljahr 2023 vorlegte. Im 14-seitigen Dokument geht es vor allem um die Wachstumsproblematik – damit greift die NGO eine Thematik auf, die in der politischen Debatte kaum mit dieser Radikalität angegangen wird. „Déi Gréng“, lange Zeit systemkritisch, setzen mittlerweile auf einen grünen Kapitalismus, der mittels technischer Lösungen in ein Win-win-win für Wirtschaft, Soziales und Umwelt münden soll. „Déi Lénk“ geben sich zwar radikaler, relativieren aber ihre ökologischen Forderungen unter Hinweis auf die Nöte der sozial Schwachen und die Kaufkraftverluste im Allgemeinen. Gemessen an dem, was notwendig wäre, sind die Bekenntnisse zum Erhalt der Biosphäre bei den übrigen Parteien zwar wohl-, aber nicht ernstgemeint.

Grenzen des Wachstums

Beim Mouvement dagegen redet man Klartext. „Ein weiter wie bisher wäre verantwortungslos!“, heißt es gleich auf der ersten Seite. Der Ukrainekrieg zeige die Abhängigkeit bei der Energieversorgung, eine Folge des verschleppten Ausbaus der erneuerbaren Energien. Beim Artensterben sei Luxemburg „Spitzenreiter“ und das hohe Wirtschaftswachstum führe nachweislich nicht zu einem Mehr an Wohlbefinden. Das Wachstumsziel habe sich verselbstständigt: „Nicht mehr die Gesellschaft, das Gemeinwohl bzw. finanzschwache Haushalte sind die vorrangigen Nutznießer des steten ökonomischen Wachstums“, hält die NGO fest. Im Gegenteil, Wachstum führe hierzulande zu einem „dramatischen Verlust an Lebensqualität“. Unter einem Foto mit Autokolonnen wird aufgezählt: „Die alltäglichen Staus sind nur eine Konsequenz der Wachstumslogik… Biodiversitätsverlust, Wohnungsnot, zu erwartende Probleme mit der Wasserversorgung sind andere Stichwörter.“

Die Umwelt-NGO kritisiert, die „Systemfrage“ werde nicht gestellt. Dabei geht es nicht etwa um den Kapitalismus an sich mit seinen ökologischen, sozialen und demokratischen Defekten, sondern um die Ausrichtung auf Wachstum, die in Luxemburg an ihre Grenzen stoße. Das Beispiel des Pensionssystems soll illustrieren, wie abhängig Luxemburg von einem stetigen Anstieg des Bruttosozialprodukts und der aktiven Bevölkerung ist. Auf drei Seiten werden die Folgen dieses „nicht tragfähigen“ Systems dargelegt: Wirtschaftswachstum bis 2070 und eine Bevölkerungszahl, die eine Million überschreitet. Deshalb solle „die Finanzierung des Sozialsystems unabhängiger vom Wachstum gestaltet werden“.

Quelle: meco.lu

Auch die Ziele des Nationalen Mobilitätsplans (PNM), wie die Reduzierung des Autoverkehrs im Modal Split von 66 auf 48 Prozent, würden durch das Wachstum ausgehebelt. „Sogar wenn der PNM 2035 – bei allen (politischen) Unwägbarkeiten – umgesetzt werden würde, würde der Autoverkehr auf unseren Straßen noch weiter anwachsen!“ – von 2,40 auf 2,67 Millionen Bewegungen im Jahr 2035. Der Mouvement bezweifelt, dass dies mit dem CO2-Reduktionsziel (um etwa zwei Drittel) im Bereich Mobilität vereinbar ist.

Laut der NGO darf es nicht sein, dass „an einem Modell ‚Wachstum auf Teufel komm raus‘ festgehalten und den kommenden Generationen die Bürde auferlegt wird, neue Modelle zu definieren“. Die Idee einer gänzlichen Entkopplung von Wachstum und Ressourcenverbrauch sei eine Schimäre und reiche, angesichts der gebotenen Reduktionen, sowieso nicht aus. Das lässt unweigerlich an das „qualitative“ Wachstum denken, bei dem möglichst hohe Gewinne und Steuereinnahmen mit möglichst geringen Beschäftigtenzahlen einhergehen. Mit anderen Worten: Luxemburg könnte sich vielleicht doch noch mit Joghurtfabriken anfreunden, sofern sie in einen Briefkasten passen.

Doch die Beispiele Pensionssystem und Mobilität suggerieren, dass das vom Mouvement favorisierte „neue Modell“ eher auf ein kurzfristiges „Maschinen stopp“-Kommando hinausläuft. Dabei sollte man die Panikkäufe der letzten Jahre nicht falsch interpretieren: Eine Spezialisierung auf Mehl und Klopapier aus großherzoglichen Feldern und Wäldern wird nicht reichen, auch nur einen Anschein von Wohlstand zu erhalten. Ob das der Umwelt-NGO bewusst ist? Jedenfalls möchte sie, statt des materiellen Wachstums, „das Wohlbefinden, die Lebensqualität der Menschen und die soziale Gerechtigkeit“ in den Fokus rücken. „Die Frage des ‚wéi wëlle mäer muar liewen‘ – ‚wéi definéiere mir gutt Liewen zu Lëtzebuerg‘ muss endlich oberste Priorität in der politischen Debatte und bei den anstehenden Wahlen werden“, so der Mouvement.

Lokal denken?

(lm) – Die Wortmeldung des Mouvement écologique vor den zur „Richtungsentscheidung“ stilisierten Wahlen 2023 hinterlässt gemischte Gefühle. Einerseits liefern die radikale Hinterfragung der Wachstumslogik und die Befürwortung einer auf ein „gutes Leben“ ausgerichteten Politik Impulse für den Wahlkampf. Andererseits bleibt die Umwelt-NGO in lokalem Denken gefangen und schwächelt bei den sozioökonomischen Aspekten. Wendungen wie „unsere Lebensräume und unser Klima“ zeigen, wie luxemburgische und globale Probleme vermischt werden. Dabei geht es aber vor allem um den Erhalt der lokalen Umwelt und Lebensqualität, Fehlentwicklungen bei Energie- und Ernährungspolitik werden diagnostiziert, nicht aber die strukturellen Schieflagen bei sozialer und Nord-Süd-Gerechtigkeit. Die sieben Fragen, die der Mouvement „in den Fokus rücken“ will, beziehen sich fast ausschließlich auf Luxemburg oder die Industrieländer. Auch der Hinweis auf die „Abhängigkeit in der Energieversorgung von autoritären Regimen“, auf den keine Warnung vor neuen Abhängigkeiten und Ausbeutungsmechanismen folgt, zeugt von einem Mangel an Weitsicht (Für die Folgen der „Nutzung“ von Ressourcen und Solarenergie im globalen Süden, siehe die jüngste Ausgabe des Magazins Brennpunkt).

Die Idee des „guten Lebens“ wird nicht wirklich zu Ende gedacht: Eine mit globaler Nachhaltigkeit kompatible Energiewende bedeutet einen massiven Rückgang des durchschnittlichen Ressourcenverbrauchs der luxemburgischen Bevölkerung, was wiederum nicht ohne massive Umverteilung geht. Derweil kritisiert der Mouvement das Pensionssystem mit Argumenten, die auch von Verkäufer*innen von Zusatzversicherungen benutzt werden. Der Vorwurf, die Finanzierung des Systems beruhe auf ständigem Wachstum, ist weit verbreitet, aber absurd. Die Renten hängen in Wirklichkeit weitgehend von der Wirtschaftsleistung zum Zeitpunkt der Auszahlung ab – und das unabhängig vom System. Auch hier führt die Suche nach Anpassungen in Richtung Umverteilung – eine unangenehme Wahrheit für das Mittelschicht-Publikum der Umwelt-NGO. Eine andere unangenehme Wahrheit ist, dass – im Sinne der nachhaltigen Mobilität – möglichst viele Grenzgänger*innen zu Einwohner*innen werden sollten, was aber das als Bedrohung dargestellte Bevölkerungswachstum noch weiter beschleunigen würde.

Dass die Pläne zur Bewältigung der Umweltprobleme angesichts des zu erwartenden Wachstums nicht aufgehen, ist eine berechtigte Kritik des Mouvement an der Regierungspolitik. Was Alternativen angeht, hält sich die NGO allerdings bedeckt. Dabei haben Covid- und Ukrainekrise gezeigt, dass die vom Mouvement angeführten Hürden für die Umsetzung einer visionären Transition durchaus überbrückbar sind. Was auch immer man von dem Ergebnis hält, ein nicht für möglich gehaltener gesellschaftlicher Konsens hat das Sprengen von technischen und rechtlichen Hürden ermöglicht. Um nur zwei Beispiele zu nennen: Lockdown für Autos und Vergemeinschaftung von Land im Namen der Verkehrs- und Wohnungspolitik sind denkbar. Solche Forderungen heute zu stellen, damit sie in ein paar Jahren umgesetzt werden, wäre die Rolle der Zivilgesellschaft.


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