Rassismus ist nicht austauschbar

Safe Spaces“ für diskriminierte Personengruppen geraten immer wieder ins Fadenkreuz privilegierter Menschen. In Luxemburg sorgte eine Veranstaltung ausschließlich für Schwarze für Diskussionen, unter anderem bei der ADR. Steckt hinter den Reaktionen mehr Selbstanalyse als Fremdenhass?

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Es gibt keine dummen Fragen, nur dumme Antworten – soweit die Redewendung. Dumm sind weder die parlamentarische Anfrage, die Fred Keup (ADR) der Integrationsministerin Corinne Cahen schickte noch ihre Antworten darauf. Dumm oder ungünstig ist aber, dass das Unverständnis für die strukturelle Diskriminierung von Black, Indigenous and People of Color (BIPOC) so tief sitzt, dass es die kritische Analyse der eigenen Privilegien behindert.

Der Anlass für Fred Keups Schreiben ist eine Online-Konferenz der antirassistischen Organisation Lëtz Rise Up: Mit dem Webinar „Racisme structurel au Luxembourg: de quoi parle-t-on?“ richtete die sich ausschließlich an ein Publikum, das Rassismus erfährt. Die Präsidentin von Lëtz Rise Up, Sandrine Gashonga, erklärte in einem Gespräch mit der Tageszeitung l’essentiel, dass man einen sichereren und freien Ort des Austauschs für die Betroffenen schaffen wollte. Diese Praxis nennt man gemeinhin „Safe Space“. Bei Fred Keup stieß das auf Unverständnis.

Ass d’Madamm Minister der Meenung, datt dësen Akt, bei deem Leit mat wäisser Hautfaarf konkret an onmëssverständlech vun engem Evenement ausgeschloss ginn, rassistesch ass? (…) Wéi d’Madamm Minister dem l’essentiel sot, duerfen Associatiounen ‚hir eege Krittären definéieren‘. Duerfen Associatiounen an dëser Logik dann och Leit mat schwaarzer oder anerer Hautfaarf ausschléissen?“, hinterfragt er. Doch in Sachen Rassismus lässt sich der Spieß nicht einfach umdrehen. Das würde nur in einer Welt funktionieren, in der kein struktureller Rassismus besteht. Eine Welt, in der Menschen jeder Herkunft, sexuellen Orientierung und jeden Geschlechts identische Lebensrealitäten hätten. Eine solche Welt existiert aber nicht. Neben Erfahrungsberichten von Menschen afrikanischer Abstammung, offenbart auch die Studie „Being Black in the EU“ (2020) von der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA), dass BIPOC in Luxemburg diskriminiert werden. Über die allgemeine Diskriminierung weißer Menschen in Luxemburg ist bisher nichts bekannt.

Dieses Ungleichgewicht muss in jeder Debatte über Rassismus mitbedacht werden. Die Umkehrung der Verhältnisse, wie sie Keup mit seinem Schreiben andeutet, negiert die systematische Unterdrückung und Diskriminierung von BIPOC. Sie entlarvt, dass kein Verständnis für die Reichweite der bestehenden Ungleichheiten besteht. „Wer der Norm entspricht, kann sich oft [die] Wirkung [der Ungerechtigkeit] nicht vorstellen, weil die eigene Akzeptanz als selbstverständlich angenommen wird“, schreibt die Philosophin und Publizistin Carolin Emcke in ihrem Buch „Gegen den Hass“ (2018) treffend zum Thema. Und es ist genau das, was immer wieder in Debatten über „Safe Spaces“ für marginalisierte Menschengruppen aufkommt: das Unverständnis der Privilegierten.

Werden sie von einer Konferenz ausgeschlossen, treten sie eine Grundsatzdiskussion über Rassismus los. Sind sie in einer Schreibweise mitgemeint, identifizieren sie diese als umständlich und unnötig. Schnell schreien sie „Einschränkung der Meinungsfreiheit!“ oder trauern um eine Diskussionskultur, die nur aus ihrer Perspektive offen war. Die eigentlichen Leidtragenden werden zu den Engstirnigen, zu den Verursacher*innen sozialer Ungleichheiten stilisiert. Dabei gerät in Vergessenheit, was auch Emcke erwähnt: „Dem Hass ausgesetzt zu sein, wieder und wieder, lässt Betroffene oft verstummen. Wer […] sich rechtfertigen soll für die eigene Hautfarbe […], dem oder der geht oft auch die Position verloren, von der aus sich frei und unbeschwert sprechen lässt.“ Genau diese Position dürfen die Betroffenen in einem „Safe Space“ ungestört zurückgewinnen, um sich gegebenenfalls gestärkt in öffentliche Debatten einzubringen. Die Idee hinter geschützten Diskussionsräumen für strukturell diskriminierte Menschen ist es nicht, Hass zu schüren.

In „Die Macht der Gewaltlosigkeit“ (2020) schreibt Judith Butler im Kontext von Gewaltakten über Verfolgungsphantasien: „Komme ich zu der Überzeugung, dass ich für ein Tun verfolgt werde, ohne zu bemerken, dass die vorgestellte Handlungsweise nach meinem eigenen Wunsch ist, konstruiere ich […] eine Begründung für aggressives Handeln gegen eine Aggression, die mir von außen begegnet.“ Umso tragischer sei es „[w]enn mir klar wird, dass es meine eigene Aggression ist, die mir in Form der Handlung des anderen entgegenkommt und derer ich mich nun wiederum mit Aggression zu erwehren suche. Es ist mein Tun, aber ich schreibe es dem anderen zu, und so fehlgeleitet diese Substitution auch sein mag, zumindest zwingt sie mich doch zur Überlegung, dass das, was ich unternehme, auch gegen mich unternommen werden kann.“ Dieser Gedanke lässt sich auf die Debatte über die Veranstaltung von Lëtz Rise Up übertragen. Die Sichtbarkeit diskriminierter Bevölkerungsgruppen führt bei manchen Menschen zur Gewissheit ihrer eigenen Privilegien und folglich zur Angst, diese abgeben zu müssen. Corinne Cahen schreibt in ihrer Antwort auf Keups Anfrage darüber hinaus zurecht, dass exklusive Debatten zur Sozialarbeit gehören, genauso wie Diskussionsrunden für Alle – das eine schließe das andere nicht aus. Für den Mehrwert unterschiedlicher Austauschformen blind zu sein, sagt jedenfalls viel über eigene Denkmuster und soziale Kompetenzen aus. Ihre Farbe? Schwarzweiß.


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