Smartwielen: Informiert Entscheiden

Auch zu den Europawahlen gibt es wieder eine Entscheidungshilfe von Smartwielen. Diesmal sogar mit europäischer Dimension.

Ob am Smartphone, Tablet oder Computer: Smartwielen.lu bietet einen niederschwelligen Zugang zur Politik. Daraus können sich komplexe Diskussionen entwickeln. (Foto: ZpB)

Zehn Parteien treten in Luxemburg zur EU-Wahl an, insgesamt stehen 60 Kandidat*innen auf dem Wahlzettel. Wer eine gut informierte Wahlentscheidung treffen will, kann neben der Lektüre der Wahlprogramme und der Werbematerialien der Parteien auch auf die Medienberichterstattung zurückgreifen. Sich in der Informationsflut zurechtzufinden, ist jedoch nicht immer so einfach. Welche Themen ausführlich besprochen werden, ist oft den zufälligen Launen der Tagespolitik und der medialen Konjunktur unterworfen. Kein Wunder also, dass sich schon bei den letzten Wahlen viele Wähler*innen an das Angebot von Smartwielen.lu gewandt hatten, um herauszufinden, wie viel Übereinstimmung sie mit Politiker*innen und Parteien denn wirklich haben.

„Bei den Chamberwahlen 2018 war Smartwielen überraschend erfolgreich. Wir zählten rund 50.000 Nutzer“, erklärte Marc Schoentgen vom Zentrum fir politesch Bildung (ZpB) am vergangenen Dienstag bei der Vorstellung der diesjährigen Ausgabe. „Smartwielen ist ein Tool, das man zu Hause auf der Couch oder im Bus am Smartphone benutzen kann, daher ist es praktisch für viele Menschen. Oft werden die Fragebögen gemeinsam in der Familie beim Abendessen oder von Schüler*innen in ihrer Klasse ausgefüllt. Dabei entsteht sofort eine Diskussion – und das ist genau das, was wir wollen“, so Schoentgen weiter.

Das Werkzeug wirkt recht einfach, die Details sind jedoch komplex und nicht sehr überschaubar. Die Nutzer*innen füllen auf Smartwielen.lu einen Fragebogen mit 33 Fragen aus den Bereichen Finanzen und Steuern, Umwelt und Verkehr, Sozialstaat und Familie, institutionelle Reformen, Medien und Gesellschaft, Außenpolitik sowie Einwanderung und Integration aus. Einzelne Fragen können sie gewichten, je nachdem wie prioritär sie ihnen scheint. Danach bekommen sie angezeigt, mit welchen Kandidat*innen und Parteien sie am meisten übereinstimmen.

Zusätzlich können zwei Grafiken angezeigt werden: Einerseits die Verortung in einer zweidimensionalen Matrix namens „Smartmap“, die das traditionelle ökonomische Links-Rechts-Schema (mehr oder weniger Staat) und die europäische Integration (mehr oder weniger Europa) anzeigt. Und andererseits die „Smartspider“, die die Wichtigkeit sechs unterschiedlicher Dimensionen wie „Liberale Gesellschaft“, „Demokratische Partizipation in der EU“ oder „Umweltschutz“ visualisiert.

Wen würde ich in 
Ungarn wählen?

Die Fragen wurden in einem langwierigen Prozess ausgewählt, bei dem Grundsatzprogramme, Äußerungen von Politiker*innen, Debatten in Medien und Vorschläge der Zivilgesellschaft analysiert wurden. Außerdem konnten im Vorfeld über ein anonymes Formular Fragen eingereicht werden, zusätzlich wurden in Workshops mit Schüler*innen Fragen formuliert. Aus 300 Fragen wurden deren schließlich 33 ausgewählt. „Nicht alle Fragen passen zu der Kategorisierung in der ‚Smartmap‘ oder in der ‚Smartspider‘. Diese fließen lediglich in das Matching und nicht in die Grafiken ein. Das sollte den Nutzern bewusst sein“, erklärte Dan Schmit, der an der Uni Luxemburg im Rahmen seiner Doktorarbeit zu Smartwielen forscht.

2019 gibt es einige Neuerungen gegenüber den vorherigen Ausgaben von Smartwielen. Die Website wurde diesmal auch auf Portugiesisch übersetzt, somit ist das Tool nun in fünf verschiedenen Sprachen verfügbar. Für Lehrer*innen, die Smartwielen im Unterricht behandeln wollen, wurden vom ZpB pädagogische Materialien ausgearbeitet. Die größte Neuerung betrifft die europäische Dimension: 16 Fragen sind bei ähnlichen Diensten in 18 anderen europäischen Ländern gleich. Nach der nationalen Auswertung ist es möglich, die eigenen Antworten an den Dienst „VoteMatch Europe“ zu schicken. Dort werden dann die passenden Parteien in anderen Ländern angezeigt.

Dadurch, dass es bisher keine transnationalen Listen gibt und es kein Matching mit den europäischen Parteienfamilien oder gar deren Spitzenkandidat*innen gibt, bleibt dieser Aspekt wenig mehr als eine Spielerei. Wer in Luxemburg beispielsweise eine 77-prozentige Übereinstimmung mit Déi Konservativ hat, könnte in Ungarn die Fidesz oder Jobbik wählen – allerdings auch beide nur mit 56 Prozent Übereinstimmung. Was Wähler*innen genau mit dieser Information anfangen sollen, bleibt unklar.

Sowohl Liser (Luxembourg Institute of Socio-Economic Research) als auch Uni.lu nutzen die Daten, die mit Smartwielen erzeugt werden, für ihre Forschung. Dabei wollen sie nicht nur Parteien und Kandidat*innen vergleichen und analysieren, inwiefern die Positionen bei Smartwielen mit Wahlprogrammen und politischen Entscheidungen übereinstimmen. Auch die Nutzer*innen und ihre politischen Präferenzen interessieren die Forscher*innen. Am Ende des Fragebogens werden zu diesem Zweck demografische Daten erhoben, deren Angabe freiwillig ist. Theoretisch könnte Smartwielen auch als alternative Möglichkeit genutzt werden, um Wahlprognosen zu erstellen. Bisher gibt es jedoch noch keine konkreten Pläne in diese Richtung.

Rinks oder lechts?

Beim Start hatten rund drei Viertel der Kandidat*innen ein Profil auf Smartwielen ausgefüllt und bis auf die ADR haben alle Parteien teilgenommen. Die rechtspopulistische Partei war dem Vernehmen nach nicht damit zufrieden gewesen, wie die Resultate 2018 präsentiert worden waren. So war es zumindest auf der Pressekonferenz zwischen den Zeilen herauszuhören – eine offizielle Stellungnahme gab es nicht. „Es gibt zwei Gründe, warum einzelne Kandidaten nicht mitmachen“, erklärte Raphaël Kies von der Uni Luxemburg, „entweder sie haben Probleme mit digitalen Medien oder sind dagegen, die Fragen mit Ja/Nein zu beantworten.“

In der Tat verschwinden bei Smartwielen die feineren Nuancen. Wer sich die „Smartmap“ anschaut, wird schnell feststellen, dass Déi Gréng dieses Mal weiter links steht als „Déi Lénk“. Ein Punkt, der dies beeinflusst, ist die Frage nach der Abschaffung der Russland-Sanktionen, die nach der Besetzung der Halbinsel Krim eingeführt wurden. Wer dies befürwortet, wird weiter nach rechts gerückt – die durchaus differenzierte Antwort der Linken hilft neugierigen Wähler*innen zwar, ändert jedoch nichts an der Grafik. Die zeigt übrigens auch, dass CSV und LSAP gleich links sind und sowohl KPL, Piratepartei als auch DP ökonomisch weiter rechts stehen. Das mag vielleicht paradox klingen, könnte aber dazu anregen, über das Rechts-Links-Schema nachzudenken und sich genauer über die Positionen zu einzelnen Fragen zu informieren.

Lobenswert ist, dass bei Smartwielen sämtliche Algorithmen und Gewichtungen dokumentiert und öffentlich einsehbar sind. Für eine Wahlentscheidung sind die Fragen vielleicht zu oberflächlich, obwohl sie in Einzelfällen durchaus komplizierter gestellt sind, als es nötig wäre. Die Grundlage für eine weitergehende Recherche kann das Tool jedoch durchaus sein. Und das scheint sich auch zu bestätigen: Laut Kies haben 15 Prozent der Smartwielen-Nutzer*innen 2018 durch das Werkzeug eine Partei gewählt, an die sie davor nicht gedacht hatten. Über die Hälfte hat sich in ihrer Wahl bestätigt gefühlt. Gerade in einem Wahlkampf mit vielen relativ unbekannten Kandidat*innen und einer neuen Partei kann Smartwielen also ein spannender Ausgangspunkt für den politischen Diskurs sein.


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