Ein Archiv europäischer Stimmen

Was ist aus Europa geworden? Bekannte Europäer*innen über 75 sprechen im „Europäischen Archiv der Stimmen“ über Krieg, Wiederaufbau und Privates. Eine der Stimmen ist bald auch im Institut Pierre Werner zu hören.

Die Projekt-Mitglieder und die Interviewer*innen trafen sich letztes Jahr, um einen Fragekatalog für das „Europäische Archiv der Stimmen“ zu erarbeiten. Bildquelle: Arbeit an Europa e.V.

Der ehrenamtliche Verein Arbeit an Europa lädt mit dem Audio-Projekt „Europäisches Archiv der Stimmen“ zum intergenerationellen Austausch über Europa ein. Eine Gemeinschaft, die spätestens seit ihrem Umgang mit Asylpolitik oder dem Brexit auseinanderzubrechen droht. Wenn der Verein von Europa spricht, so meint er die EU-Mitgliedsstaaten sowie Länder, die geographisch oder historisch zu Europa gehören. Daraus ergibt sich ein mehrsprachiges Bild Europas, eine Zeitreise durch kollektive Geschichte und Lebenserfahrungen.

Der Verein lässt Menschen aus dem öffentlichen Leben zu Wort kommen, die im Wandel des europäischen Gedankens groß geworden sind – sie alle kamen vor 1945 zur Welt. Das Projekt besteht aus Interviews. Die Fragen wurden 2019 anlässlich eines Workshops in Zusammenarbeit mit dem Soziologen Heinz Bude erarbeitet. Es sind jüngere europäische Intellektuelle, die in der Muttersprache der bekannten Senior*innen mit ihnen in den Dialog über Krieg, Wiederaufbau, Hoffnungen und Ängste treten. Die Audio-Interviews sind lange – sie dauern im Schnitt über eine Stunde – und nicht übersetzt. Umso schöner ist es, dass die Gespräche unter dem Button „Read Interview“, gleich unter der Aufnahme, auf Englisch nachzulesen sind. So auch das mit Erna Hennicot-Schoepges, Luxemburgs Stimme im Archiv.

Die CSV-Politikerin, ehemalige Kulturministerin (1995 – 2004) und Europaabgeordnete (2004 – 2009) , kam mit dem Literaturkritiker und Journalisten Samuel Hamen ins Gespräch. Die Aufnahme wirkt ungeschnitten, authentisch. Die Vorgespräche, in denen Hamen den Verlauf des Interviews erklärt, sind mit drauf. Hennicot-Schoepges berichtet von ihrer Kindheit in Düdelingen, von ihrem in Deutschland geborenen Vater und der Familie in der Eifel. Sie erzählt aber auch von der Vereinbarkeit von Karriere, Familie und Kinderbetreuung vor der Einführung von Betreuungsstukturen sowie von der für sie tragischen Entwicklung einer Politik der Überzeugung hin zu einer erfolgsorientierten Karriere-Politik.

Noch ist das Audio-Archiv übersichtlich. Verfügbar sind bisher Aufnahmen und Interviews aus Portugal, Frankreich, Polen, Kroatien, Italien, Island, Luxemburg und aus der Slowakei (Stand: 1. Oktober 2020). Das Archiv soll bis zum Jahresende komplett sein. Unter den Befragten befinden sich zum Beispiel Künstler*innen, wie die kroatische Filmemacherin und Autorin Irena Vrkljan oder der französische Drehbuchautor Jean Claude Carrière, sowie Politiker*innen, ein Pfarrer und ein Philosoph. Die Gespräche richten sich demnach eher an ein intellektuelles Publikum als an die breite Masse.

Inwiefern sich die jüngeren Generationen zu ihren Gefühlen gegenüber Europa äußern, kann an dieser Stelle schwer beantwortet werden. Das Archiv ist immerhin noch unvollständig. Ein erster Eindruck ist allerdings der, dass es auf ihrer Seite beim Fragen stellen und aufmerksamen Zuhören bleibt. Auch das ist wichtig, um die Gegenwart zu verstehen und die europäische Zukunft zu denken. Von einem Austausch im Sinne von Dialog kann in dem Fall aber nur bedingt die Rede sein.

Vielleicht kommt der bei der Veranstaltungsreihe „Erzähle mir von Europa“ zustande, die aus dem Projekt hervorgegangen ist: Das Goethe-Institut organisiert unter dem Titel in dreizehn Ländern einen Austausch vor Ort. Erna Hennicot-Schoepges trifft in dem Kontext am 19. Oktober, um 19 Uhr, auf Einladung des Instituts Pierre Werner (IPW) auf Sandra Gugić, Schriftstellerin, und auf Meris Sehovic, den Ko-Präsidenten von déi Gréng. Samuel Hamen moderiert die Gesprächsrunde in der Abtei Neimënster. Diskutiert wird „über Europa als Traumwort, als prekäres Gebilde und historische Konstruktion.“ Um eine Anmeldung per Mail (info@ipw.lu) oder Telefon (+352 49 04 43-1) wird gebeten.


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