Was nützt eine Frauenquote? – diese berechtigte Frage wird auch nach den diesjährigen Nationalwahlen von manchen gestellt. Einige Kommentare sagen dabei mehr aus über deren Verfasser*innen als über die tatsächliche Nützlichkeit einer solchen Maßnahme.
„Wo ist das Problem?“ – unter diesem Titel kommentierte Nadine Gautier vergangenen Monat die Debatte rund um die weibliche Unterrepräsentanz in der Chamber. Die gegenwärtige Diskussion werde „dem Ganzen“ nicht gerecht, so die Journalistin auf der Internetpräsenz von RTL. Ihr persönlich sei es vollkommen egal, ob in der Chamber Männer oder Frauen vertreten sind. So habe sie Kandidatinnen wie Carole Dieschbourg ihr Vertrauen nicht wegen deren Geschlecht geschenkt, sondern weil sie kompetent sind und sich für die Sorgen und Bedürfnisse der Bürger*innen einsetzen; andere Wähler*innen hätten es ihr gleichgetan.
Das Wort „Frauenquote“ ist noch nicht gefallen, da wird bereits das populärste vermeintliche Gegenargument in Anschlag gebracht: Auf die Kompetenz komme es an, nicht aufs Geschlecht. Nun wird sich wohl auch unter den Quotenbefürworter*innen kaum eine Person finden lassen, die diesen Satz nicht unterschreiben würde.
Doch kann dies nicht über die bleibende Diskrepanz hinwegtäuschen: Einerseits nämlich wird von einigen ein Status quo verteidigt, in welchem nicht nach Geschlecht, sondern nach Kompetenz gewählt wird. Andererseits wird von genau denselben Menschen stillschweigend zur Kenntnis genommen, dass deutlich mehr Männer als Frauen in der Abgeordnetenkammer sitzen. Wenn es tatsächlich nicht auf das Geschlecht ankommt, müsste dann nicht ein größeres Gleichgewicht herrschen? Oder sind Männer in der Tat kompetenter als Frauen? Ein Blick auf Statistiken zu Bildungsabschlüssen deutet auf das Gegenteil hin. Nadine Gautier mag es also vielleicht egal sein, ob Männer oder Frauen in der Chamber sitzen, den meisten Wähler*innen jedoch offenbar nicht: sonst bestünde dieses ungleiche Verhältnis wohl kaum fort.
Darüber hinaus ist die Gefahr eher gering, dass Wähler*innen bestimmten Kandidatinnen mehr Vertrauen schenken, nur weil sie weiblich sind. Umgekehrt besteht die Problematik darin, dass Kandidaten gewählt werden, gerade weil sie Männer sind. Das passiert in den meisten Fällen womöglich unbewusst. Männern wird aber tendenziell eine größere Rationalität, Autonomie und Führungskompetenz zugesprochen. Das hängt auch damit zusammen, dass es gewöhnlich eher Männer sind, die Politiker werden, in Vorständen vertreten sind, oder andere Machtposten bekleiden – ein Teufelskreis.
Doch wovon ist eigentlich die Rede, wenn von „Kompetenz“ gesprochen wird? Von Fachkompetenz? Redegewandtheit? Charisma? Ist es nicht sehr wahrscheinlich, dass alle Wähler*innen ihre Stimme(n) nach unterschiedlichen Kriterien abgeben? Kann überhaupt davon ausgegangen werden, dass alle Wähler*innen die Fachkompetenz der Kandidat*innen akkurat einschätzen und Fachkompetenz von Redegewandtheit unterscheiden können? Hier soll nicht die intellektuelle Fähigkeit der Wähler*innen hinterfragt, sondern lediglich illustriert werden, dass es die eine Kompetenz, die manche Kandidat*innen für einen Platz in der Chamber praktisch prädestinieren würde, nicht gibt.
Während Gautier am Anfang des Artikels noch davon spricht, dass es ausschließlich auf die Kompetenz ankomme, betont sie wenige Abschnitte später die Wichtigkeit der Sichtbarkeit. Kompetenz alleine bringt nun mal wenig, wenn von ihr niemand etwas mitbekommt. Die Schuld dafür, dass weibliche Politiker*innen in den Medien unterrepräsentiert sind, schiebt sie den Frauen selbst zu. Niemand werde daran gehindert, sich Sichtbarkeit zu verschaffen. Das lässt den Eindruck entstehen, es liege in jedermanns und jederfraus Hand, öffentlich sichtbar zu werden.
Das mag wohl stimmen, sofern es sich etwa um den Besuch eines Dorffestes oder einer anderen öffentlich zugänglichen Veranstaltung handelt. Ganz anders sieht es aber bei Anfragen für Rundtischgespräche, Interviews sowie der allgemeinen medialen Repräsentation aus. In einem Forum-Artikel vermerkten Claude Biwer und Leonie de Jongen, dass von 242 der im Vorfeld zu den diesjährigen Wahlen stattgefundenen Medienauftritten 79 Prozent von Kandidaten bestritten wurden. Abgesehen von Déi Lénk, Déi Gréng und CSV schickten alle Parteien weniger als 40 Prozent Kandidatinnen zu Radio- und Fernsehauftritten sowie Podiumsdiskussionen. Von der LSAP waren drei, von der DP zwei und von KPL und ADR nur jeweils eine Kandidatin medial präsent.
Es kommt in Luxemburg wahrscheinlich selten vor, dass eine Frau aktiv daran gehindert wird, in der Öffentlichkeit aufzutreten. Das verhindert nicht, von einer strukturellen Diskriminierung zu sprechen. Kandidatinnen können sich proaktiv für Sichtbarkeit engagieren, die eigentliche Verantwortung für eine geschlechtergerechte Repräsentation liegt aber letzten Endes nicht bei einzelnen Individuen, sondern bei den Parteien, Medien und Institutionen.
Gautier bedauert, Frauen würden mit dieser Debatte in eine Opferposition gedrängt. Wenn damit gemeint ist, dass man die von Frauen tagtäglich erfahrene strukturelle Diskriminierung benennt, ist darin grundsätzlich nichts Falsches zu sehen. Anzuerkennen, dass jemand sozial benachteiligt ist, bedeutet nicht, ihm oder ihr jegliche Handlungsmacht abzusprechen. Die Wahrnehmung dieser Benachteiligung ist allerdings eine notwendige Bedingung, um auf eine Überwindung der Diskriminierung hinarbeiten zu können.
Argumente von rechts
Auch die Frauenfraktion der ADR kommentierte in einem Presseschreiben die niedrige Zahl an direkt in die Chamber gewählten Frauen. Das Wahlresultat zeige, den eklatanten Misserfolg der Einführung einer Geschlechterquote.
Die ADR-Fraen haben mehrere Gründe dafür ausgemacht, weshalb 2018 rund 15 Prozent weniger Frauen direkt in die Chamber gewählt wurden als noch 2013. Durch das Gesetz seien manche Frauen vielleicht von den Wähler*innen nicht mehr als kompetent und engagiert, sondern als bloße Quotenfrauen gesehen und deshalb nicht gewählt worden.
Damit jedoch gesteht die ADR-Frauenfraktion indirekt ein, dass Männer und Frauen sehr wohl mit zweierlei Maß gemessen werden: Wird nämlich jemand als kompetent angesehen und aufgrund einer Quotenregelung auf einmal nicht mehr, ging es der wertenden Person wahrscheinlich von vorneherein nicht um Kompetenz.
Die ADR-Fraen gehen aber noch weiter. Sie fürchten, eine Frauenquote könne dazu führen, dass noch weitere Quoten eingeführt werden, zum Beispiel hinsichtlich Religionszugehörigkeit, Alter oder Berufsstand: „D’Quotelogik féiert mëttelfristeg an eng Gruppementalitéit an där ëmmer méi Gruppen en Usproch op eng proportional parlamenta resch Representatioun erhiewen fir do hir Partikularintressien, och géint aner Gruppen oder Deeler vun der Gesellschaft, ze vertrieden. Domat komme mir ewech vun der Notioun vum allgemenge Wuel an dem gesellschaftleche Gesamtintressi fir dat bis elo all Parlamentarier eenzel verantwortlech ass an dat och bis elo all politesch Parteien probéieren ze vertrieden.“
Besonders entlarvend ist die Behauptung, einzelne Gruppen würden Partikularinteressen gegen andere Gruppen vertreten. „Partikularinteressen“ wird hier auf abwertende Weise benutzt, wodurch eine Hierarchie zwischen unterschiedlichen Interessen hergestellt wird. In den Augen der ADR scheinen vor allem die Interessen älterer, weißer Männer dem Allgemeinwohl zu dienen. Welches Demokratieverständnis vertritt die ADR, wenn sie Meinungsvielfalt als etwas Negatives ansieht? Und was meint sie überhaupt, wenn sie von „Allgemeinwohl“ oder dem „gesellschaftlichen Gesamtinteresse“ spricht?
Marginalisierte Interessen und Bedürfnisse in den Fokus zu rücken, ist nicht dasselbe wie gegen hegemoniale Bevölkerungsgruppen vorzugehen. Und politische Entscheidungen zu treffen, die dazu führen, dass manche Menschen einige ihrer Privilegien abtreten müssen, bedeutet nicht, dass diese Entscheidungen sich gegen das Allgemeinwohl richten. Demgemäß geht es bei der Frauenquote nicht darum, Männer zu benachteiligen oder zu diskriminieren, sondern ihrer strukturellen Bevorzugung einen kleinen Dämpfer zu verpassen.
Mit oben zitiertem Abschnitt will die ADR gegen eine Quotenregelung argumentieren – doch sie tut im Grunde das genaue Gegenteil. Eine homogen aufgestellte Chamber erhöht das Risiko, dass in erster Linie die Anliegen einer ebenso homogenen Bevölkerungsgruppe vertreten werden. Gerade weil nicht jede Bevölkerungsgruppe die gleichen Interessen, Bedürfnisse und Prioritäten hat, ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Chamber im Sinne des Allgemeinwohls handelt, umso höher, je pluralistischer ihre Zusammensetzung ist.
ADR-Fraen bezeichnen das Einführen einer Geschlechterquote als eklatanten Misserfolg. Doch woran messen sie diesen? Der Zustand, wie vor deren Einführung, war nämlich alles andere als erfolgreich. Auch wenn sich die Argumentationen von ADR und Nadine Gautier in einigen Nuancen unterscheiden, wird in beiden Fällen dafür plädiert, Geschlechtergerechtigkeit auf „evolutionärem Wege“ zu erreichen. Ginge es nach ihnen, müssten wir uns wohl noch 200 Jahre gedulden, bis tatsächliche Gleichheit erreicht ist.