Kursbestimmung nach Bidens Sieg: Mitte oder links?

Die Schuld am enttäuschenden Wahlergebnis der Demokratischen Partei wird der Parteilinken in die Schuhe geschoben. Doch die verweist auf die gelungene Mobilisierung links von der Mitte.

Der Weg führt nach links! Alexandria Ocasio-Cortez 2019 beim „South by Southwest“-Festival.
(Wikimedia; nrkbeta; CC BY-SA 2.0)

Fünf Tage lang waren die Unterstützer*innen von Joe Biden damit beschäftigt, sich auf die unerwartete Möglichkeit einer Niederlage einzustellen. Und auf die Versuche Donald Trumps, im Fall eines Sieges der Demokratischen Partei die Wahlen für ungültig zu erklären. Mittlerweile wurde Biden von allen großen Medien als Sieger ausgerufen und außer die hartgesottensten Trump-Fans stellt kaum jemand den Wahlausgang in Frage. Gewiss, in Georgia steht wohl eine Nachzählung der Stimmen an, in anderen Staaten können die Regeln für die Briefwahl noch angefochten werden, doch das ist amerikanische Normalität … wie die bewaffneten Demonstrant*innen. Am Endergebnis wird das juristische Nachspiel mit fast absoluter Sicherheit nichts ändern.

Die wirklich spannenden Dinge passieren derzeit innerhalb des demokratischen Lagers, wo die Erleichterung der Enttäuschung Platz macht – eigentlich hatte man nämlich mit einem viel klareren Sieg gerechnet. Biden steht nun vor einem Dilemma, wie wir bereits vergangene Woche festgehalten hatten (woxx 1605: Match nul ?). Das knappe Wahlergebnis ist nicht nur eine Enttäuschung, sondern auch der Beleg, dass die extremistischen Pro-Trump-Gruppen nur die Spitze eines riesigen konservativen Eisbergs sind. Den Eisberg zum Schmelzen zu bringen, das Land zu versöhnen, so könnte Bidens Regierungsprogramm lauten.

Bidens Dilemma

Das und der bis auf Weiteres immer noch republikanische Senat könnten Biden dazu verleiten, einen zentristischen Politikkurs einzuschlagen. Doch eigentlich stünden große Reformen an, nachdem vier Jahre Trump die Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten in der amerikanischen Gesellschaft weiter verschärft haben. Die Erwartungen im fortschrittlichen Lager sind groß, die Ungeduld des linken Flügels nimmt zu.

Eine Ungeduld, eine Radikalität, die andere in der Demokratischen Partei kritisch sehen. Mehrere Mandatär*innen haben das schwache Ergebnis bei den zeitgleich abgehaltenen Kongresswahlen auf den Abschreckungseffekt linker Forderungen zurückgeführt. Insbesondere der Slogan „Defund the Police!“ (Streicht der Polizei die Mittel!) habe die demokratischen Kandidat*innen angreifbar gemacht und dazu geführt, dass sie in vielen Wahlbezirken scheiterten. Auch der bekannte Republikaner John Kasich – der Biden unterstützt hatte – twitterte, die Demokratische Partei müsse der radikalen Linken ins Gesicht sagen, durch sie habe man beinahe die Präsidentschaftswahl verloren.

Alexandria Ocasio-Cortez kündigt den Waffenstillstand auf

Doch die Parteilinke hält dagegen – sie hatte ja schon Vorbehalte gegen die Nominierung der beiden Zentrist*innen Joe Biden und Kamala Harris (woxx 1604: Trump abwählen reicht nicht!). „Alexandria Ocasio-Cortez kündigt den Waffenstillstand auf“, fasst der Guardian ein Interview der prominenten linken Politikerin in der New York Times zusammen.

Ocasio-Cortez hatte ihrerseits getwittert, dass jede*r einzelne von den Kandidat*innen, die Mitglied des „Progressive Caucus“ oder für die universelle Krankenversicherung eintreten sind, gewählt wurde. Im Interview warnte sie davor, den Eindruck zu erwecken, dass John Kasichs Unterstützung – also ein zentristisches Image – Biden zum Sieg verholfen habe. Sie verwies auf die erfolgreiche Mobilisierung linker Graswurzel-Organisationen in wahlentscheidenden Bundesstaaten wie Michigan, Georgia und Pennsylvania. Es sei an der Demokratischen Partei, diese Bewegungen zu integrieren. „Wir sind nicht der Feind“, richtete sich Ocasio-Cortez an ihre Parteikolleg*innen, „Black Lives Matter ist nicht der Feind, Medicare for all ist nicht der Feind.“

Tweets, kämpferisch und subtil

Manche Wortmeldungen zum künftigen politischen Kurs sind auch zurückhaltender. Eine der linken Kandidat*innen bei den Vorwahlen, die Senatorin Elizabeth Warren, beglückwünschte Joe Biden auf Twitter. Er verstehe, dass eine schwere Last auf seinen Schultern liege, twitterte  sie dann weiter, und: „Ein Heftpflaster wird die sich verschlimmernde Covid- und Wirtschaftskrise nicht lösen.“

In einem dritten Tweet wird sie – ohne innerparteiliche Schuldzuweisungen – etwas deutlicher: “Das amerikanische Volk hat es diese Woche klargemacht: Es will keine Regierung, die von Milliardär*innen, Megakonzernen und deren Armeen von Lobbyist*innen kontrolliert wird, um den Reichen und Mächtigen Vorteile zu verschaffen und unsere Regierung zu korrumpieren. Es wird Zeit, unsere Regierung zurückzunehmen und sie in den Dienst des Volkes zu stellen.“ Der Ball liegt bei Biden.


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