Mediengesetz der EU: Staatlich geprüfter Pluralismus

Ein europäisches Mediengesetz soll künftig die Vielfalt und die Unabhängigkeit der Medien in der EU besser schützen. Sollte es verabschiedet werden, wären die Auswirkungen auf Luxemburg womöglich enorm.

Mediale Vielfalt durch faire Marktbedingungen: Vera Jourová, EU-Kommissarin für Werte und Transparenz mit ihrem für den Binnenmarkt zuständigen Kollegen Thierry Breton bei der Vorstellung des geplanten Europäischen Medienfreiheitsgesetzes. (Foto: European Union/EC – Audiovisual Service/Christophe Licoppe)

Die Medien in der Europäischen Union stehen in vielerlei Hinsicht unter Druck. Gefahr droht etwa durch mangelnde politische Unabhängigkeit von staatlichen Interessen. In Ländern wie Polen, Ungarn und der Slowakischen Republik haben die Regierungen massiven Einfluss auf die Struktur der Medienlandschaft genommen. So hat beispielsweise die polnische staatliche Ölgesellschaft „PKN Orlen“ Ende 2020 die Mediengruppe „Polska Press“ aufgekauft und laut dem „International Press Institute“ in den dazugehörigen Redaktionen eine „politische Säuberungsaktion“ durchgeführt. Ebenfalls in Polen wurde an der Grenze zu Belarus ein Ausnahmezustand verhängt, um die Berichterstattung über die Situation der Flüchtlinge dort zu unterbinden (siehe den Artikel „Arsenal des Zynismus“ in woxx 1659). Damit nicht genug: Mehrere Journalist*innen wurden in den vergangenen Jahren in der EU ermordet. Und nicht zuletzt stellt die wirtschaftliche Konzentration der Medienunternehmen eine Bedrohung für den Medien- und Meinungspluralismus in Europa dar. Dies gilt insbesondere auch für Luxemburg.

Mit einem europäischen Medienfreiheitsgesetz, dem „European Media Freedom Act“, der am vergangenen Freitag vorgestellt wurde, will die Europäische Kommission nun den Pluralismus und die Unabhängigkeit der Medien in der EU besser schützen. „Es ist höchste Zeit zu handeln“, sagte Vera Jourová, die für „Werte und Transparenz“ zuständige Vizepräsidentin der EU-Kommission.

Die vorgeschlagene Verordnung soll unter anderem politische Einflussnahme auf redaktionelle Entscheidungen verhindern und die Überwachung von Journalist*innen, etwa mit Hilfe von Spionage-Software, unterbinden. Den Schwerpunkt legt die EU-Kommission jedoch laut eigenen Angaben auf die Unabhängigkeit öffentlich-rechtlicher Medien sowie auf die Transparenz von Medieneigentum und die Zuweisung staatlicher Werbeausgaben – alles Punkte also, die auch in Luxemburg ein großes Thema sind.

Formal will man mit dem neuen Gesetz die Wettbewerbsfreiheit im Medienbereich garantieren. Als Rechtsgrundlage nennt der Entwurf daher Artikel 114 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union. Dabei handelt es sich um einen der Gründungsverträge der EU, der unter anderem die Schaffung eines einheitlichen europäischen Binnenmarktes regeln soll. „Medienhäuser spielen eine entscheidende Rolle, sehen sich aber mit sinkenden Einnahmen, Bedrohungen der Medienfreiheit und des Medienpluralismus, der Entstehung sehr großer Online-Plattformen und einem Flickenteppich unterschiedlicher nationaler Vorschriften konfrontiert“, sagte EU-Kommissar Thierry Breton, der für den Binnenmarkt zuständig ist, bei der Vorstellung des Gesetzes. Diesen „Flickenteppich“ will man nun durch eine einheitliche Regelung ersetzen.

„Luxemburg bekommt ein Problem“

Die EU-Kommission reagiert damit auch auf Empfehlungen, die in den vergangenen Jahren mit dem „Media Pluralism Monitor“ gemacht worden sind. Der jährlich vom „Centre for Media Pluralism and Media Freedom“ (CMPF) erstellte Bericht erfasst den Zustand der Meinungs- und Medienfreiheit in den EU-Mitgliedstaaten sowie einigen potenziellen Beitrittsländern.

„Einige der in diesem Bericht angesprochenen Aspekte werden durch das geplante Europäische Medienfreiheitsgesetz tatsächlich umgesetzt“, sagt Raphaël Kies von der Universität Luxemburg, der am „Media Pluralism Monitor“ beteiligt ist. Der Forscher hebt vor allem das im Gesetz vorgesehene neue Europäische Gremium für Mediendienste hervor. Es soll die bisherige Instanz „ERGA“ (Gruppe europäischer Regulierungsstellen für audiovisuelle Mediendienste) beerben. „Dieses Gremium wird der Ort sein, wo sich alle nationalen Medienregulierungsbehörden treffen, um miteinander zu diskutieren und die EU-Kommission zu beraten“, so Kies gegenüber der woxx: „Es soll auch die Umsetzung der verschiedenen Gesetze und Vorschriften überwachen. Es handelt sich also um ein sehr mächtiges Instrument, das die EU-Kommission auf europäischer Ebene schaffen will.“

Noch im unlängst veröffentlichten „Media Pluralism Monitor“ des Jahres 2022 hatten die Autor*innen die EU zur Förderung einer „engeren Zusammenarbeit zwischen den Medienbehörden auf europäischer Ebene“ sowie zur „Stärkung von deren Unabhängigkeit“ aufgefordert. Das neue Gremium würde laut Kies wohl „auch die Medienkonzentration in den verschiedenen Ländern und die Problematik des staatlichen Anzeigenaufkommens überwachen“.

Genau diese Themen sind nicht zuletzt in Luxemburg seit langem ein großes Problem (siehe den Artikel „Le pluralisme déjoué“ in woxx 1651). Das geht auch aus dem aktuellen luxemburgischen Länderbericht der genannten Studie hervor, an dem Kies maßgeblich mitgewirkt hat. Auf einer dort verwendeten Prozente-Skala stellt der Konzentrationsgrad der Nachrichtenmedien im Großherzogtum mit 97 Prozent ein großes Risiko für die Pluralität der Medien dar. „Luxemburg ist nach wie vor einer der wenigen EU-Mitgliedstaaten ohne ein nationales Fusionskontrollgesetz oder eine ähnliche Bestimmung zur Begrenzung der horizontalen oder medienübergreifenden Konzentration von Nachrichtenmedien“, heißt es dort: „Außerdem gibt es keine Verwaltungsbehörde oder gerichtliche Instanz, die sich tatsächlich mit Fragen der Medienkonzentration befasst.“ Der Printsektor Luxemburgs werde von den Unternehmen „Editpress“ und „Mediahuis“ dominiert, der audiovisuelle Sektor von der RTL Gruppe, die zudem das Monopol in der Fernsehwerbung hält.

Foto: European Union/EC – Audiovisual Service/Lukasz Kobus

„Hier wird Luxemburg ein Problem bekommen“, meint Raphaël Kies mit Blick auf das geplante Gesetz. Man werde sich künftig gegenüber der EU und dem geplanten Gremium rechtfertigen müssen: „Das könnte zu einer öffentlichen Debatte in Luxemburg führen und auch die Aufmerksamkeit in den anderen EU-Mitgliedstaaten auf sich ziehen, was die hiesige Situation und die Dominanz von RTL auf dem Fernseh- und Radiomarkt anbelangt.“ Auch für mehr Transparenz in Bezug auf die Eigentumsverhältnisse der Medienbetreiber werde das Gesetz wohl sorgen. Bislang ist diese in Luxemburg mangelhaft und birgt entsprechend der Skala des „Media Pluralism Monitor“ ein Risko von 72 Prozent.

„Medienunfreiheitsverordnung“

Drei bis sechs Monate hätten die Mitgliedstaaten im Falle einer Implementierung des Rechtsinstruments Zeit, um die Bestimmungen auf nationaler Ebene umzusetzen, nach vier Jahren fände eine erste Bewertung statt. Die Berichtspflicht der Staaten soll für die von Kies angesprochene öffentliche Aufmerksamkeit sorgen. Bei schwerwiegenden Verstößen gegen das Gesetz könnte die Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen einen betreffenden EU-Mitgliedstaat einleiten.

Manche zweifeln indes an der beabsichtigten Wirkung des Gesetzes. Bereits vor der Präsentation des Vorschlags lief etwa der deutsche „Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger“ (BDZV) dagegen Sturm. Es handle sich bei dem geplanten Vorhaben eher um eine „Medienunfreiheitsverordnung“, so der Verband. Nicht nur hätten im Fall von dessen Inkrafttreten „allein die Verlegerinnen und Verleger letztlich die ideelle, ökonomische und rechtliche Verantwortung“ für eine Publikation zu tragen, vielmehr öffne das geplante Kontrollgremium „Befürchtungen für eine politische Vereinnahmung der Medien Tür und Tor“. Auch einige Zeitungskommentatoren äußerten sich in diese Richtung. „Die Kommission sagt, sie wolle die Medien vor dem Staat schützen, und stellt sie unter die Aufsicht des EU-Superstaats“, hieß es etwa in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Raphaël Kies von der Universität Luxemburg hält solche Bedenken nicht für gerechtfertigt: „Vielleicht haben die Verleger ja selbst kein Interesse daran, dass es ein Gremium gibt, das die Konzentrationsprozesse bei den Medienunternehmen überwacht“, kommentiert der Wissenschaftler die zitierte Kritik.

Luxemburg wäre in dem neuen Gremium durch die Alia (Autorité luxembourgeoise indépendante de l’audiovisuel) vertreten. Dort ist man allerdings bereits jetzt überlastet. Der jüngste „Media Pluralism Monitor“ attestiert der Behörde, ihr Aktionsradius sei „in vielerlei Hinsicht eingeschränkt“, und auch „die Arbeitsbelastung ist für die geringe Zahl der Mitarbeiter immer noch zu groß“. Eine Zielsetzung des EU-Gesetzes ist es, das Gewicht dieser Medienaufsichtsbehörden zu stärken. Die Alia brauche aber „sicherlich personelle und finanzielle Unterstützung“, um ihrer neuen Aufgabe gerecht zu werden, so Kies gegenüber der woxx.

Was die Zuweisung staatlicher Werbeausgaben an die Medien betrifft, die auch in Luxemburg neben der Pressehilfe einer weiteren Förderung entsprechen, hofft der Forscher ebenfalls auf das geplante Gesetz, um der relativen Willkür Einhalt zu gebieten: „Manche Zeitungen erhalten mehr Anzeigen, manche weniger, und es ist nicht klar und transparent wie das geschieht“, so Kies, der konstatiert, das Anzeigenvolumen werde hierzulande „nicht proportional verteilt“. Die Kommission will nun auf EU-Ebene dafür sorgen, dass dabei mit offenen Karten gespielt wird und „nicht diskriminiert wird“, wie es in den Erläuterungen zum Gesetzestext heißt.

Sollte das europäische Medienfreiheitsgesetz in dieser Form in Kraft treten, könnte das hierzulande also tiefgreifende Auswirkungen haben: „Ich glaube, dass Luxemburg dadurch genötigt sein wird, das geltende Mediengesetz komplett zu überarbeiten“, sagt Raphaël Kies. Zunächst muss der „European Media Freedom Act“ allerdings vom EU-Parlament und den Parlamenten der Mitgliedstaaten abgesegnet werden, wo er sicher noch für einige Diskussionen sorgt. Auch dort wird man sich dann mit dem fundamentalen Widerspruch herumschlagen müssen, als schützenswertes Gut zu behandeln, was nicht nur politischen Begehrlichkeiten ausgesetzt, sondern zugleich eine den Marktmechanismen unterworfene Ware ist.


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