Wahlvorschläge vom Nohaltegkeetsrot: Konsequent ökologisch, verworren liberal

Wenn es um den ökologischen Fußabdruck Luxemburgs geht, steht der Nohaltegkeetsrot für eine globale Sichtweise. Doch bei den sozialen Fragen hat er den Überblick verloren.

Viele Ideen, wenig Zusammenhänge – eines der Probleme des Nohaltegkeetsrot. (Pixabay; arodsje)

Braucht Luxemburg einen dritten Rat, einen „Conseil écologique et social“, um ein Gleichgewicht zwischen den „drei Säulen der Nachhaltigkeit“ herzustellen? Zumindest bestätigt das jüngste Positionspapier des Nohaltegkeetsrot („Conseil supérieur pour un développement durable“, CSDD), dass sich dieses Gremium zu einem Sprachrohr für die Interessen von Wirtschaft und Umwelt entwickelt hat. Die Gewerkschaften, die paritätisch im „Conseil économique et social“ (CES) vertreten sind, scheinen beim Thema Nachhaltigkeit an den Rand gedrängt worden zu sein. Sie sind, wie die Umweltbewegung, nur in jeweils einem der bestehenden Räte CES und CSDD vertreten. Woran sie aber eigentlich selber schuld sind, haben sie doch seit vielen Jahren die zuvor üblichen Nominierungen in den Nohaltegkeetsrot ausgeschlagen.

Rentenmauer forever

Das Fehlen der Sichtweise und Sachkenntnis dieser wichtigen gesellschaftlichen Akteurinnen macht sich bemerkbar, auch wenn der CSDD durchaus sozial engagierte Individuen in seinen Reihen zählt. Die am 6. Juli veröffentlichten Vorschläge an die Parteien im Vorfeld des Wahlkampfs sind im Bereich Umweltpolitik durchaus auf der Höhe der Herausforderungen. Im Bereich Wirtschaft und Soziales dagegen finden sich neben weitsichtigen Ansätzen auch neoliberale „Lösungen“, die das gesamte Dokument in ein schiefes Licht rücken.

Ausgespart bleibt dabei erfreulicherweise die Lohnindexierung, ein klassischer – und seit Kurzem wieder hochaktueller – Zankapfel zwischen Unternehmer*innenverbänden, Umwelt-NGOs und Gewerkschaften. Dafür wird das Pensionssystem pauschal kritisiert und mit dem neoliberalen Kampfbegriff der „Ponzi-Pyramide“ (ein Anleger*innen-Betrug) gebrandmarkt. Bereits am 1. Juli hatte der Mouvement écologique in einem wachstumskritischen Positionspapier zum Wahljahr 2023 in die gleiche Kerbe gehauen. Dass das derzeit überdurchschnittlich hohe Verhältnis der Renten zu den Löhnen nicht auf Dauer zu halten ist, bestreiten die wenigsten Renten-Expert*innen. Doch dafür das System an sich in Frage zu stellen oder es zum ideellen Motor des luxemburgischen Wirtschaftswachstums zu stilisieren, ist ein Denkfehler, der von den wirklich relevanten Fragen ablenkt.

Planeten und Kühe zählen

Wie schon im Mouvement-Papier geht der Platz, der dem Pensionssystem gewidmet ist, auf Kosten von Themen wie soziale Gerechtigkeit oder Umverteilung. Im Unterkapitel Energie findet sich immerhin die Forderung, „bis 2025 alle Fälle von Energiearmut zu beenden“ anhand einer Aufwandsquote, die die Energieausgaben ins Verhältnis zum Einkommen setzt – ein grundsätzlich richtiger Ansatz, dessen konkrete Umsetzung aber leider nicht ausgeführt ist.

Im Bereich Wohnen zeigt sich der CSDD überzeugt, dass Luxemburg eine Million Einwohner*innen verkraften könne, ohne die Bauperimeter auszudehnen – ein Szenario, das der Mouvement eher als bedrohlich darstellt. Hierbei setzt der Nohaltegkeetsrot auf verdichtetes Bauen und Mixität statt der Trennung in Wohn- und Aktivitätszonen – ein interessanter Ansatz, bei dem aber vielfältige Interessen aufeinandertreffen dürften. Auch hier gibt es soziale Ansätze, wie die Förderung von Kooperativen und Maßnahmen zugunsten von Mietwohnungen. Dass die Vorschläge nicht reichen, um das massive Wohnraumdefizit zu resorbieren, war den Autor*innen wohl bewusst, merken sie doch an, es handle sich um partielle Lösungen und man benötige „dringend eine systemische Herangehensweise“.

Durchaus „systemisch“ geht der CSDD aber an das Problem des im weltweiten Vergleich extrem hohen ökologischen Fußabdrucks heran. Anstatt, wie noch 2020, Grenzgänger*innen und Dienstleistungssektor herausrechnen zu wollen, bejaht der Rat die Notwendigkeit, den Pro-Kopf-Ressourcenverbrauch Luxemburgs von sieben auf einen Planeten zu reduzieren. Das bedeutet unter anderem, dass „unsichtbare“ CO2-Emissionen, wie sie in importierten Konsumgütern enthalten sind, in die Berechnungen für eine ökologische Transition einbezogen werden. Interessanterweise verbleiben in der CSDD-Zielvorstellung nur die Sektoren Landwirtschaft, Bauwesen und Güterherstellung; bemerkenswert ist die beabsichtigte Aufgabe des Tanktourismus (derzeit 1,63 Planeten).

Für den Bereich Landwirtschaft ist die Hälfte der verfügbaren Fußabdruck-Ressourcen vorgesehen (derzeit 1,3 Planeten). Die – wie in der Vergangenheit gut durchdachten – Vorschläge reichen von einer Reduzierung des Viehbestands über eine Verbesserung des vor Kurzem eingeführten Qualitätslabels bis hin zur obligatorischen Nutzung von Bio- und Regionalprodukten in den öffentlichen Kantinen.

Die meisten Vorschläge in anderen Bereichen klingen allerdings, als entstammten sie den Ideensammlungen, die seit Jahren von findigen Marketingfirmen für Zukunftskomitees unter Beteiligung von Bürger*innen zusammengestellt werden: unausgegoren und vor allem zusammenhanglos. Dazu passt das Management-School-Speak der „Vorschläge“, die mit Begriffen wie „systemisches Ideal“, „Governance-Prinzipien“ und „sektoriellem Denken“ um sich werfen und Empfehlungen abgeben wie „das Prinzip ‚trial and error‘ verstärken, um der Komplexität der Transformationen entgegentreten zu können“. In den meisten Fällen ist das nur verwirrend, manchmal wirkt es originell, wie bei der „Exnovation“, die für eine Innovation in Verbindung mit dem Ausstieg aus veralteten Technologien steht.

Der auf bizarre Weise „originellste“ unter den CSDD-Vorschlägen betrifft allerdings die Generationengerechtigkeit. Dabei geht es nicht nur um die oben angesprochene Rentenfinanzierung, auch an der Wohnungsnot sind „die Alten“ schuld: „Erhöhung der Mieten und Immobilienpreise für Junge, zugunsten der Älteren“. Und nicht zuletzt habe die Covid-Epidemie die Ungleichheit verstärkt: 95 Prozent der Maßnahmen seien für den Schutz der Über-60-Jährigen ergriffen worden, dabei hätten letztere kaum unter den Lohnausfällen und Einschränkungen gelitten, die Jungen dagegen sehr. Die vom Nohaltegkeetsrot angesprochenen Probleme sind sicherlich diskussionswürdig, doch daraus einen Kampf der Generationen zu konstruieren, erscheint völlig überzogen.

Schuld sind die Alten!

Handelt es sich um ein taktisches PR-Manöver, das den CSDD an die Seite von Youth for Climate positionieren will, in einem Krieg gegen, um es überspitzt zu formulieren, die Alten, die unseren Planeten und unser Leben zerstören? Diese polarisierende Sichtweise dürfte von den wenigsten Aktivist*innen für Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit geteilt werden: Die wirklichen Bruchlinien verlaufen zwischen Zivilgesellschaft und politisch-wirtschaftlichem Filz sowie zwischen Arm und Reich.

Besonders zweifelhaft ist der Denkanstoß des Nohaltegkeetsrot, das Pensionssystem auf Kapitaldeckung umzustellen. Wie der Soziologe Martin Kohli in einem Interview mit der Zeitschrift Alternatives internationales sagt, hat sich die Debatte seit den 1980er-Jahren in den USA „vor allem in den neoliberalen und konservativen Think-tanks entwickelt, die die Idee der Generationengerechtigkeit für ideologische und politische Zwecke genutzt haben, um die Sozialprogramme für Senior*innen und den Wohlfahrtstaat insgesamt zu bekämpfen“. Auch im CSDD-Dokument führt die Konzentration auf den „Generationenkonflikt“ dazu, dass naheliegende Instrumente sozialer Gerechtigkeit wie die Erhöhung des Kindergelds und der Steuern auf hohen Einkommen und Erbschaften sowie Kapitalzinsen keine Erwähnung finden. Als Quelle der Inspiration für fortschrittliche Parteien haben sich die „Vorschläge“ des Nohaltegkeetsrot damit disqualifiziert.


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