Anlässlich der massenhaften Vergewaltigungen unzähliger bosnischer Frauen war es mir 1993 als angehender junger Kölner Gynäkologin ein großes Anliegen, der Ohnmacht und Untätigkeit der westlichen Hilfsorganisationen meine Empörung und mein Engagement entgegen zu stellen. Daraus entstand die heute weltweit tätige Frauenrechts- und Hilfsorganisation medica mondiale.
Für uns Gründer*innen damals 1993 waren sowohl die Nachwirkungen der Verbrechen des 2. Weltkriegs wie auch sexualisierter Gewalt in der Familie wichtige Anknüpfungspunkte für unser Engagement in einem Krieg im Jahre 1993 geographisch vor unserer Haustüre! Wir spürten, dass die seelischen und sozialen Folgen der Verbrechen des 2. Weltkriegs trotz zeitlichem Abstand nicht wirklich „vorbei“ waren und dies gab uns einen Auftrag, jetzt solidarisch zu handeln.
So war es nur logisch, dass wir uns neben der direkten Unterstützungsarbeit für vor Ort traumatisierte Frauen auch mit dem Themenfeld Recht und Gerechtigkeit beschäftigten. Dies taten wir über eineinhalb Jahrzehnte im Bereich der Strafverfolgung von sexualisierter Kriegs-Gewalt im internationalen Völkerstrafrecht im Rahmen des Internationalen Strafgerichtshof zu den Verbrechen in Ex-Jugoslawien und des heutigen Ständigen Internationalen Gerichtshofs in Den Haag. Dabei sammelten wir reichlich Erfahrung zur Ignoranz und dem Unwissen von nationalen und internationalen Justizsystemen und der politischen Instrumentalisierung von Zeuginnen, dem fehlenden Bewusstsein zum Zeuginnen-Schutz und ihren Rechten.
Aber wir sehen auch, dass Überlebende immer wieder reduziert werden auf herkömmliche Geschlechter-Stereotypen. Das brachte uns mehr und mehr zur Frage, wie denn Gerechtigkeit für Überlebende aussehen könnte, wenn in den Justizsystemen selbst frauenfeindliche Sicht- und Verhaltensweisen derart festzementiert sind – von ihren eigenen Communities ganz zu schweigen. Gleichzeitig erfuhren wir jedoch gerade auch von bosnischen Frauen, wie wichtig ihnen das Aussprechen der gewaltvollen Erfahrungen war: „Damit die Welt es erfährt“, titelten wir 2000 eine Dokumentation über die Foca-Prozesse in Den Haag.
Doch erreichten uns auch immer wieder Briefe von mittlerweile alten deutschen Frauen, die 1945 sexualisierter Gewalt durch Alliierte ausgesetzt waren, die beschrieben, wie sehr die Gewalt ihr weiteres Leben überschattet hatte, und sie in ihrer Nachkriegs-Gesellschaft zum Schweigen verdammt waren. Kein Mahnmal, keine Rede eines Bundespräsidenten zum Volkstrauertag erinnerte je an ihr Leiden. Und auch heute lesen wir in bosnischen Geschichtsbüchern kein Wort über die schmerzhaften Erfahrungen der Frauen während des Krieges. Für die gefallenen Soldaten gibt es vor jeder deutschen Kirche Symbolik, die Helden sind in jeder Nation sichtbar. Die patriarchalen, stereotypen Geschlechterbilder werden durch Krieg und Nachkriegsgeschehen weiter zementiert.
Ausgrenzung und Schweigen fördern weitere Traumatisierung und sind Quelle von fortwährender Retraumatisierung. Eine wahrnehmende Erinnerungskultur durch Sichtbarmachung von Frauenrealitäten könnte diese unaufhörlichen und weiter dauernden Verletzungen unterbrechen – und das vielfache Leiden von Frauen ins gesellschaftliche Bewusstsein bringen!
Auch aufgrund der massiven Empörung damals während des Bosnien-Kriegs wurde auf der Weltfrauen-Konferenz in Peking 1995 erstmalig über das Thema „Frauen in bewaffneten Konflikten“ gesprochen. Ergebnis der kontroversen Diskussionen von fast 50.000 Teilnehmerinnen war ein bahnbrechender Forderungskatalog, den 189 Staaten im Konsens verabschiedet haben – heute aufgrund vielfachen Backlashes in vielen Staaten undenkbar.
Daraus entstand im Jahre 2000 auf Betreiben von Kofi Annan die relevante UN-Resolution 1325, die bis heute leider nicht wirklich umgesetzt wurde. Erst die schwedische Außenministerin Margot Wallström hat sich zu ihrem Amtsantritt 2014 klar auf die Seite der Überlebenden gestellt und diese Haltung mit einer feministisch ausgerichteten Außen- und Sicherheitspolitik verbunden. Das hieß dann in der Konsequenz z.B., keine schwedischen Rüstungsgüter mehr nach Saudi-Arabien zu liefern. Ihr Grund dafür war die extrem frauenfeindliche Politik der weiblichen Bevölkerung gegenüber, wie auch der fortgesetzte Krieg im Jemen. Was für ein schönes Vorbild auch für andere europäische Regierungen, die mit ihren Waffenexporten alles andere als konfliktpräventive Politik machen!
Heute freuen wir uns, dass endlich ein deutscher Außenminister klare Worte findet und sich dafür einsetzen wird, dass Frauen endlich gleichberechtigt an Friedensverhandlungen teilnehmen werden. Dies wird hoffentlich direkt für Syrien umgesetzt werden – genügend fähige Frauen stehen parat. Dies ist nicht nur das pure Menschen-Recht von Frauen, sondern auch deswegen so wichtig, weil sonst ihre Wirklichkeiten und Bedarfe schlichtweg nicht vorkommen. Beim Friedensabkommen für Bosnien-Herzegowina, dem sog. Daytona-Abkommen, waren keine Frauen beteiligt – bis heute werden überlebende Frauen und ihre Kinder massiv diskriminiert. Hätten nicht Aktivistinnen über Jahre hinweg sich für ihre Rechte eingesetzt, bekämen die Frauen immer noch keine Entschädigung.
Unsere Vision ist die Transformation von Nachkriegsgesellschaften, also die Entwicklung hin zu einer Gesellschaft, in der das Zusammenleben aller auf der Basis von Geschlechtergerechtigkeit und Menschenrechten basiert. Das wäre doch ein tolles gesamteuropäisches Ziel, diese Vision in unseren angeblich so hochentwickelten Ländern umzusetzen!
Autorin: Dr. Monika Hauser, Gründerin und Vorstandsvorsitzende von medica mondiale e.V., Trägerin des Alternativen Nobelpreises 2008; Rednerin bei der Tagung „Stand. Speak. Rise Up.“ In Luxemburg am 26./27. März 2019.
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