Globale Notwendigkeiten, nationale Möglichkeiten
: Koalition und Klima

Von Tornados und Überschwemmungen verschont, wird in Luxemburg über ein Koalitionsabkommen verhandelt. Weltweit stehen die Zeichen aber auf Sturm.

Extreme Hitze lähmt das Denkvermögen, macht aber vielleicht auch einsichtig. (Wikimedia; WahsawSD; CC BY-SA 4.0)

Ist Luc Frieden ein Klimafreund? Immerhin hat der Premierminister in spe entschieden, eine konsequent gegen den Klimawandel engagierte NGO wie den Mouvement écologique zu einem Vorbereitungstreffen im Rahmen der Koalitionsverhandlungen einzuladen. Im Sinne der nachhaltigen Entwicklung sei es „positiv, dass ein erster Austausch mit den Koalitionsparteien stattfinden konnte“, schreibt der Méco, warnt aber: „Daraus weitergehende Schlüsse zu ziehen, wäre jedoch verfrüht.“ Liest man die ganze Pressemitteilung der NGO, so wird klar, dass sie von einer CSV-DP-Regierung keine „Grüne Revolution“ erwartet. Über die Mittel könne man diskutieren, doch bei den im vergangenen Jahrzehnt festgelegten Zielen dürfe es keine Rückschritte geben. Im Klartext: Die neue Regierung wird bestimmt so manche Maßnahmen abschwächen und in die Länge ziehen, doch solange sie an den – an sich schon bescheidenen – Zielen der Dreier-Koalition formal festhält, ist das Schlimmste verhindert worden.

Inventar vor Neustart

Kommt diese grundpessimistische Haltung daher, dass man insgeheim den ehemaligen Austeritäts- und Abschiebeminister auch noch als Klimafeind und -leugner einstuft? In seinem Online-Wahlkampf-Traktat „ABC des Luc Frieden“ hatte Max Leners versucht, genau das zu belegen: Im 2016 erschienenen Buch „Europa 5.0“ trete Koautor Frieden für maßvolle Klimapolitik ein, „auch wenn die Vorhersagen zum Klimawandel mit Unsicherheit behaftet sind“. Für den jungen LSAP-Vordenker zeugt das von einer „ideologisch geprägten antiwissenschaftlichen Haltung“, weil Frieden „die ‚gold standard‘ Klimawissenschaft als unsicher bezeichnet“. Das Zitat ließe sich allerdings auch dahingehend interpretieren, dass viele Aussagen zum Klimawandel probabilistisch formuliert sind, was eher einem überdurchschnittlichen Wissenschaftsverständnis entsprechen würde.

Was Luc Frieden wirklich über das Klima denkt, bleibt sein Geheimnis. Dass Umweltfragen allgemein aber nicht zu seinen Prioritäten gehören, das liest man deutlich aus den zahlreichen neuen und alten Interviews des CSV-Leaders heraus. Doch wer nimmt das Thema Klima überhaupt ernst? Im Sommer coverten die Medien mit Dürren und Überschwemmungen, doch sobald die Auswirkungen des Klimawandels weniger spektakulär sind, ist das Phänomen an sich auch kein Thema mehr – bis zur nächsten „Natur“-Katastrophe. Die jüngsten Veröffentlichungen zur Dringlichkeit des Handelns oder die Vorbereitungen zur Weltklimakonferenz COP28 in drei Wochen interessieren kaum.

Ein wichtiges Dokument wurde am 8. September vom Sekretariat der UN-Klimakonvention (UNFCCC) vorgelegt: das Global Stocktake. Dabei geht es um ein weltweites Inventar der Emissionen von Treibhausgasen, wie sie sich aus den nationalen Minderungszielen für die kommenden Jahrzehnte ergeben. Laut Pariser Übereinkommen von 2015 soll alle fünf Jahre ein solches Inventar dazu führen, dass die Staaten ihre Ziele aufstocken, um dem 1,5-Grad-Ziel näher zu kommen. Ein Geburtsfehler des Übereinkommens war allerdings, dass das erste Inventar erst für 2023 vorgesehen wurde. Natürlich läuten nun bei der Auswertung des Inventars die Alarmglocken: Viel zu wenig wurde in den vergangenen acht Jahren unternommen und die Ziele, mit denen die Staaten zur COP28 antreten, sind völlig unzureichend. Im Dokument geht die Rede von einer Lücke („gap“) von über 20 Gigatonnen CO2e (CO2-Äuquivalent, das andere Treibhausgase einberechnet) im Jahr 2030. Damit würden die Staaten nur etwa die Hälfte der als notwendig erachteten Emissionsminderungen erreichen.

Lücken und Büßer*innen

Doch selbst diese Schätzung ist noch optimistisch, wie sich aus einer am 30. Oktober veröffentlichten Studie zum CO2-Budget ergibt (im Guardian vorgestellt). Die Menge an CO2, die noch ausgestoßen werden kann, bis 1,5 Grad überschritten werden, sinkt schneller als erwartet, weil die Emissionen gestiegen, statt gesunken sind und weil eine Nebenwirkung der Verbesserung der Luftqualität leider die Verstärkung des Treibhauseffektes ist. Um gerade mal 50 Prozent Chancen zu haben, die Erwärmung unter 1,5 Grad (gegenüber dem Beginn der Industrialisierung) zu halten, müsste der CO2-Ausstoß bis 2034 netto auf null absinken. Die derzeitige UN-Vorgabe würde laut Studie nur einer 2/5-Chance entsprechen, unter 1,5 Grad zu bleiben. Diese „bescheidenere“ Vorgabe – den Ausstoß bis 2030 zu halbieren und erst 2050 die Null zu erreichen – wird aber derzeit von der Staatengemeinschaft immer noch weit verfehlt. Außerdem macht eine Zahl in der Studie deutlich, dass die wissenschaftliche Unsicherheit zu mehr und nicht zu weniger Eile anspornen sollte: Sogar wenn man 2035 die Null erreichte, bliebe ein Risiko von 10 Prozent, dass die Erwärmung 2 Grad oder mehr beträgt – was mittlerweile als Basis-Horrorszenario angesehen wird.

Am 2. November schließlich hat das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (Unep) seinen jährlichen „Adaptation Gap Report“ vorgestellt. Dabei geht es nicht um die Abbremsung des Klimawandels („mitigation“), sondern um die ebenfalls notwendige Anpassung an seine bereits jetzt unvermeidbaren Folgen („adaptation“). Im Zentrum steht dabei die völlig unzureichende Finanzierung solcher Anpassungsmaßnahmen im globalen Süden. Laut Unep-Pressemitteilung liegt der Finanzbedarf derzeit etwa zehnmal höher als die internationalen Transfers.

Zur Erinnerung: 2009 verpflichteten sich die Industrieländer zur Schaffung des Green Climate Fund, der Maßnahmen sowohl zur Emissionsminderung als auch zur Anpassung im Süden finanzieren sollte. Versprochen wurde ein jährliches Finanzvolumen von 100 Milliarden Dollar, das 2020 erreicht werden sollte. Derzeit ist diese Summe immer noch nicht erreicht und neue Schätzungen gehen von einem wesentlich höheren Bedarf aus. Das Versagen des für den Klimawandel primär verantwortlichen Nordens ist allerdings im Bereich der Anpassung besonders krass, wie der Unep-Bericht belegt. 2021 wurde bei der COP26 in Glasgow versprochen, bis 2025 die Finanzierung zu verdoppeln, doch in Wirklichkeit sind nach 2020 die Transfers zurückgegangen. Der Bericht hebt hervor, dass allein die 55 gefährdetsten Länder in den letzten 20 Jahren über 500 Milliarden an Klimaschäden zu verzeichnen hatten. „Es ist einfach ungerecht, dass die, die am wenigsten zu den CO2-Emissionen beigetragen haben, den höchsten Preis für die Auswirkungen der Klimakrise auf unseren gemeinsamen Planeten zahlen“, kritisiert die sambische Aktivistin Jessica Bwali (Tearfund), zitiert vom Climate Action Network.

Für Anpassung statt für 
Klimaschäden zahlen

Das Problem war vorhersehbar: Beim Green Climate Fund setzt die Weltgemeinschaft auf Hebeleffekte, durch die mit öffentlichen Geldern auch Privatkapital mobilisiert werden kann. Diese Vorgehensweise, die vor allem auf Kredite setzt, kann zur Überschuldung führen, funktioniert aber zum Teil bei der Emissionsminderung, denn in diesem Bereich gibt es Gewinne zu erwirtschaften, insbesondere bei den erneuerbaren Energien. Anpassung hingegen läuft bestenfalls darauf hinaus, dass, wie das Unep-Kommuniqué anführt, jede in den Küstenschutz investierte Milliarde zu um 14 Milliarden geringere Schäden führt. Für die Maßnahme gibt man also weniger aus als ohne sie – eine Wertschöpfung im positiven Sinne findet aber nicht statt.

Weiterfahren wie bisher? Den Klimawandel stoppen oder ihm ausgeliefert sein, wie hier bei einer Überschwemmung in North Dakota. (Foto: Flickr; Keith Weston, USDA; CC BY 2.0)

 

Hier ließe sich, wie wir bereits vor einem Jahr erläutert hatten, eine Brücke zur Diskussion über „Loss and Damage“ schlagen (woxx 1709). Hierbei geht es um die Kompensierung der Schäden im globalen Süden durch die Industrieländer, die historisch am meisten zum Klimawandel beigetragen haben. Letztere haben einen Durchbruch bei den COP28-Vorverhandlungen verkündigt, doch der jetzt vorliegende Deal entspricht weder quantitativ noch qualitativ – wieder einmal beruhen die Zahlungen auf Freiwilligkeit – der Forderung nach Klimagerechtigkeit.

Als alternatives Modell bietet sich eine Art weltumspannende „Mutuelle“ an, in der die Industrieländer grundsätzlich verpflichtet wären, für die Schäden aufzukommen, und hierfür Rückstellungen anlegen müssten. Aus diesen Rückstellungen ließen sich Anpassungsmaßnahmen finanzieren, ähnlich einer Krankenkasse, die Gesundheitsprävention finanziert. Dadurch würden die Schäden geringer ausfallen und die entsprechenden Rückstellungen könnten größtenteils aufgelöst werden. Verbindliche Rückstellungen würden also einen finanziellen Anreiz für Investitionen in die Anpassung schaffen, wobei es für Anlagen eine Rendite gäbe und sich Privatkapital einbinden ließe.

Ob diese „Mutuelle“ ihren Sitz in Luxemburg haben wird, ist allerdings fraglich. Zwar setzen die Green-Finance-Lobbyist*innen auf diese Art internationaler Anerkennung, um die neuen Geschäftsbereiche am Finanzplatz zu verwurzeln. Doch das Grün ist derzeit zumeist an der Oberfläche zu finden, wie die Neuauflage des „Mystery Shopping“ durch Greenpeace, bei dem überwiegend Mogelpackungen angeboten wurden (woxx 1758), zeigt.

Schwarz-blaue Perspektiven

Dass eine vom langjährigen Freund der Hochfinanz Luc Frieden angeführte Regierung mit einer Neuorientierung ernst macht, ist unwahrscheinlich – schließlich lässt sich ja in der Banken- und Briefkästen-Oase Luxemburg immer noch viel Geld auf die alte Art verdienen. Auflagen in Sachen Nachhaltigkeit und Transparenz, die über Kosmetik hinausgehen, drohen natürlich das Kapital – das „scheue Reh“ – zu verschrecken. Hört die Regierung, wie zu erwarten, auf die Wünsche der Bankiers, so bleibt der Finanzplatz vorerst „attraktiv“. Allerdings, „wenn in zehn Jahren aus den scheuen Rehen gestrandete Wale geworden sind, nützt die vermeintliche Attraktivität von heute nichts mehr“, wie wir bereits gewarnt hatten (woxx 1757).

Auch in anderen Bereichen lässt die CSV-DP-Konstellation wenig Gutes erwarten. Der Stocktake-Bericht fordert ein scharfes Zurückfahren des Fleischverbrauchs in den reichen Ländern, doch Luxemburgs Agrarpartei CSV dürfte ihre schützende Hand über die einheimischen Rinderherden halten. Das Wahlergebnis von Déi Gréng bietet sich dabei als zusätzliches Argument gegen Agrarwende und Biolandwirtschaft an. Im Verkehrsbereich – eine der Hauptemissionsquellen – muss das Graugrün von François Bausch wohl dem reinen Grauton weichen, den man aus der schwarz-blau regierten Hauptstadt kennt und der sich einfach auf die Verbrennungsmotor-Jennys und -Mennis beruft. Die anstehenden Austeritätsmaßnahmen schließlich werden vermutlich die großen – und dringend notwendigen – ÖPNV-Infrastrukturprojekte in Frage stellen oder zumindest verzögern.

Da mag Frieden sein Versprechen wahr machen, die erneuerbare Stromproduktion in großem Umfang auszubauen – das ersetzt nicht eine ressortübergreifende Priorisierung von Klimaschutz und Nachhaltigkeit. Dabei wird gerade diese nicht nur von den NGOs, sondern auch von Gremien wie dem Observatoire de la politique climatique und dem Nachhaltigkeitsrat eingefordert werden – ob Frieden wirklich mit diesen Instanzen auf Konfrontationskurs gehen wird? Auch die Klimabewegung könnte zum Prüfstein für den „neuen“ Luc Frieden werden, wenn sich die Proteste, wie im Ausland, radikalisieren. Immerhin hatte er 2002 als Justizminister versucht, Aktionen wie die Esso-Blockade durch eine Lex Greenpeace zu unterbinden. Damals war das Vorhaben am politischen Liberalismus der luxemburgischen intellektuellen Eliten gescheitert, doch seither sind 20 Jahre vergangen.

Und doch … Wie schon vor den Wahlen erläutert, schert sich die Klimakrise nicht um Farben und Vorlieben der Regierung (woxx 1755). Ein Klimafeind ist Frieden wohl nicht, eher ein Klima-Drückeberger, wie sie die Mehrheit in Politik und Gesellschaft darstellt. Unter dem Eindruck der sich international und national zuspitzenden Klimakrise kann ja vielleicht auch ein Luc Frieden, auch eine CSV-DP-Koalition über den eigenen Schatten springen?


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