Historisches Bauerbe: Öffentliche Petition läuft noch bis zum 6. August

Unter dem Titel „Dringender Aufruf zum Schutz des historischen Bauerbes Luxemburgs“ wurde letzte Woche auf dem Internetauftritt der Abgeordnetenkammer die dreisprachige öffentliche Petition 1638 lanciert.

Initiiert wurde die Petition von einer Reihe von Privatpersonen, die sich ihrem Unverständnis über den Umgang mit dem historischen Bauerbe in Luxemburg vor allem auf der Facebook-Seite Luxembourg Under Destruction Luft gemacht haben (mehr dazu in der Printausgabe der woxx vom 3. Juli).

Die sich in letzter Zeit wieder intensivierenden massiven Zerstörungen alter Bausubstanz, für die die Covid-19-Krise nur einen kleinen Aufschub bedeutete, haben jetzt zu einer konkreten Aktion geführt. Die Lancierung einer öffentlichen Chamber-Petition bietet die Chance, dass das von den Petitionär*innen vorgebrachte Anliegen in öffentlicher Sitzung mit den Abgeordneten und den zuständigen Minister*innen diskutiert wird. Allerdings müssen innerhalb von 42 Tagen mindestens 4.500 im Register der physischen  Personen eingetragene Bürger*innen die wenigstens 15 Jahre alt sind, die Petition unterschreiben. Das heißt, dass auch Nicht-Luxemburger*innen und Grenzgänger*innen sich an der Petition beteiligen können.

Leider bietet die Chamber derzeit (noch?) nicht die Möglichkeit eine längere inhaltliche Begründung für eine Petition hinzuzufügen. Weshalb jetzt auf der Petitionsseite eigentlich nur ein kurzer, französischer Text auf das Anliegen der Petitionär*innen hinweist. Deshalb dokumentieren wir an dieser Stelle den deutschen Petitionstext in seiner Gesamtfassung, die französische und englische Version allerdings nur als PDF- Links. Wer aktiv mit den Petitionär*innen diskutieren will, kann dies auf einer speziell kreierten Facebook-Seite zur Petition 1638 tun.

Dringender Aufruf zum Schutz des historischen Bauerbes Luxemburgs

Im Vergleich mit anderen Ländern zählt Luxemburg nur relativ wenig denkmalgeschützte Gebäude. Hinzu kommt, dass im Laufe der vergangenen Jahrzehnte ein Großteil unseres historischen Bauerbes verschwunden und Opfer eines sich rasant entwickelnden Immobilienmarktes geworden ist. Nur wenig von Luxemburgs historischer Bausubstanz ist noch erhalten.

Im Juli 2019 wurde ein Gesetzentwurf zum Schutz des kulturellen Erbes Luxemburgs vorgelegt. Dies ist sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung, doch während das geplante Gesetz im Parlament diskutiert und überarbeitet wird, geht die Zerstörung wertvoller Bausubstanz ungehindert weiter und scheint sich sogar noch zu beschleunigen.

Aus diesem Grund richten die Unterzeichnenden einen dringenden Aufruf an die politisch Verantwortlichen, endlich Maßnahmen zu treffen, um den unwiderruflichen Verlust des historischen Bauerbes Luxemburgs zu verhindern:

  1. Alle Gebäude, die vor 1955 errichtet wurden, sollten unter Denkmalschutz gestellt werden. Abrissgenehmigungen für diese Gebäude sollten nur in Ausnahmefällen und nach sorgfältiger Prüfung ihres architektonischen und historischen Wertes, auf Grundlage von objektiven und transparenten Kriterien, im Einklang mit den internationalen Standards im Bereich des Denkmalschutzes, erteilt werden.
  2. Historische Bauwerke sollten in ihrer Gesamtheit betrachtet werden. Die gängige Praxis, nur einzelne Bauteile wie beispielsweise die Fassade oder die äußeren Umrisse eines Gebäudes („gabarit“) zu erhalten, sollte eingestellt werden. Wo immer möglich, sollten ganze Gebäudekomplexe vor dem Abriss und unzulässigen Veränderungen geschützt werden.
  3. Der Staat, in seiner Rolle als Eigentümer historischer Bauwerke, sollte hier vorbildhaft handeln: Denkmalgeschützte Gebäude im Staatsbesitz sollten in ihrer Gesamtheit erhalten und, soweit möglich, öffentlich zugänglich gemacht werden.
  4. Jedes Mal, wenn der Eigentümer eines denkmalgeschützten Gebäudes der Auflage, selbiges zu erhalten, nicht nachkommt, sollte der Staat eingreifen. Jeder, der ein denkmalgeschütztes Gebäude absichtlich beschädigt, zerstört oder verfallen lässt, sollte bestraft werden.
  5. Der Zugang zu Informationen über Bau-, Abriss- und Renovierungsprojekte sollte erleichtert werden. Informationen zu größeren Bauvorhaben, welche Auswirkungen auf die weitere Umgebung haben oder eine Umwandlung oder sogar den Abriss historischer Bausubstanz beinhalten, sollten der Allgemeinheit lange im Voraus zugänglich gemacht werden. Im Rahmen öffentlicher Beratungen über diese Vorhaben sollten die verschiedenen Akteure, wie z.B. EinwohnerInnen, Gemeinschaften und Bürgerinitiativen die Möglichkeit haben, ihre Bedenken zu äußern, die im Laufe der Entscheidungsprozesse berücksichtigt werden sollten.
  6. Der Schutz historischen Bauerbes sollte auch die ländliche Architektur wie beispielsweise Waschbrunnen, Brücken, Straßenkreuze und Mauern umfassen. Maßnahmen zum Erhalt und Aufwertung dieser Bauwerke sollten eingeleitet werden.
  7. Der Staat sollte sich außerdem bemühen, das öffentliche Bewusstsein der Wichtigkeit des Erhalts von historischem Bauerbe zu fördern. Informationen über denkmalgeschützte Gebäude sollten einfach zugänglich sein. Die Bewusstseinsförderung sollte bereits in der Schule beginnen und die Organisation öffentlicher Veranstaltungen beinhalten.
  8. Informationen über Beihilfen zum Erhalt historischer Bausubstanz sollten für EigentümerInnen, Gemeinden, ArchitektInnen und HandwerkerInnen leicht zugänglich sein. Die Zuteilung solcher Beihilfen sollte an die Einhaltung strenger Regeln bezüglich der zu fördernden Arbeiten (bauliche Änderungen sollten nicht bezuschusst werden), der Wahl der Materialien und Techniken, sowie evtl. auch der Bereitschaft, das Gebäude zu verschiedenen Anlässen, wie beispielsweise den Journées du Patrimoine, der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, geknüpft sein.

Hintergrundinformationen

In Luxemburg ist im internationalen Vergleich ein nur geringer Teil der historisch und architektonisch bedeutsamen Bausubstanz erhalten. Verfügbaren Informationen zufolge wurden nur 28,8 Prozent der noch bestehenden Gebäude vor 1945 errichtet, 13,9 Prozent vor 1920.[1] Mehrere Tausend historische Bauwerke stehen unter Denkmalschutz, doch sind die meisten von ihnen nur im Rahmen des jeweiligen kommunalen Entwicklungsplans (PAG) geschützt[2], was sich immer dann als unzureichend erwiesen hat, wenn ein Eigentümer gegen die Verweigerung einer Abrissgenehmigung klagte.

Nur 1.457 Gebäude werden auf nationaler Ebene geschützt, indem sie als nationale Baudenkmäler aufgeführt werden oder Bestandteil des sogenannten ,,inventaire supplémentaire“ sind.[3] Zahlreiche Gebäude, welche von der nationale Denkmalschutzbehörde, dem Service des Sites et Monuments Nationaux (SSMN), als schützenswert eingestuft wurden, sind überhaupt nicht geschützt.[4] Schätzungen zufolge liegt der Anteil geschützter Gebäude in Luxemburg bei 0,7 Prozent – weitaus weniger als in anderen Ländern.[5] In Deutschland beispielsweise liegt dieser Anteil bei drei Prozent; weitere zehn Prozent der Gebäude befinden sich dort in denkmalgeschützten Bereichen, wie z.B. historischen Stadtzentren.[6] In den Niederlanden zählt allein die Stadt Amsterdam 9.000 national und kommunal geschützte Gebäude, außerdem gibt es sechs nationale Schutzzonen einschließlich des historischen Zentrums von Amsterdam.[7]

In Luxemburg haben eine Vielzahl von Kriterien sowie deren unterschiedliche Auslegungen dazu geführt, dass eine Vielzahl historisch wertvoller Gebäude bis zur Unkenntlichkeit der ursprünglichen Bausubstanz umgebaut oder sogar vollständig zerstört wurden. Ein Beispiel jüngeren Datums hierfür ist eine Häuserzeile in der rue Jean l’Aveugle auf dem Limpertsberg, die vorsätzlich beschädigt wurde, während das Verfahren zu ihrem nationalen Schutz noch im Gange war. Nachdem sie einen Antrag auf eine Abrissgenehmigung erhalten hatte, hatte sich die Stadt Luxemburg zunächst geweigert, die Gebäude unter Schutz zu stellen und widersetzte sich schließlich auch einer Aufforderung seitens des Kulturministeriums, diese Häuser vor dem Abriss zu schützen.[8]

Eine Art déco-Villa in der Stadt Luxemburg, an der Ecke avenue du Dix Septembre / boulevard Pierre Dupong, die sogenannte Villa Marx, war 2016 unter nationalen Schutz gestellt worden, doch legte der neue Eigentümer, der anstelle dieses historischen Gebäudes einen modernen Wohnblock in erstklassiger Lage (Merl/Belair) errichten wollte, gerichtlichen Einspruch ein und gewann. Trotz öffentlicher Proteste und einer Vielzahl von Medienberichten wird diese wunderschöne Villa bald verschwunden und durch ein gesichtsloses, rein profitorientiertes Gebäude ersetzt sein.

Obschon die aktuelle Gesetzgebung zum Schutz des historischen Bauerbes[9] dem Staat die Möglichkeit gibt, einzugreifen, falls ein Eigentümer seiner Pflicht, ein denkmalgeschütztes Gebäude zu erhalten, nicht nachkommt, zeigen zahlreiche Beispiele, wie Eigentümer straflos denkmalgeschützte Gebäude einfach verfallen lassen – in der (berechtigten) Hoffnung, zu guter Letzt doch noch eine Abrissgenehmigung zu erhalten. So verfällt beispielsweise in Boevange-sur-Attert das Geburtshaus des bekannten französischen Archäologen und Widerstandskämpfer luxemburgischer Herkunft, Joseph Hackin. In Rollingen/Mersch verkommt das Hauptgebäude des sogenannten Hurtenhauses, welches in der Buchreihe D‘Lëtzebuerger Bauerenhaus von Georges Calteux ausführlich beschrieben wird.

Allen Erwartungen zum Trotz, geht der Staat als Eigentümer nicht immer mit gutem Beispiel voran. Dies zeigt sich beispielsweise im Fall des Eisenborner Schlosses, das einst eine religiöse Gemeinschaft beherbergte. Seit es in staatlichem Besitz ist, verfällt das Anwesen. Alle drei oben genannten Gebäude stehen unter nationalem Denkmalschutz!

Infolge des beispiellosen Anstiegs der Immobilienpreise und der starken Nachfrage nach Bauland hat sich die Zerstörung bestehender Bausubstanz im Laufe des vergangenen Jahrzehnts stark beschleunigt.[10] Bürgerinitiativen, die in diesem Bereich tätig sind gehen davon aus, dass landesweit jedes Jahr ungefähr 100 historisch wertvolle Gebäude zerstört und weitere 50 dem Verfall preisgegeben werden.[11]

Die gängige Praxis, nur Teile eines Gebäudes zu schützen und zu erhalten (wie z.B. das Hauptgebäude eines Bauernhofes oder die Fassade), steht nicht im Einklang mit internationalen denkmalpflegerischen Standards, welche ein Gebäude stets in seiner Gesamtheit betrachten und sogar den Erhalt des Gebäudeumfelds nahelegen.[12] Die Scheune eines Bauernhofes mag wohl als architektonisch weniger wertvoll angesehen werden, jedoch lässt sich ohne sie die historische und soziale Bedeutung des gesamten Gebäudes nicht erschließen. 

Der Bedarf an zusätzlichem Wohnraum

Bevölkerungswachstum und der die Knappheit des Wohnraums werden regelmäßig als Argumente angeführt, um den Abriss historischer Gebäude zu rechtfertigen. Im Laufe der letzten Jahrzehnte ist die Bevölkerung Luxemburgs in der Tat stetig gewachsen. Zwischen 2010 und 2017 lag der jährliche, relative Anstieg der Bevölkerung bei 2,3 Prozent.[13] Auf Grundlage verschiedener Wachstumsszenarien hat die Statistikbehörde STATEC den jährlichen Bedarf an zusätzlichen Wohneinheiten auf 5.653 bis 7.526 pro Jahr geschätzt.[14] Gemäß einer Bestandsaufnahme der Staatssparkasse (BCEE) wurden allerdings, seit 2010, nur 2.891 Wohneinheiten pro Jahr fertiggestellt.[15]

Doch kann das Bevölkerungswachstum allein nicht den Bedarf an zusätzlichem Wohnraum erklären. Weitere Gründe sind nämlich sich verändernde Lebensgewohnheiten und die steigende Zahl von Ein- und Zweipersonenhaushalten. Außerdem gehört der Wohnraum in Luxemburg mit einer durchschnittlichen Fläche von 144 Quadratmetern pro Wohneinheit zu den größten Europas, wo der Durchschnitt liegt bei 105 Quadratmetern liegt.[16]

Luxemburg erlebt zur Zeit einen spektakulären Bauboom, der alles Vorherige in den Schatten stellt. Dieser betrifft allerdings nicht nur den Wohnungsbau[17]: Nach Abschluss mehrerer großer Bauvorhaben weist Luxemburg heute 1,2 Millionen Quadratmeter Einkaufsfläche auf. Mit 169 Quadratmetern pro Kopf liegt Luxemburg auch damit an der Spitze Europas.[18] Im Jahr 2016 waren nur knapp zwei Drittel der bebauten Flächen für Wohnungen vorgesehen, der Rest entfiel auf Gewerbe oder öffentliche Einrichtungen.[19]

Eine weitere, nicht zu unterschätzende Erklärung für den Mangel an bezahlbarem Wohnraum und den rasanten Preisanstieg ist die Tatsache, dass Luxemburg im Rahmen seiner Steuervorteile und der vorhandenen Finanzdienstleistungen weltweit Superreiche umwirbt[20], sich hier niederzulassen. Daneben drängen immer mehr sogenannte institutionelle Investoren nach Luxemburg, die sich eine rasche Ertragssteigerung auf dem schnell wachsenden Immobilienmarkt erhoffen.[21]

Eine aktuelle Untersuchung des Observatoire de l’Habitat hat gezeigt, dass der größte Teil des verfügbaren Baulandes sich im Besitz eines kleinen Personenkreises befindet. Dazu zählen reiche ErbInnen und institutionelle Investoren. So besitzt heute ein Prozent der EigentümerInnen rund ein Viertel aller Grundstücke und Immobilien.[22]

Oft wird argumentiert, dass die größere Baudichte, die durch die Neubebauung vorher bereits bebauter Flächen entsteht, den Wohnungsmangel eindämmen könne. Zumindest kurzfristig trägt dieser Ansatz jedoch zur Verschärfung des Problems bei: Der Anteil an Gebäuden, die leer stehen und auf ihren Abriss warten, ist enorm.[23] Schätzungen zufolge stehen landesweit 15.000 Gebäude leer, davon allein 3.900 auf dem Gebiet der Stadt Luxemburg.[24]

Obwohl Abriss und Wiederaufbau, in ihrer Verbindung, letztendlich zu einer erheblichen Erhöhung des verfügbaren Wohnraums führen, welches im Wesentlichen auf eine Verdichtung des Wohnungsbaus zurückzuführen ist, wurde gleichzeitig auch Wohnraum zerstört. Dieser Verlust an Wohnraum entspricht einem Drittel der neu geschaffenen Wohnungen.[25]

Zusammengenommen haben Leerstand und Abriss einen erheblichen, negativen Einfluss auf das Vorhandensein von verfügbarem und erschwinglichen Wohnraum. Durch die Erhöhung der Baudichte mittels Abriss und Neubau entsteht zwar mehr Wohnraum, doch da die Zahl der auf ihren Abriss wartenden Wohnungen ca. ein Drittel der neu zu schaffenden ausmacht, hat der Leerstand von bestehender und oftmals wertvoller Bausubstanz vermutlich einen nicht zu unterschätzenden, negativen Einfluss auf die Verfügbarkeit von bezahlbarem Wohnraum.

Der Mangel an Wohnraum ist ein vielschichtiges Problem, das sich nicht durch die Zerstörung alter Häuser beheben lässt. Anders als vielfach angenommen, bietet die gängige Praxis, Abrissgenehmigungen schnell zu erteilen, keine Lösung, sondern ist Nährboden für die zunehmende Spekulation im Immobiliensektor. Alte Häuser werden fast ausnahmslos durch Mehrfamilienhäuser ersetzt, wobei der Preis einer dieser neuerrichteten Wohnungen oft dem eines Einfamilienhauses in der gleichen Gemeinde entspricht. Dies führt wiederum zu einem Preisanstieg bei alten Einfamilienäusern, die für den/die DurchschnittsverdienerInnen unerschwinglich werden[26] und daher in die Hände von Investoren gelangen, die sie abreißen oder verfallen lassen.

Umweltaspekte

Im Gegensatz zu einer weit verbreiteten Ansicht können Umweltaspekte nicht als Rechtfertigung für den Abriss alter Gebäude herangezogen werden. Ganz im Gegenteil: Diese wurden meist so errichtet, dass sie den örtlichen, klimatischen Bedingungen Rechnung trugen. Obwohl sie nicht den Kriterien des Niedrigenergiekonsums genügen können, haben alte Bauern- und auch Stadthäuser in der Regel dicke Mauern, die im Winter vor Kälte und im Sommer vor Hitze schützen.

Der deutsche Architekt Hans-Joachim Ewert hat belegt, dass unter Berücksichtigung des Energieverbrauchs bei Bau und Unterhalt die Wärmesanierung einem Abriss und anschließenden Neubau, sogar im Falle des Baus eines Passivhauses, stets vorzuziehen ist.[27]

In der Tat entfällt der größte ökologische Impakt eines Gebäudes stets auf die Phase seiner Errichtung. Alte Gebäude bergen einen hohen Anteil sogenannter grauer Energie. Graue Energie ist die Summe aller Energien, die für Herstellung, Transport, Lagerung und Wiederverwertung aufgewendet wird.[28] Eine Untersuchung der österreichischen Fachhochschule Burgenland belegte, dass die Energiemenge, die für den Bau eines Passivhauses aufgebracht werden muss, die Menge an Heizenergie bei Weitem übersteigt. Im schlimmsten Fall könnte die graue Energie, die in der Errichtung eines Passivhauses steckt, den jährlichen Energieverbrauch zum Abdecken seines Heizbedarfs um das Hundertfache übersteigen. Dabei liegt die geschätzte Lebensdauer eines Neubaus deutlich unter hundert Jahren.[29]

Während alte Häuser meist mit natürlichen Materialien aus der Umgegend gebaut wurden, werden Neubauten oft mit komplexen Materialien errichtet, deren Entsorgung und/oder anschließende Wiederverwertung noch vielfach ungeklärte Probleme bereitet. So wurde Styropor oder Polystyrol, das billigste und meist verwendete Dämmmaterial, etwa in Deutschland zunächst als gefährlicher Baumüll eingestuft, da es das Brandschutzmaterial HBCD (Hexabromcyclodecan) enthält. Da es jedoch nicht genügend Verbrennungsanlagen gibt, in denen dieses Material entsorgt werden kann, wurde diese Einstufung späterhin wieder aufgehoben.[30]

Auch die Herstellung von Beton, eines der gängigsten Baumaterialien, ist außerordentlich energieaufwendig. Laut Chatham House ist die Herstellung von Beton für etwa 8 Prozent des weltweiten CO2-Ausstosses verantwortlich, etwas weniger als die Landwirtschaft (12 Prozent), aber deutlich mehr als die Luftfahrt (2,5 Prozent).[31]

Wegen ihres hohen Verbrauchs an grauer Energie sollte der Bau von Gebäuden, die nicht mit natürlichen und nachhaltig erwirtschafteten Materialien errichtet werden, nicht fortgesetzt werden. Die französische NGO NégaWatt fordert, die Energieeffizienz der bestehenden Gebäude zu verbesseren, statt den Kreislauf von Abriss und anschliessendem Neubau weiter voranzutreiben.[32]

Begründung des öffentlichen Interesses

Foto: Karin Waringo

2020 stellte der luxemburgische Staat 23.038.865 € zur Förderung des Tourismus bereit, was 0,11 Prozent des Gesamtstaatshaushaltes ausmacht.[33] Zusammen mit der Schönheit seiner Landschaften hat das kulturelle und architektonische Erbe Luxemburgs ein großes Anziehungspotenzial für TouristInnen.[34]

Allerdings lässt sich das kulturelle Erbe Luxemburgs nicht nur auf die UNESCO-geschützte Festung und Altstadt in der Hauptstadt und die Echternacher Sprangprozessioun begrenzen. Es umfasst auch Luxemburgs industrielles Erbe, seine Kirchen und Brücken. Und dazu gehören auch die Wohnhäuser, ob sie nun bescheiden oder herrschaftlich, ländlich oder städtisch sind. Gerade in ihrer Unterschiedlichkeit sind sie Zeugen der wechselvollen Geschichte des Landes und ein bleibendes Zeugnis für das handwerkliche Können ihrer Erbauer.

Das kulturelle Erbe ist auch ein Teil der Identität des Landes. Eine Identität kann viele Facetten haben, die, zusammengenommen, ein Gefühl der Zugehörigkeit ergeben. Luxemburgs architektonisches Erbe bietet ein Spiegelbild unterschiedlicher Stile und Epochen, sozialer und Geschmacksunterschiede, vielfältiger Lagen und Nutzungen sowie diverser künstlerischer Fertigkeiten. Zwischen dem Haus eines einfachen Landarbeiters im Ösling und der Villa eines Industriellen im Minette befinden sich eine Vielfalt an Vorstellungen und Überzeugungen, Verwendungen, Anpassungen an die Umgebung und schließlich auch gesellschaftlichen Verhaltensregeln. Die gesamte kulturelle Dynamik des Landes ist in Stein gemeißelt.

Die sogenannte Charta von Venedig, eines der bedeutendsten Dokumente auf dem Gebiet des Denkmalschutzes, bezeichnet historische Denkmäler als lebende Zeugen der Vergangenheit. Mit ihrem Verschwinden gehen weite Teile von Luxemburgs Geschichte und Kultur unwiederbringlich verloren.

Quellen:

[1] Rohstoff Bauabfall, Journal, 16.03.17, verfügbar unter: https://www.journal.lu/top-navigation/article/rohstoff-bauabfall/

[2] Am 14. Mai 2020, standen 13 588 Gebäude unter komunalem Schutz. Diese Zahlen gelten für 51 Gemeinden, die ihren kommunalen Entwicklungsplan (PAG) erneuert haben. Über die anderen 51 Gemeinden liegen keine Informationen vor. (Service des Sites et Monuments Nationaux (SSMN): Patrimoine à protéger, 14.05.20)

[3] Die Bestandsaufnahme der nationalen Denkmalschutzbehörde zeigt, dass jeweils ein Viertel aller Vorschläge zur Unterschutzstellung von den Gemeinden abgelehnt wurde. (ibid.) Ausserdem gilt der kommunale Schutz oft nur für das Hauptgebäude, z.B., das Wohnhaus eines Bauernhofs, aber nicht für die Stallungen, oder der Schutz bezieht sich nur auf die äusseren Umrisse eines Gebäudes, den so genannten “gabarit”.

[4] Laut RTL gilt dies für 28 000 Gebäude, die als schützenswert betrachtet wurden (Ofgerappt heescht fort fir ëmmer, RTL, 8.03.10, verfügbar unter: https://www.rtl.lu/news/national/a/1146587.html?fbclid=IwAR1KXp0gDIFIZCmHzfUFZkIWSJ2Tee-ihr0vOlIYVzlRSxFbodDp9K-HEdQ).

[5] Bröckelnde Identität, in : Revue, N°35/2016, 31.08.2016, verfügbar unter: http://www.revue.lu/brockelnde-identitat/

[6] Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (2014): Die besonders erhaltenswerte Bausubstanz in der integrierten Stadtentwicklung, Berlin, August 2014, verfügbar unter: https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/publikationen/themen/bauen/wohnen/denkmalschutz.pdf?__blob=publicationFile&v=2)

[7] City of Amsterdam : Policy : Listed Monuments (ohne Datum), verfügbar unter : https://www.amsterdam.nl/en/policy/policy-culture-arts/listed-monuments/

[8] Maisons du Limpertsberg : la bataille se poursuit, Le Quotidien, 4.06.19, verfügbar unter: https://www.lequotidien.lu/luxembourg/maisons-du-limpertsberg-la-bataille-se-poursuit/; Rue Jean l’Aveugle: Nein zum Denkmalschutz, Luxemburger Wort, 2.07.19, verfügbar unter: https://www.wort.lu/de/lokales/rue-jean-l-aveugle-nein-zum-denkmalschutz-5d1a5b25da2cc1784e34711e

[9] Texte coordonné de la loi modifiée du 18 juillet 1983 concernant la conservation et la protection des sites et monuments nationaux, article 10 – 13, verfügbar unter : Texte coordonné de la loi modifiée du 18 juillet 1983 concernant la conservation et la protection des sites

[10] Dies geht aus einer Studie des Observatoire de l’Habitat hervor, die nachweist, dass die bebaute Fläche in Wohngebieten, die die Zerstörung eines vorhandenen Gebäudes beinhaltete, durschschnittlich um mehr als ein Viertel zugenommen hat (von 21 auf 29 ha im Jahr). (Observatoire de l’Habitat: La construction de logements, entre consommation foncière et reconstruction de terrains. Etude sur le Grand-Duché de Luxembourg entre 2010 et 2016, Dossier thématique, February 2019, S. 19) Für den gesamten Zeitraum (2010-2016), wurden 27 der neuen Gebäude auf Flächen errichtet, die zuvor bereits bebaut waren. (ibid., S. 20. Dies ist besonders in der Stadt Luxemburg und anderen regionalen Zentren der Fall. (ibid., S. 22)

[11] Kein Platz für Luxemburgs Bauerbe, Revue, (ohne Quellenangabe), verfügbar unter: http://www.revue.lu/kein-platz-furs-bauerbe/

[12] Article 5 The conservation of monuments is always facilitated by making use of them for some socially useful purpose. Such use is therefore desirable but it must not change the lay-out or decoration of the building. It is within these limits only that modifications demanded by a change of function should be envisaged and may be permitted.

Article 6 The conservation of a monument implies preserving a setting which is not out of scale. Wherever the traditional setting exists, it must be kept. No new construction, demolition or modification which would alter the relations of mass and colour must be allowed.

ICOMOS (International Council on Monuments and Sites): International Charter for the conservation and restoration of monuments and sites (The Venice Charter 1964), IInd International Congress of Architects and Technicians of Historic Monuments, Venice, 1964, adopted by ICOMOS in 1965 (our Italics), verfügbar unter : https://www.icomos.org/charters/venice_e.pdf

[13] Decoville, Antoine/Feltgen, Valérie : Diagnostic du développement territorial, Juni 2018, verfügbar unter: https://amenagement-territoire.public.lu/dam-assets/fr/strategies_territoriales/monitoring_ivl/2018-Diagnostic-territorial.pdf

[14] STATEC : Projections de long-terme du STATEC, in : STATNEWS Nr. 14, 24.04.19, verfügbar unter : https://statistiques.public.lu/fr/actualites/population/population/2019/04/20190424/20190402.pdf

[15] BCEE : Der luxemburgische Immobilienmarkt: die aktuellen Marktpreise (Teil II), 21.10.19, verfügbar unter: https://www.bcee.lu/de/blog/expertenrunde/der-luxemburgische-immobilienmarkt-die-aktuellen-marktpreise-teil-ii/

[16] PWC : Luxembourg Real Estate 2020: Building blocks for success, (ohne Datum) verfügbar unter : http://www.corporatenews.lu/en/archives-shortcut/archives/article/2015/04/the-luxembourg-real-estate-landscape-to-thrive-by-2020-according-to-pwc

[17] Luxembourg, champion des surfaces commerciales, RTL, 13.01.20, verfügbar unter : https://5minutes.rtl.lu/actu/luxembourg/a/1454184.html

[18] Ibid.

[19] Les logements occupent moins de 7% du territoire, RTL, 26.10.17, verfügbar unter : https://5minutes.rtl.lu/laune/actu/a/1089721.html

[20] Luxembourg compte 403 personnes « ultra-riches », RTL, 9.03.20, verfügbar unter : https://5minutes.rtl.lu/actu/luxembourg/a/1480417.html. Laut PWC, verfügen 22 Prozent aller luxemburgischen Haushalte über mehr als eine Million  € (PWC, op.cit.).

[21] PWC, Luxembourg Real Estate 2020: Building blocks for success, … . Siehe auch: Chambre des salariés: Note « LOGEMENT », Februar 2020, verfügbar unter : https://www.csl.lu/bibliotheque/publications/1972da7b1b.pdf

[22] Observatoire de l’Habitat : Le degré de concentration de la détention du potentiel foncier destiné à l’habitat en 2016, in : La Note de l’Observatoire de l’Habitat Nr. 23, verfügbar unter : https://statistiques.public.lu/fr/publications/autresacteurs/series-ceps/noteobservatoirehabitat/2019/23-2019/index.html

[23] Die Untersuchung des Observatoire de l’Habitat zeigt, dass die Dichte der wiederbebauten Flächen erheblich grosser ist. (Observatoire de l’Habitat: La construction de logements… , S. 26)

[24] Les logements vides détestent les taxes, Luxemburger Wort, 15.10.19, verfügbar unter : https://www.wort.lu/fr/luxembourg/les-logements-vides-detestent-les-taxes-5da49d44da2cc1784e34d9b4

[25] Observatoire de l’Habitat: La construction de logements …, S. 27

[26] Laut, Jean-Paul Scheuren, Vorsitzender der Chambre Immobilière, sind die Preise für Altbau in Luxemburg aussergewöhnlich hoch. Zitat: „Wir sind das einzige Land in Europa, wo die Preise von Altbauwohnungen, also von „Secondhand“, zwischen 82 und 85% vom Neupreis liegen. In Deutschland sind es etwa 50 %.“ (Ein ganz normaler Immobilienmarkt (Interview) in: Forum 330, Juni 2013, verfügbar unter: https://www.forum.lu/article/ein-ganz-normaler-immobilienmarkt/)

[27] BUND (2018) Abreißen oder sanieren?, Ökologisch Bauen & Renovieren 2018, verfügbar unter: https://www.bund-bawue.de/fileadmin/bawue/Dokumente/Themen/Klima_und_Energie/OEkologisch_Bauen_und_Renovieren_2018_Graue_Energie._Abreissen_oder_sanieren.pdf and https://www.bund.net/fileadmin/user_upload_bund/publikationen/bund/bund_oekologisch_bauen_und_renovieren_2018.pdf

[28] Ibid.

[29] Ibid.

[30] Neue Verordnung in Kraft: Styropor kein Sondermüll mehr, in: Bauratgeber (ohne Datum), verfügbar unter: https://www.bauratgeber-deutschland.de/hausbau-ratgeber/ausbau-renovierung/daemmung/daemmstoffe/neue-verordnung-styropor-kein-sondermuell-mehr/

[31] Chatham House: Making Concrete Change: Innovation in Low-carbon Cement and Concrete, Chatham House Report, Juni 2018, verfügbar unter : https://reader.chathamhouse.org/making-concrete-change-innovation-low-carbon-cement-and-concrete. Siehe auch: Climate change: The massive CO2 emitter you may not know about, BBC, 17.12.18, verfügbar unter: https://www.bbc.com/news/science-environment-46455844

[32] Association NégaWatt : Scénario NégaWatt 2017-2050, janvier 2017, Dossier de synthèse, verfügbar unter :

[33] Ministère de l’Economie : De Budget 2020, verfügbar unter : https://budget.public.lu/lb/budget2020/am-detail.html?chpt=depenses&dept=5&sect=47

[34] Luxembourg, patrimoine mondial de l’UNESCO, verfügbar unter : https://www.visitluxembourg.com/fr/que-faire/art-culture/patrimoine-unesco


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