Bilanz von vier Parteien: Dreimal Regen

Zu vier Begegnungen mit fortschrittlichen Parteien am Ende der Legislatur hat es die woxx geschafft. Eindrücke und Vergleiche jenseits des Wahlkampfalltags.

Best of Food. Von oben links im Uhrzeigersinn: Déi Lénk, Piratepartei, LSAP, Déi Gréng. (Fotos: lm)

Fangen wir an mit der Kaffeesatzleserei. Bei keinem der an die Bilanzpressekonferenzen der Fraktionen anschließenden Essen wurde der Kaffee in der Tasse aufgegossen, sodass leider keine zuverlässigen Wahlprognosen erstellt werden konnten. Dafür waren die Zeichen der Wettergött*innen recht eindeutig: scheußlich für Déi Gréng, Déi Lénk und ADR, grau für LSAP und CSV, strahlender Sonnenschein für Piratepartei und DP. Der woxx-Reporter, der sich für vier Termine von eher fortschrittlichen Parteien angemeldet hatte, kam in den Genuss einer einzigen Terrasse, im Innenhof des edlen „Le Plëss“, wo die Piratepartei sich am 17. Juli als gesellschaftsfähig präsentierte. Die drei anderen Essen sollten auch im Freien stattfinden, was insbesondere für Déi Lénk und Déi Gréng buchstäblich ins Wasser fiel. Doch am 25. und 27. Juli fanden sich zwei schlagfertige Kandidat*innen, die dem Orakeln des woxx-Reporters mit dem Hinweis begegneten, dass es endlich regne, sei doch genau das, was das Land benötige. Wahrsagerei, egal ob auf der Grundlage von Wetterphänomenen oder Umfrageergebnissen, ist eben immer eine Frage der Interpretation!

Kein Nachtisch bei Déi Gréng

Neben der Kontaktpflege geht es bei diesen Begegnungen darum, ein Gefühl für Positionierung und Befindlichkeit der Parteien zu bekommen. Die formelle Vorstellung der parlamentarischen Bilanz ist vor allem inhaltlich und programmatisch interessant – mehr dazu in den Nummern 1745 und 1746 sowie im nebenstehenden Kasten. Erst beim Plausch zum Aperitif oder während des Essens erfährt man mehr, wobei das Gesagte im Prinzip nicht zur direkten Verwendung gedacht ist. Dass Déi Gréng auf eine sachliche, schon fast technokratische Argumentation setzen, bestätigte jedenfalls: Vom Aperitif bis zum Risotto bekam der woxx-Reporter nochmals einzelne Punkte vergangener und geplanter Projekte erläutert – zum Teil erhellend und vor allem intensiv, so dass der zeitbedingte Verzicht auf den Nachtisch weniger schwerfiel.

Lockerer war es bei den drei anderen Parteien zugegangen, insbesondere bei Piratepartei und LSAP wurde über Themen wie Institutionen und Verkehr eher philosophiert als argumentiert. Interessant war, dass Vertreter*innen beider Gruppierungen unter anderem über das unklare Statut der Parteien klagten und Verbesserungsvorschläge für die parlamentarische Arbeit entwickelten. Leicht überraschend bei beiden Parteien waren kritische Äußerungen persönlicher Art gegenüber der Fixiertheit aufs Auto. Hierüber scheint es mittlerweile innerhalb der fortschrittlichen Kräfte einen fühlbaren, wenn auch diffusen Konsens zu geben.

Und was gab es zu essen? Details werden nicht verraten, nur so viel: Bei Déi Géng und Piratepartei stand ein – kulinarisch hochwertiges – veganes Einheitsmenü auf dem Programm. Bei ersteren war das zu erwarten, doch zum ursprünglich libertären Anspruch der Pirat*innen passte es schlecht. Es war nicht der einzige Verrat am Gründungsmythos: Auch der Baba enthielt kaum Rum, dafür aber grüne Apfelstückchen. Das passt zu der Haltung während der Covid-Krise und der Impfdiskussion, als die Kapitäne das Schiff aus dem Sog des „Freiheit über alles“-Paradigmas in den sicheren Hafen der Wissenschaft gesteuert hatten. Die Mitglieder, die hierin eher den Hafen der Schulmedizin oder gar der Pharmaindustrie sahen, dürften dabei über die Reling gegangen sein. Freiheitlicher ging es beim Essen der traditionell uneinigen LSAP zu: Man durfte zwischen Fleisch und Vegetarischem wählen. Déi Lénk schließlich hatten im Independent ein Buffet bestellt, bei dem von Salat bis Chili con Carne der „gesellschaftlichen Vielfalt“ Rechnung getragen wurde. Natürlich war bei allen Parteien – und wohl an vielen Tischen – der Verzehr von und Verzicht auf Fleisch ein Gesprächsthema. Wie sich die Zeiten ändern … Wo vor zehn Jahren noch arrogante Bemerkungen über die „Natürlichkeit“ des Fleischkonsums mit dem Unverständnis gegenüber dem „Verzehr von Tierkadavern“ kollidiert wären, herrschte bei diesem Thema nun eine selbstverständliche, allseitige Toleranz und ein zum Teil klimapolitisch bedingter Grundkonsens darüber, man solle weniger Fleisch essen.

Von Menschen- und Fluglärm

Einen Grundkonsens gab es ebenfalls darüber, dass man, zumindest während des offiziellen Teils der Begegnungen, nicht auf andere Parteien einschlägt – mit Ausnahme der CSV (und der DP im Falle von Déi Lénk). Möglich, dass es hierüber eine Absprache zwischen den Koalitionspartnerinnen gab. Vor allem aber dürfte die Person Luc Frieden und deren erste Positionierungen die CSV zu einer dankbaren Zielscheibe für fortschrittliche Kräfte gemacht haben. Vielfältig war dagegen die Redeordnung: Der Fraktionsvorsitzende Yves Cruchten allein für die LSAP, ein Duo von Abgeordneten und Fraktions(vize)vorsitzenden bei Piratepartei und Déi Gréng sowie ein Quartett von Rotations-Abgeordneten bei Déi Lénk. Diese paritätische Vielstimmigkeit ändert allerdings nichts daran, dass Nathalie Oberweis gar nicht mehr antritt, während Myriam Cecchetti nicht unter den vier Spitzenkandidat*innen im Süden ist – die beiden Herren dagegen haben beste Chancen auf eine Wiederwahl (sofern kein Sitz verlorengeht).

Gesellschaftliche Vielfalt und mangelnde Repräsentanz der Chamber waren denn auch gerade bei der Bilanz von Déi Lénk Thema. Als wären Wetter und Wahl der Location eine Fügung gewesen, wurden diese Aussagen von einer intensiven Lärmkulisse untermalt. Während Oberweis sich „die ganze Gesellschaft im kulturellen, linguistischen und soziologischen Sinn“ in der Chamber vertreten wünschte, drang eine beachtliche Vielfalt durch die Öffnung in der Decke in den ersten Stock des Independent, wo die Begegnung stattfand: Kindergeschrei, Zischen der Kaffeemaschine, laute Gespräche sowie Klirren von Tassen und Besteck. Und auch wenn das Ganze eigentlich auf der Terrasse stattfinden sollte, so war doch die Wahl des alternativen, nicht besonders luxuriös ausgestatteten Lokals ein klares Bekenntnis zu Volksnähe.

Eine Volksnähe, derer sich die LSAP sicher ist – und also bedenkenlos am 24. Juli in das schicke Six-Seven-Rooftop-Lokal eingeladen hatte. Der Charme konnte allerdings nicht mit „Le Plëss“ und „L’hêtre beim Musée“ (Déi Gréng) mithalten. Vor der ganzen Breite des Panoramafensters zur Oberstadt stand eine riesige LSAP-Tafel – wohl um den Kran im Vordergrund zu verdecken. Ohne den Regen hätte man auf der Terrasse auch noch den Baulärm gehört – was die Journalist*innen vielleicht zu Fragen über die Wachstumsproblematik verleitet hätte … Akustisch war auch der Saal im Museum für Déi Gréng keine ideale Lösung: Überfüllt mit Presse, Personal und den traditionell mit eingeladenen Minister*innen war der Hall des Stimmengewirrs während der Begrüßung und des Aperitifs recht unangenehm. Und schließlich die Piratepartei: Im Freien, mit ordentlicher Akustik und einer bezaubernden Kulisse – aber leider mit Fluglärm geplagt, der bei den Begegnungen drinnen ausblieb. Dass den Grünen die schwierige Frage nach ihrer Haltung zum Flugverkehr erspart blieb, verdanken sie also wohl auch den Wettergött*innen.


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