Von betroffenen Müttern und alternativen Realitäten

Die ADR führt ihre Desinformationskampagne rund um den Gesetzentwurf zum „Accès aux origines“ munter fort. Ihre Vorgehensweise ist typisch für rechtspopulistische Parteien.

Als Pierrette Koehler sich vor zehn Tagen im ADRenalin-Podcast als „betroffene Mutter“ bezeichnete, hatte die Absurdität, mit der die rechte Partei zurzeit gegen den Gesetzentwurf 7674 wettert, ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht. In dem Text, von dem sich das ADR-Fraen-Mitglied Koehler diskriminiert fühlt, geht es nämlich, wie wir hier bereits erklärten, gar nicht um Menschen wie sie – also solche, die ein Kind austragen und es dann großziehen.

Anfangs hatte alles noch wie ein großes Missverständnis gewirkt: Der Gebrauch der Formulation „autre parent de naissance“ im Projet de Loi 7674 wurde von der ADR als Abschaffung des Begriffs „Vater“ interpretiert. Da sich der Text jedoch keineswegs auf die Personen bezieht, die vom Kind potenziell „Mutter“ oder „Vater“ genannt werden, konnte man  davon ausgehen, dass das Thema schnell vom Tisch sei. Zum Teil jedenfalls: Die negative Haltung gegenüber genderneutralen Formulierungen einerseits und Regenbogenfamilien andererseits ist aus der ADR-Ideologie kaum wegzudenken.

Dass die ADR auch jetzt, acht Monate nach Erscheinen des Gesetzesentwurfs, noch an der anfänglichen Interpretation festhält, wird schon allein am Titel besagter Podcastfolge deutlich: „D’Regierung wend sech géint d’Mamm“. Dass sie jetzt statt „Vater“ verstärkt „Mutter“ zum Thema macht, liegt an einer Änderung, die vor wenigen Wochen am Gesetzentwurf vorgenommen wurde: Da, wo vorher „mère de naissance“ stand, ist nun die Formulierung „parent qui a accouché l’enfant“ vorzufinden.

Aufmerksamkeitstechnisch macht der Podcasttitel durchaus Sinn: Man muss nicht rechtskonservativ sein, um die sozialen Rollen „Mutter“ und „Vater“ wichtig zu finden. Wenig überraschend wurden die von der ADR ins Leben gerufenen Hashtags #EchSiPapp und #EchSiMamm von vielen Eltern benutzt, egal ob sie der rechten Partei ideologisch nahe stehen oder nicht.

Besonders perfide an der Desinformationskampagne der ADR: Mit einer augenscheinlich wohlmeinenden Sorge macht sie Stimmung gegen die LGBTIQA-Gemeinschaft. Indem sie an Kind-Eltern-Liebe appelliert, regt sie nicht nur Gleichgesinnte zum Benutzen der Hashtags an: Die meisten dürften wohl solche sein, die sich der LGBTIQA-feindlichen Botschaft gar nicht bewusst sind. Die Argumentation gegen „autre parent de naissance“ und „parent qui a accouché l’enfant“ besteht nämlich zum größten Teil daraus, die traditionelle Vater-Mutter-Kind-Familie zu verteidigen und zu behaupten, dass nur Frauen schwanger werden können. Man wird wohl kaum ADRler*innen sagen hören, dass sie die gesetzliche Diskriminierung von trans und queeren Menschen befürworten. Denkt man die Weltsicht, die sie propagieren, jedoch zu Ende, ist genau dies der Fall.

Das wird im Podcast besonders deutlich, wenn ADRenalin-Präsident Michel Lemaire sagt, der Gesetzentwurf 7674 würde nicht die „Mehrheit der Bevölkerung“ abdecken. Um zu dieser Schlussfolgerung zu kommen, muss Lemaire der Logik folgen, nach welcher mehr Rechte für die LGBTIQA-Bevölkerung nur zum Nachteil für die Mehrheitsgesellschaft sein könne. Statt genderneutrale Sprache als transinklusiv zu verstehen, ist sie in den Augen der ADR ein Mittel, um cis Menschen auszuschließen. In anderen Worten: LGBTIQA-Menschen werden zu einer Bedrohung für die Mehrheitsgesellschaft erklärt.

Die ADR hat diese Strategie keineswegs erfunden – sie ist vielmehr typisch für Rechtspopulismus: Ein äußerst komplexer Sachgehalt wird zu einem simplen Gut-Böse-Modell verkürzt; es wird Angst geschürt vor einer Lebenswirklichkeit, vor der einzig rechte Parteien schützen können; es wird an eine vorgeblich jahrhundertealte Tradition erinnert, die es zu verteidigen gilt. Letzteres passiert auch im Podcast: Gleich mehrmals wird sich darüber empört, dass mit dem Gesetzentwurf jahrhundertealte Begrifflichkeiten abgeschafft würden.

Die „betroffene Mutter“ Pierrette Koehler hat sich indes von ihrer Tochter versichern lassen, dass diese sie nie als „parent qui m’a accouché“ bezeichnen würde. In der alternativen Realität, die sich die ADR erschaffen hat, scheint die Welt vorerst im Lot.

Auf Nachfragen der woxx haben ADR und ADRenalin bisher nicht reagiert.


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