Das EU-Parlament hat gestern den ersten Beschluss zu den Rechten intergeschlechtlicher Menschen verabschiedet.
Das EU-Parlament spricht sich damit entschieden gegen die Medikalisierung und Pathologisierung intergeschlechtlicher Menschen aus. Seit den 1950er-Jahren ist es üblich sowohl innere als auch äußere Geschlechtsmerkmale intersexueller Kinder operativ-kosmetisch zu verändern. Dazu werden zum Beispiel die Klitoris verkürzt, die Hoden entfernt, die Harnöffnung operativ zur Penisspitze hin verlegt oder eine Neo-Vagina angelegt. Ziel ist es, die Geschlechtsmerkmale intergeschlechtlicher Menschen den Standardnormen „männlich“ und „weiblich“ anzugleichen. Praktiken, die in 21 EU-Mitgliedsstaaten ausgeführt werden. In Portugal und Malta sind sie verboten, im Koalitionsabkommen der luxemburgischen Regierung ist ein Verbot angekündigt.
Gegen die Genitalverstümmelung
Die Verurteilung der operativen Eingriffe wird im Entschließungsantrag, der vom Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres eingereicht wurde, begründet: „In der Erwägung, dass es eine hohe Prävalenz von Operationen und medizinischen Behandlungen bei intersexuellen Kindern gibt, obwohl diese Behandlungen in den meisten Fällen medizinisch nicht angezeigt sind; in der Erwägung, dass kosmetische Operationen und Operationen mit dringender Indikation als Paket vorgeschlagen werden können, wodurch verhindert wird, dass Eltern und intersexuelle Personen umfassende Informationen über die Auswirkungen der einzelnen Operationen erhalten.“ Ein weiteres Argument für das Verbot entsprechender Behandlungen und Operationen: „In der Erwägung, dass Operationen und medizinische Behandlungen an intersexuellen Kindern ohne ihre vorherige, persönliche, vollständige und informierte Zustimmung durchgeführt werden; in der Erwägung, dass Intersex-Genitalverstümmelungen lebenslange Folgen wie psychische Traumata und körperliche Beeinträchtigungen verursachen können.“
Flexible Geburtenregistrierung
Darüber hinaus macht sich das EU-Parlament durch die Verabschiedung des Antrags für flexible Verfahren zur Geburtenregistrierung stark und lobt „die in einigen Mitgliedsstaaten angenommenen Gesetze, die eine selbstbestimmte rechtliche Anerkennung des Geschlechts ermöglichen.“ Es „fordert die übrigen Mitgliedstaaten auf, ähnliche Rechtsvorschriften zu erlassen, einschließlich flexibler Verfahren zur Änderung des Geschlechtseintrags – solange das Geschlecht noch erfasst wird – sowie von Namen auf Geburtsurkunden und Ausweispapieren (einschließlich der Möglichkeit geschlechtsneutraler Namen).“
Gesellschaftliche Realität und Forderungen an Mitgliedsstaaten
Gleichzeitig geht aus dem Schreiben hervor, dass intergeschlechtliche Personen in der Europäischen Union in mehrfacher Hinsicht Gewalt und Diskriminierung ausgesetzt sind. Diese Menschenrechtsverletzungen blieben der Öffentlichkeit und den politischen Entscheidungsträger*innen weitgehend verborgen, steht im Entschließungsantrag. Intergeschlechtliche Erwachsene und Kinder würden einer Minderheit und marginalisierten Gruppe angehören, die sozial ausgegrenzt würde und aufgrund ihrer Identität ständig Gefahr laufe, diskriminiert und körperlich angegriffen zu werden. Ein Phänomen, das durch Sensibilisierung sowie die allgemeine und wissenschaftliche Wahrnehmung von Intergeschlechtlichkeit verhindert werden muss.
Das EU-Parlament fordert von der Europäischen Kommission deshalb unter anderem, dass im Kontext der Europäischen Referenznetzwerke (ERN) keine Forschungsprojekte oder medizinischen Projekte, „die zur weiteren Verletzung der Menschenrechte intersexueller Personen führen“, mit Unionsmitteln unterstützt werden dürfen. Sprich: Das EU-Parlament ruft die Mitgliedsstaaten dazu auf, die Forschung im Bereich der Intergeschlechtlichkeit von einer soziologischen und menschenrechtlichen Perspektive aus zu betreiben – und in dem Rahmen die nötigen Mittel zur Verfügung zu stellen. Es soll eine ganzheitliche und rechtsbasierte Herangehensweise an die Rechte intergeschlechtlicher Menschen erfolgen. Deswegen plädiert das EU-Parlament auch für die bessere Koordinierung der Tätigkeiten der Generaldirektionen Justiz und Verbraucher, Bildung, Jugend, Sport und Kultur sowie Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, „um kohärente Maßnahmen und Programme zur Unterstützung von intersexuellen Personen sicherzustellen, einschließlich der Schulung von Staatsbeamten und medizinischen Personals.“
Claude Moraes, Mitglied der LGBTQI Intergroup des EU-Parlaments, nennt die Verabschiedung des Beschlusses in der Pressemitteilung der Gruppe „a major first step towards reconizing human rights violations against intersex people.“ Das luxemburgische Centre d‘information gay et lesbien (CIGALE) reagierte auf seiner Facebook-Seite erfreut über den verabschiedeten Beschluss: „The 14th of February will not be reminded as the „heteronormativity reinforcement day“ (aka valentine’s day), but as the day on which the European Parliament adopted its first-ever resolution dedicated to intersex human rights.“
Die woxx berichtete letztes Jahr mehrfach über die Rechte intergeschlechtlicher Menschen und Aufklärungskampagnen in Luxemburg.
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