ULRICH BRAND: Grüner Kapitalismus, nein danke!

Ökologisierung hier und jetzt statt internationaler Kompromisssuche, Abkehr von Markt und Profit statt „Green Economy“. Ulrich Brands Forderung nach einem radikalen Umbau geht weiter als die vor-herrschenden grünen und linken Diskurse.

„Die Krise treibt die Eliten vor sich her“, stellt Ulrich Brand leicht amüsiert fest. Das reicht aber seiner Meinung nach nicht für einen „Green New Deal“, der ähnlich tiefgreifende Veränderungen wie seinerzeit unter Roosevelt ermöglichen würde.

woxx: Sie sind ein Kritiker des „Green New Deal“. Was ist falsch an dem Versuch, parallel die ökologische und die Finanz-und Wirtschaftskrise lösen zu wollen?

Ulrich Brand: Der Ausgangspunkt, die multiplen Facetten der Krise einzubeziehen, ist gut und richtig. Das überschüssige Finanzkapital – so der Vorschlag – soll in diejenigen Branchen umgeleitet werden, in denen eine grüne Erneuerung der Ressourcenbasis und der Energieerzeugung möglich ist. Aber diese Herangehensweise hat Grenzen, weil sie auf einem Steuerungsoptimismus basiert. Man tut so, als genüge es, dass der Staat die richtigen Rahmenbedingungen setzt, damit wirklich in die grünen Bereiche investiert wird. Wir wissen aber, dass das in der Vergangenheit in der Regel nicht der Fall war. Sogar der von der rot-grünen Regierung seinerzeit beschlossene Atomausstieg wäre beinahe unter dem Druck der Wirtschaftsinteressen von der jetzigen Mitte-Rechts-Koalition wieder rückgängig gemacht worden. Die Unternehmen befinden sich in einem brutalen Wettbewerb und handeln nicht ökologisch, sondern mit dem Ziel, Kapital zu verwerten und Gewinne zu machen.

Bei Roosevelts New Deal in den 1930ern gab es dieses Problem doch auch, trotzdem hat das Modell funktioniert.

Ja, aber damals war die Konstellation auch eine andere. Die Kräfteverhältnisse in der Gesellschaft hatten sich in den USA nach links verschoben. Die Anhänger des Green New Deal übersehen, dass die Kräfteverhältnisse nicht neutral sind, sondern dass neoliberale Kräfte weiterhin am Drücker sitzen. Theoretisch könnte man beim ökologischen Umbau ansetzen, um zu versuchen, die Kräfteverhältnisse zu verschieben, also zum Beispiel die Macht der großen Energiekonzerne zu beschneiden. Derzeit wird aber ausgeblendet, wie diese Verhältnisse tatsächlich beschaffen sind, und dass deshalb mehr erforderlich ist als die richtigen Rahmenbedingungen.

Vor allem bei der Erderwärmung läuft uns aber die Zeit davon … Wie bewerten Sie den Stillstand bei den Verhandlungen über eine neue Klimakonvention?

In der Klimafrage geht es ja eigentlich nicht um die Klimakonventionen, sondern um eine grundlegende Transformation unseres Energiesystems, unseres Produktionssystems und unserer Lebensweise. Ob mit oder ohne Kyoto-Protokoll ? wir müssen 80 Prozent weniger Treibhausgase emittieren. Seit 15 Jahren wird zu Recht kritisiert, dass über diese Form der internationalen Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners ein Mythos erzeugt wird: der Mythos des globalen Umweltmanagements. So als ob man von oben, über Verhandlungskompromisse, wirklich umsteuern könnte. Seit der Rio-Konferenz 1992 sehen wir, worauf das hinausläuft: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass! Wir müssen in unseren Ländern bei der Produktions- und Lebensweise ansetzen, eine Vorreiterrolle einnehmen, statt zu warten, bis auch die USA, China und Indien von der Notwendigkeit solcher Maßnahmen überzeugt sind. Die Suche nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner auf internationaler Ebene verhindert nur, dass lokal gehandelt wird.

Sie wollen ein globales Problem wie den Klimawandel rein lokal lösen?

Keineswegs. Ich halte internationale Kooperation für ganz wichtig. Nur ist es ein Mythos zu meinen, dass Veränderungen vor allem von der internationalen Ebene ausgehen. Wir müssen auch auf lokaler Ebene, in den Kommunen, und auf nationalstaatlicher Ebene die Kräfteverhältnisse so verändern, dass Energieversorgung und öffentliche Dienstleistungen nicht Profitinteressen folgen, sondern nach ökologischen und solidarischen Gesichtspunkten organisiert werden.

Im Juni findet der „Rio plus 20“-Gipfel statt, Gelegenheit für eine kritische Bilanz. Was erwarten Sie von ihm?

Vom Gipfel selbst erwarte ich mir überhaupt nichts. Er dauert nur drei Tage, das reicht gerade mal für ein Schaulaufen der Staatschefs. Man wird die neue Geschichte von der „Green Economy“ rauf- und runterbeten, ohne irgendwelche konkreten Ergebnisse. Was ich mir erhoffe, ist, dass im Vorfeld von „Rio plus 20“ eine grundsätzliche Debatte stattfindet: Was sind angemessene Strategien, um der multiplen Krise entgegenzutreten? Welche Strategien sind vorstellbar oder werden heute verfolgt, die zu einem „Grünen Kapitalismus“ führen könnten, und welche wären die solidarischen, alternativen Strategien?

Welche Rolle spielt in dieser Debatte die altermondialistische Bewegung?

Eine immer wichtigere. In den Jahren nach Seattle 1999 konzentrierte sich die neue Protestbewegung auf einen zentralen Bereich der Globalisierung des Kapitalismus, die Finanzmärkte. Die Ökologiefrage stand damals im Hintergrund. Doch vor allem seit der Klimakonferenz in Kopenhagen ist die Bewegung nicht nur ökonomisch und demokratisch, sondern auch ökologisch ausgerichtet.

Die altermondialistische Bewegung versucht, die Verteilungs- und Eigentumsfragen mit den ökologischen Fragen zu verknüpfen.

Interessanterweise wollen Akteure wie das Climate-Justice-Netzwerk sich auch gar nicht mehr auf die Klimakonvention beziehen, sondern setzen sich dafür ein, die Energiesysteme umzustellen. Altermondialismus steht heute für Themen, wie alternative, solidarische Mobilität oder Ernährungssouveränität.

Ein typischer, aber auch umstrittener Ansatz zur Ökologisierung sind die Ökosteuern. Umweltpolitisch gut, aber sozialpolitisch problematisch.

Ökosteuern sind ein wichtiges Instrument, für dessen Durchsetzung weiterhin gekämpft werden muss. Wir brauchen aber auch eine Verbindung der Steuerdebatte mit einer Armutsdebatte. Ökosteuern haben nicht nur einen Steuerungscharakter – weniger Verbrauch von Resourcen oder Energie -, sondern auch eine Verteilungskomponente: Sie treffen verschiedene Bevölkerungsgruppen unterschiedlich stark. Das zu thematisieren ist wichtig, weil im sozialdemokratischen Lager immer noch die Auffassung vorherrscht, die Öko-Bewegung sei auf die Mittelschicht zugeschnitten und vernachlässige das Verteilungsproblem. Demgegenüber versucht die altermondialistische Bewegung, die Verteilungs- und Eigentumsfragen mit den ökologischen Fragen zu verknüpfen. Geschieht das, so verändert sich die Diskussion über die Ökosteuern: man kann die Verteilungseffekte und die Lenkungseffekte dann zusammen denken.

Bei der Bekämpfung der Finanzkrise sind die Interessengegensätze wohl noch klarer. Dennoch – wie die Initiativen für eine Finanztransaktionssteuer zeigen – scheint die Politik gewillt, gegen Wirtschaftsinteressen vorzugehen.

Ja, das war vor zwei Jahren noch undenkbar, der Diskurs von Attac ist sozusagen Mainstream geworden. Die Krise treibt die Eliten vor sich her. Diese sind mit ihrem Latein am Ende und verteidigen vor allem ihre Interessen. Der Neoliberalismus war nie ein Projekt, das sich gesellschaftlich stabilisieren kann, er war immer nur auf Zerstörung angelegt. Wir dürfen also nicht das Beharrungspotential der neoliberalen Kräfte und ihr Festhalten an ihrer Gestaltungsmacht übersehen. Das ist der Unterschied zum historische New Deal: Roosevelt hat auch dissidente, linke Eliten und Bürokraten um sich versammelt, die ein anderes Gesellschaftsprojekt wollten. Davon ist heute nichts zu sehen. Wo sind heute linke sozialdemokratische, grüne oder andere Parteien, die ein solches Projekt formulieren, die die Macht- und Verteilungsfrage mit einem grundlegenden Projekt sozial-ökonomischer Transformation verbinden?

Sie gehen eher von der Herausbildung eines „grünen Kapitalismus“ aus. Was ist damit gemeint?

In Ländern wie Deutschland, wo es noch starke Industriegruppen gibt, könnte es zu einer partiellen Umorientierung bei Materialien und der Energiebasis kommen. Ich bezeichne das als grünen Kapitalismus, weil diese Veränderungen unter der Kontrolle der Unternehmen stattfinden, mit Unterstützung durch den Staat. Vor allem: Es ist ein weitgehend undemokratischer Prozess, bei dem die Menschen von oben gesagt bekommen, was grüne Mobilität ist oder ein grünes Ernährungssystem und ein grünes Energiesystem. Wenn das Ziel aber eine grundlegende sozial-ökologische Transformation ist, so müssen die Menschen mitmachen.

Wenn wir die Gesell-schaft grundlegend transformieren wollen, dann müssen wir auch unsere imperiale Lebensweise verändern.

Die Belegschaften der Automobilindustrie zum Beispiel sollten mitentscheiden, wie wir aus der Automobilitäts-Industrie herauskommen. Sie dürfen nicht zum Spielball des Managements werden, weil von oben über grüne Investitionen und damit über ihr Leben entschieden wird. Der grüne Kapitalismus würde wohl weiterhin automobil bleiben, wenn auch mit Elektromotoren. Wir wissen aber, dass wir zu einem grundlegenden Umbau kommen müssen, von der Automobilität hin zu einer anderen Mobilität.

Läuft das nicht darauf hinaus, dass man zuerst den Kapitalismus abschaffen müsste, bevor man sich um die Umwelt kümmern kann?

Nein. Kapitalismus steht nicht für ein System, sondern für konkrete gesellschaftliche Produktions- und Lebensverhältnisse, für Machtverhältnisse, die verändert werden müssen. Es geht nicht um das Abschaffen, sondern darum, die kapitalistischen, profitgetriebenen Verhältnisse in möglichst vielen Lebensbereichen zurückzudrängen: Gesundheit, Bildung … Auch die Produktion von Nahrungsmitteln und von Mobilität sollte immer weniger der Profitorientierung unterworfen sein. Das sind langwierige Prozesse und Auseinandersetzungen. Natürlich vereinnahmt die Kapitallogik auch viele Lohnabhängige, vor allem wenn sie ihnen ein hohes Einkommen und einen sicheren Arbeitsplatz verschafft. Allgemeiner betrachtet stellt sich auch die Frage nach dem, was wir als imperialen Lebensstil charakterisieren: Tief in ihren Bedürfnisstrukturen, in ihren alltäglichen Handlungen, halten die Menschen den Zugriff auf billige Rohstoffe, auf nicht nachhaltig produzierte Güter und auf billige Arbeitskraft in anderen Ländern für selbstverständlich und unvermeidlich. Wenn wir die Gesellschaft transformieren wollen, dann müssen wir auch, über Lernprozesse, Anreize und Konflikte, diese imperiale Lebensweise verändern. Dabei geht es sehr wohl um Ökologie, aber nicht ausgehend von CO2-Bilanzen. Der Ansatz ist, zu fragen, wie Mobiltät hergestellt wird, wie Ernährung, wie Wohnen. Das sind Bereiche, die heute kapitalgetrieben sind, und in denen wir demokratische Alternativen entwickeln wollen.

Was bedeutet das für das Wirtschaftswachstum?

Statt abstrakt über Wachstum zu sprechen sollte man sich darauf konzentrieren, gesellschaftliche Bedürfnisse zu befriedigen. Überlegen Sie mal: In Wien zahlt zum Beispiel niemand mehr für die Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel. Das ist wachstumsmindernd. Wenn Lebensmittel zunehmend weniger über den kapitalistischen Markt gehandelt werden, sondern Menschen sich zum Teil wieder selber ernähren – so ist das ebenfalls wachstumsmindernd. Kapitalistisches Wachstum bedeutet ja Warenförmigkeit. Wenn man in bestimmte Bereichen nicht mehr nach Gewinn- und Marktprinzipien produziert, dann wird es da weniger Wachstum geben.

Weniger Wachstum bedeutet aber auch weniger Arbeitsplätze, oder?

Gegen die Arbeitslosigkeit brauchen wir eine radikale Arbeitszeitverkürzung. Eine sozial-ökologische Transformation mit einer partiellen Herausnahme von Bereichen aus dem Marktprozess führt zu weniger Lohnarbeit. Die muss dann solidarisch verteilt werden.

Die Transition-Town-Ansätze, bei denen es um eine radikale Veränderung der Lebensweise geht, stellen eine Kritik am linken keynesianischen Diskurs dar.

Man könnte in Richtung des Vier-in-Einem-Modells von Frigga Haug gehen: vier Stunden Erwerbsarbeit, vier Stunden Reproduktionsarbeit, vier Stunden für Gemeinschafts- oder politische Arbeit und vier Stunden Arbeit für sich selbst, Bildung, Kunst, Muße  ..

Auf der einen Seite gibt es Graswurzel-Bewegungen, wie um die Transition Towns, die sich in diese Richtung orientieren, sich aber bewusst politisch zurückhalten. Andererseits wird parteipolitisch oft eine Win-Win-Lösung angestrebt, bei den Grünen in Form einer Versöhnung mit den Wirtschaftsinteressen, bei den Linken indem man suggeriert, dank Umverteilung werde das Benzin und das Fleisch für alle reichen. Wie kann man diese Lücke überbrücken?

Ob es einen Widerspruch zwischen Umwelt und Wirtschaft gibt, hängt vom Wirtschaftsbegriff ab. Wenn Grüne die neoliberale Logik akzeptieren, dann gelingt die Versöhnung nur, indem weiterhin Naturgüter in Warenform gebracht werden, wie beim Emissionshandel. Wenn aber, viel allgemeiner, Wirtschaft dafür steht, wie sich eine Gesellschaft materiell reproduziert, dann gibt es keinen Gegensatz zur Umwelt, sondern eine Diskussion, wie diese Wirtschaft zu gestalten ist. Die kapitalistische Marktwirtschaft ist dann nur noch ein Teil der Wirtschaft, also der materiellen Produktion und Reproduktion der Gesellschaft, ihrer Lebensmittel. Beim linken Diskurs dagegen wird in der Regel die Art der Produktion gar nicht thematisiert, sondern vor allem die Verteilungsfrage. Der dominierende linke Diskurs ist ein keynesianischer, manchmal verbunden mit großen ökologischen Investitionsprogrammen. Die Transition-Town-Ansätze, bei denen es um eine radikale Veränderung der Lebensweise geht, stellen eine Kritik an diesem Diskurs dar. Es geht darum, diese Positionen zusammenzubringen, nicht nur die alten Programme etwas grün anzumalen.

Am kommenden Montag, 23. Januar ist Ulrich Brand auf Einladung des Institut für Europäische und Internationale Studien in Luxemburg. Um 18h15 hält er im Casino syndical einen Vortrag mit dem Titel „Globalisierung, imperiale Lebensweise und Horizonte eines guten Lebens – zur Kritik der Grünen Ökonomie“.

Zur Person:
Kritik üben an den Möglichkeiten und Methoden internationaler Entscheidungsprozesse, darin ist Ulrich Brand (44) geübt. 1992 erlebte er als Student die Rio-Konferenz mit und nahm danach an mehreren der alternativen Weltsozialforen teil. Er lehrt und forscht am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien. Schwerpunkte seiner Arbeit sind die Globalisierung, die Rolle des Staates und der internationalen Institutionen sowie globale Umweltpolitik und soziale Bewegungen. Er ist Mitglied des wissenschaftlichen Beirats von Attac-Deutschland und der Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität” des Deutschen Bundestags. Am kommenden Montag, 23. Januar ist Ulrich Brand auf Einladung des Institut für Europäische und Internationale Studien in Luxemburg. Um 18h15 hält er im Casino syndical einen Vortrag mit dem Titel „Globalisierung, imperiale Lebensweise und Horizonte eines guten Lebens – zur Kritik der Grünen Ökonomie“.


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