Déi-Gréng-Wahlkongress: Weil wir so gut sind …

Abstimmen über das Wahlprogramm, nachdem man vorher darüber diskutiert hat … oder auch nicht. Beim grünen Kongress standen Einigkeit und Spitzenkandidatin im Vordergrund.

Lange Anfahrt zum Bushalt am Hollericher Friedhof, eine breite Straße überqueren, an der zweiten funktioniert die Ampel nicht, Treppe hoch oder langer Umweg ums Gebäude … Das Forum Geesseknäppchen, Veranstaltungsort des Parteikongresses von Déi Gréng am 1. Juli, war gut gewählt, um die Unzulänglichkeiten der Infrastrukturen für sanfte Mobilität zu illustrieren. Und ja, auch mit dem Fahrrad wäre die Anfahrt kompliziert und gefährlich gewesen. Wer „umweltfreundlich“ und bequem zum Kongress kommen wollte, musste wohl mit dem Elektroauto ins unterirdische Parking fahren.

Grüne Zwickmühle

Sind die Grünen zufrieden mit dem, was sie in zehn Jahren Regierungsbeteiligung erreicht haben? „Wir haben alles gegeben“, versichert Meris Sehovic, „aber die Transition ist eine Jahrhundertaufgabe.“ Der Parteipräsident gibt jedenfalls alles: Die Ärmel seines weißen Hemdes hochgekrempelt, steht er am Eingang des runden Auditoriums, begrüßt die Ankommenden, geht hin und her, hat trotzdem Zeit für Gespräche. Und für unangenehme Fragen, wie die nach der Fortsetzung der Rechtskoalition in Esch: Der Junggrüne, der sich 2013 für fortschrittliche Programmpunkte einsetzte, ist Gemeindeschöffe geworden – und Buhmann linker Kritiker*innen. Für Sehovic ist die Escher Koalition das Ergebnis einer polarisierenden Wahlkampagne, die andere Optionen verunmöglicht habe. Bei der Zusammenarbeit mit CSV und DP vertraut der ehemalige Mitarbeiter von Claude Turmes auf seine Brüsseler Verhandlungserfahrung und seine Sachkenntnis der entscheidenden Dossiers. „Wir haben ein extrem ambitiöses Koalitionsprogramm“, so Sehovic, der das Ressort Transition „mit allem Drum und Dran“ übernehmen wird.

Die Perspektiven für eine grün geprägte Politik in Esch mögen besser sein, als sie scheinen, doch auf nationaler Ebene könnten Déi Gréng nach den Landeswahlen ganz ins Abseits geraten. Zum einen könnte die Fortsetzung der Dreierkoalition, über politische Unstimmigkeiten hinaus, an der Arithmetik scheitern. Zum anderen stünde mit einer erstarkten Piratenpartei eine weitere potenzielle Juniorpartnerin zur Auswahl. Und bei einem Zusammengehen von Grün und Schwarz, mit oder ohne Blau, würden gegen einen Luc Frieden das Verhandlungsgeschick und die Sachkenntnis wohl nicht für mehr als Fassadenbegrünung ausreichen. Einzig eine Trendwende gegenüber den Gemeindewahlen, eine substanzielle Stärkung in Prozenten und Sitzen, könnte die Verhandlungsposition von Déi Gréng stärken. Danach sieht es aber nicht aus: Von rechts wird den „Ökos“ die Schuld an allen Problemen von den Staus bis zu den Gaspreisen gegeben, wohingegen sie, gemessen an den Forderungen der Umweltbewegung, wie eine Partei der faulen Kompromisse aussehen. Wie also sollen sich die Grünen für die Wahlen positionieren, defensiv oder offensiv, stumpf oder spitz?

Bilanz und Programm

„Wir stellen unsere Kernwerte nicht in Frage“, versicherte Sam Tanson in ihrer Rede, dem Highlight des Kongresses. Die Spitzenkandidatin führte die Misserfolge bei den Gemeindewahlen unter anderem auf das Greenbashing zurück und rief dazu auf „mit Élan“ zu versuchen, es bei den Landeswahlen besser zu machen. Man dürfe nicht das eine gegen das andere ausspielen: „Nicht Wohnen oder Natur, nicht Sicherheit oder Grundrechte, nicht Invest oder soziale Gerechtigkeit.“ Unaufgeregt, aber bestimmt, mit einer zurückhaltenden, aber gut artikulierten Rhetorik, fasste Tanson das Wahlprogramm zusammen. Nebenbei bekam vor allem die CSV ihr Fett ab: Steuern senken für alle nütze vor allem den Besserverdienenden, die Ziele für erneuerbare Energien zurückzufahren, widerspreche dem Streben nach energetischer Unabhängigkeit, beim Wohnungsbau auf den Markt zu setzen, sei 30 Jahre lang erfolglos versucht worden … Sie nahm ihren Ministerkollegen Henri Kox in Schutz – um das Ressort Logement habe sich 2018 niemand gerissen, wissend, dass die Probleme nicht kurzfristig zu lösen seien.

Für den Bereich Mobilität verwies die Spitzenkandidatin auf die konsequenten Investitionen in Schieneninfrastrukturen, aber auch auf den „Platz, den das Fahrrad bekommen hat“, nicht ohne die – umstrittene – Brücke in Esch zu loben. Bei klassischen rechten Themen zeigte sie keine Berührungsängste: Man habe mehr Polizist*innen eingestellt als seinerzeit die CSV und gelte dank grüner Aufrüstung jetzt wieder als glaubwürdiger Nato-Alliierter. Vor allem aber plädierte Tanson dafür, stolz über das Erreichte zu sprechen, „in der Familie, beim Bäcker oder beim Grillen“. Wobei sie bei aller Zugespitztheit bemüht war, keine Angriffsflächen für Greenbashing zu liefern: mit Prämien ein nachhaltiges Leben für alle ermöglichen, kein Verzicht auf gutes Leben, Abstandnahme vom „blinden“ Wachstum (und also nicht vom Wachstum an sich).

Der oft gehörte Vorwurf, Déi Gréng seien eine Art Öko-DP, lässt sich anhand dieser Rede und des Programms nicht belegen: Die Spitzenkandidatin erteilte der Deregulierung „wie in den 1980ern“ eine klare Absage und im Kapitel Finanzpolitik ist gar eine Vermögenssteuer vorgesehen. Bei anderen Themen setzt sich das umfangreiche Programm allerdings der Kritik aus. So mit dem Bekenntnis zur Nato und zum Atomwaffensperrvertrag, ohne entsprechende Aussagen zu kollektiver Sicherheit und zum Atomwaffenverbotsvertrag. Das Festhalten an einem unzureichenden CO2-Reduktionsziel und die Ansätze, „Naturschutz [zu] vereinfachen“, werden der Umweltbewegung wenig gefallen.

Was die Bilanz der zehnjährigen Regierungsbeteiligung angeht, so erscheint das Wuchern mit dem Pfund der Schieneninfrastrukturen durchaus gerechtfertigt. Nicht nachvollziehbar sind allerdings die ungleichmäßigen Fortschritte in der Klimapolitik oder die Last-minute-Gesetze für Nachhaltigkeitscheck und energetische Sanierung. Was die Infrastruktur für sanfte Mobilität angeht, die keine jahrzehntelange Planung erfordert, so hat François Bausch insgesamt versagt. Hier wurde versäumt, klare Zeichen gegen den Autoverkehr zu setzen, wie dies im Ausland spätestens im Zuge von Covid und Energiekrise geschehen ist. Andererseits zeigt die Polemik über das Fahrradparking am Hauptstadtbahnhof, wie verkorkst die politischen Rahmenbedingungen hierzulande noch sind.

An die Rede schloss eine leicht unsinnige Zeremonie an, bei der die Parteipräsident*innen Meris Sehovic und Djuna Bernard wichtige Programmpunkte abwechselnd vorbeteten – immerhin ohne von den über 150 Kongressteilnehmer*innen zu verlangen, sie nachzubeten. Was vor zehn Jahren wohl noch als Zeitverschwendung angesehen worden wäre, erwies sich als willkommener Füller, denn die für eine Programmdiskussion vorgesehene Zeit wurde anschließend nicht einmal ansatzweise genutzt. War es der Wunsch, nach außen geeint dazustehen, oder ein allgemeines Desinteresse an politischen Inhalten, jedenfalls gab es zu wenigen Punkten Wortmeldungen und Abstimmungen. Eigentlich war es nur die Aktivistin des Mouvement écologique Laure Simon, die zu Themen wie Tempo 30 und Umgehungsstraßen für etwas weitergehende Forderungen eintrat. Bei diesen beiden Themen wurden ihre Anträge vom Verkehrsminister François Bausch persönlich konterkariert und anschließend vom Kongress abgeschmettert. Über den Symbolwert dieses Geplänkels hinaus war es bezeichnend, wie Bausch argumentierte: als Technokrat, der weiß, wie man’s richtig macht. Im Originalton (zu den „contournements de proximité“): „Wir müssen das integral so umsetzen, wie es im Programm steht, sonst funktioniert es nicht.“

Spitz, aber stumpf

Also doch stumpf statt spitz? Meris Sehovic schien jedenfalls mit dem Ablauf des Kongresses zufrieden zu sein, und das nicht nur, weil er fast zwei Stunden früher vorbei war als geplant. Nach kurzer Pause sollten noch hinter verschlossenen Türen die Wahllisten diskutiert werden, jetzt wurden Snacks serviert, und der Präsident kam gegenüber der woxx noch einmal auf das Programm zurück: Ehrgeizige Vorhaben, für ein lebenswertes Luxemburg, mit einer ökosozialen Steuerreform als erste Priorität … Sehovic redete bereitwillig über eine Fortsetzung der Regierungsbeteiligung, sträubte sich aber dagegen, Tansons Abgrenzung gegenüber der CSV zu bekräftigen. Und was die vom Mouvement gehypte Wachstumsfrage angeht, so bezeichnete er sie als „abstrakt und uninteressant“. Vor dem Hintergrund des Rezessionsrisikos gehe es nicht darum, gegen Wachstum zu sein, sondern dafür zu sorgen, dass die positiven Aktivitäten wachsen, erläuterte der Präsident. Und betonte, Déi Gréng würden an einem Strang ziehen. Etwas anderes kann man von einer Partei, die um ihre Regierungsbeteiligung bangt, wohl auch nicht erwarten.


Cet article vous a plu ?
Nous offrons gratuitement nos articles avec leur regard résolument écologique, féministe et progressiste sur le monde. Sans pub ni offre premium ou paywall. Nous avons en effet la conviction que l’accès à l’information doit rester libre. Afin de pouvoir garantir qu’à l’avenir nos articles seront accessibles à quiconque s’y intéresse, nous avons besoin de votre soutien – à travers un abonnement ou un don : woxx.lu/support.

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen?
Wir stellen unsere Artikel mit unserem einzigartigen, ökologischen, feministischen, gesellschaftskritischen und linkem Blick auf die Welt allen kostenlos zur Verfügung – ohne Werbung, ohne „Plus“-, „Premium“-Angebot oder eine Paywall. Denn wir sind der Meinung, dass der Zugang zu Informationen frei sein sollte. Um das auch in Zukunft gewährleisten zu können, benötigen wir Ihre Unterstützung; mit einem Abonnement oder einer Spende: woxx.lu/support.
Tagged , , , , , , , , , , , , , , , , , .Speichere in deinen Favoriten diesen permalink.

Kommentare sind geschlossen.